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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Blüten und Früchte der Moderne

schaft in Händen hältst! Dann töte den Drachen, stoße das Eisen ihm ins
Herz und zerschmettere ihm die Knochen im Leibe, damit er nimmermehr Jung¬
frauen verschlinge und uns die Jünglinge nimmermehr ermorde!" Jetzt ist
es also klar: Herr Brandes ist der Se. Georg unsrer Zeit, und Donatellos
Statue "steht mitten zwischen beiden." Wohl uns, die wir weder Jungfrauen
verschlingen noch Jünglinge ermorden, wie Bismnrck und Moltke! Die
Festrede endlich hält ein Herr Öhquist in Helsingfors. Er nennt in den ein¬
leitenden Worten Herrn Brandes in einem Atem mit Lessing und Taine! Noch
weiter zu lesen, kaun wohl niemand zugemutet werden.

Gehen wir lieber zu einer "Novelle" über. Der aus zahllosen Romanen
und Erzählungen alten Stils wohlbekannte unwiderstehliche junge Manu hat
sich bekanntlich unversehrt in die "Moderne" herübergerettet. Diesmal ist er
nicht, wie in Zvlas ^u bonuour als ü-noch, Kommis in einem Modengeschäfte,
seine Mittel erlauben ihm, nichts zu thu". Er trifft eine fünfzehnjährige
Bauerndirne, deren "in erzeuer Gliederznsammeugeschmiegtheit kraftverrammelter
Leib" seine Sinnlichkeit erregt. Er "umfaßt sie mit einem einzigen Griffe
seines Blickes" und sie kann nicht umhin, sich sofort an ihm zu reiben ^
körperlich natürlich. Abends begegnen sie sich im Dunkeln und fallen sofort
brünstig über einander her. Brutale Gewalt trennt das liebenswürdige Paar,
aber ihre "Schicksalsliebe war und wird sein." Der Worte bedürfte es
zwischen ihnen nicht. Nun von der Sprache noch einige Proben. "Juterims-
stimmuugen haben zuweilen eine merkwürdig schwüle, heiße, betäubende
Pitauterie. - Dieses Bett mit seiner ungeheuern Decke, die so viel Ver¬
steckendes, Zuguteredeudes, ius Land weicher, mildfingeriger Träume hinein
wollüstig Einsargendes besaß. -- Der Kutscher querte den Hof joie schade,
daß er ihn uicht "längste!"j -- Das schmntziggrane, struppige, borstige Haar,
das mit seinen harten, glasigen, ausgedörrten Spitzen gleichsam der Luft in den
Zähnen herumstocherte joie wird Wippcheu jammern, daß dieses Bild nicht
ihm eingefallen ist!j. -- Kühn abgefaulte Glieder. -- Dora war von blut¬
roter, in breiten Lappen hinschießender Glut überbrüht." -- Genügt das?
Aber das sind uicht etwa die einzigen oder auch nur die leuchtendsten
Schmockschen Brillanten, Seile für Seite geht es fort in diesem unverdau¬
lichen Kauderwelsch, in Wendungen und Bilder", die um jeden Preis originell
sein sollen. Dieser Jünger Zolns mit Namen Hermann Conradi ist durch
einen frühen Tod verhindert worden, von seinen Gaben einen vernünftigen
Gebrauch zu machen, und nun halten ihm seine Freunde Nachreden, nicht
etwa, wie Uhland "den abgeknickten Zweig, den blütevollen" auf Wilhelm
Hauffs Grab legte, souderu etwa als ob Schiller uach Vollendung des Wallen¬
stein gestorben wäre. Doch nein! Auch dann würde niemand einen solchen
Bombast vorgebracht bilden. Da sagt einer: "Nicht irgend ein Künstler, ein
Litterat ist da gestorben hier starb vielmehr der Küustlerprophel, der philo-


Blüten und Früchte der Moderne

schaft in Händen hältst! Dann töte den Drachen, stoße das Eisen ihm ins
Herz und zerschmettere ihm die Knochen im Leibe, damit er nimmermehr Jung¬
frauen verschlinge und uns die Jünglinge nimmermehr ermorde!" Jetzt ist
es also klar: Herr Brandes ist der Se. Georg unsrer Zeit, und Donatellos
Statue „steht mitten zwischen beiden." Wohl uns, die wir weder Jungfrauen
verschlingen noch Jünglinge ermorden, wie Bismnrck und Moltke! Die
Festrede endlich hält ein Herr Öhquist in Helsingfors. Er nennt in den ein¬
leitenden Worten Herrn Brandes in einem Atem mit Lessing und Taine! Noch
weiter zu lesen, kaun wohl niemand zugemutet werden.

Gehen wir lieber zu einer „Novelle" über. Der aus zahllosen Romanen
und Erzählungen alten Stils wohlbekannte unwiderstehliche junge Manu hat
sich bekanntlich unversehrt in die „Moderne" herübergerettet. Diesmal ist er
nicht, wie in Zvlas ^u bonuour als ü-noch, Kommis in einem Modengeschäfte,
seine Mittel erlauben ihm, nichts zu thu». Er trifft eine fünfzehnjährige
Bauerndirne, deren „in erzeuer Gliederznsammeugeschmiegtheit kraftverrammelter
Leib" seine Sinnlichkeit erregt. Er „umfaßt sie mit einem einzigen Griffe
seines Blickes" und sie kann nicht umhin, sich sofort an ihm zu reiben ^
körperlich natürlich. Abends begegnen sie sich im Dunkeln und fallen sofort
brünstig über einander her. Brutale Gewalt trennt das liebenswürdige Paar,
aber ihre „Schicksalsliebe war und wird sein." Der Worte bedürfte es
zwischen ihnen nicht. Nun von der Sprache noch einige Proben. „Juterims-
stimmuugen haben zuweilen eine merkwürdig schwüle, heiße, betäubende
Pitauterie. - Dieses Bett mit seiner ungeheuern Decke, die so viel Ver¬
steckendes, Zuguteredeudes, ius Land weicher, mildfingeriger Träume hinein
wollüstig Einsargendes besaß. — Der Kutscher querte den Hof joie schade,
daß er ihn uicht „längste!"j — Das schmntziggrane, struppige, borstige Haar,
das mit seinen harten, glasigen, ausgedörrten Spitzen gleichsam der Luft in den
Zähnen herumstocherte joie wird Wippcheu jammern, daß dieses Bild nicht
ihm eingefallen ist!j. — Kühn abgefaulte Glieder. — Dora war von blut¬
roter, in breiten Lappen hinschießender Glut überbrüht." — Genügt das?
Aber das sind uicht etwa die einzigen oder auch nur die leuchtendsten
Schmockschen Brillanten, Seile für Seite geht es fort in diesem unverdau¬
lichen Kauderwelsch, in Wendungen und Bilder», die um jeden Preis originell
sein sollen. Dieser Jünger Zolns mit Namen Hermann Conradi ist durch
einen frühen Tod verhindert worden, von seinen Gaben einen vernünftigen
Gebrauch zu machen, und nun halten ihm seine Freunde Nachreden, nicht
etwa, wie Uhland „den abgeknickten Zweig, den blütevollen" auf Wilhelm
Hauffs Grab legte, souderu etwa als ob Schiller uach Vollendung des Wallen¬
stein gestorben wäre. Doch nein! Auch dann würde niemand einen solchen
Bombast vorgebracht bilden. Da sagt einer: „Nicht irgend ein Künstler, ein
Litterat ist da gestorben hier starb vielmehr der Küustlerprophel, der philo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/484>, abgerufen am 23.07.2024.