Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

verlebte! Wir hatte" dazu Zeit, und bei aller Bescheidenheit dürfen wir es
sagen, wir sind auch keine dummen Menschen geblieben.

Ich weiß wohl, daß sich viele Stimmen gegen das Lesen von Uuter-
halluugsbücheru aussprechen, und kaun ihnen, wenn ich an die jetzt im Schwange
befindliche" Jndianergeschichtcn denke, nicht so Unrecht geben. Ich bin auch
i" Anbetracht des Lesens für den Grundsatz- Erst das Geschäft, d. h. die
Schularbeiten, dann das Vergnügen, d. h, das Lesen. Aber ich halte es für
naturwidrig, das Lesen allzu sehr einzuschränken; es bleibt nie ohne Nutzen,
und die Einbildungskraft des Knaben bedarf unbedingt ebenso der Anregung
wie der Nahrung.

Erleichtert also die Knaben, sie müssen Erleichterung habe", nehmt ihnen
vor allen die schwierigste, das Gemüt nicht im geringsten befriedigende Arbeit:
die schriftlichen Arbeite" i" de" tote" Sprache"!

Ja, war"in denn nicht anch i" de" lebende" Sprache"? Oder warum
nicht lieber in diesen? Mache" die etwa weniger Arbeit, weniger Mühe? Ver¬
ursache" sie weniger Verdruß? Darüber ließe sich wohl streiten, denn da herrscht
ein großer Unterschied; da aber eine weitläufige pädagogische Erörterung mich
zu weit vom eigentliche" Ziele abführen würde, ich auch einen Sieg der toten
Sprachen weder zu fürchte", noch einen Sieg der modernen Sprachen als
Beihilfe zu benutzen nötig habe, will ich jetzt ohne weiteres zugebe", daß ein
englisches Erercise für die .Knabe" nicht leichter zu bewältige" sei als ein
lateinisches Specimen, und, der Accente wegen, ein französisches Thone nicht
leichter als ein griechisches Pensum; daraus folgt aber noch nicht, daß nun
gleich auch alle schriftlichen Spracharbeiten über Bord geworfen werden müssen.
Wenn ich einem Packträger vier Pakete auflade und schließlich finde, daß sie
ihm zu schwer werden, werde ich ihm doch auch nicht gleich alle vier ab¬
nehme" "ut ihn ledig nebenher laufen lassen, es wird genügen, wen" ich ihn
um die zwei entbehrlicheren erleichtere, den sicher" Transport der beiden übrigen,
mir unentbehrlichen, werde ich ihm "icht erlasse". Das Gleichnis hinkt weniger,
als mancher denke" wird; der Schüler ist ein geplagter Träger, und das latei¬
nische und das griechische Pensum sind uns entbehrlich, das französische und
das englische nicht. Nur mit Widerwillen muß ich mich hier einmal ans
das sogenannte Utilitätsprinzip, das sonst in Schulsachen zu menge" "icht
meine Sache ist, stellen. Wenn ich zwischen zwei Dinge" die Wahl habe,
so wäre es aber doch wahrlich thöricht, das a"fzugebe", was mir auch im
Leben nutzen kann, d. h. ans unsre Frage angewendet, das französische und
englische Pensum.

Schon der ganze Zweck des Unterrichts in den moderne" Sprachen spricht
für Beibehaltung der schriftlichen Arbeite". Latein und Griechisch wird ge¬
lehrt z"r grammatischen und logischen Bildmig, und beide Sprachen sind zur
Erreichung dieses Zweckes vorzügliche Mittel. Wenn auch der Unterricht in


verlebte! Wir hatte» dazu Zeit, und bei aller Bescheidenheit dürfen wir es
sagen, wir sind auch keine dummen Menschen geblieben.

Ich weiß wohl, daß sich viele Stimmen gegen das Lesen von Uuter-
halluugsbücheru aussprechen, und kaun ihnen, wenn ich an die jetzt im Schwange
befindliche» Jndianergeschichtcn denke, nicht so Unrecht geben. Ich bin auch
i» Anbetracht des Lesens für den Grundsatz- Erst das Geschäft, d. h. die
Schularbeiten, dann das Vergnügen, d. h, das Lesen. Aber ich halte es für
naturwidrig, das Lesen allzu sehr einzuschränken; es bleibt nie ohne Nutzen,
und die Einbildungskraft des Knaben bedarf unbedingt ebenso der Anregung
wie der Nahrung.

Erleichtert also die Knaben, sie müssen Erleichterung habe», nehmt ihnen
vor allen die schwierigste, das Gemüt nicht im geringsten befriedigende Arbeit:
die schriftlichen Arbeite» i» de» tote» Sprache»!

Ja, war»in denn nicht anch i» de» lebende» Sprache»? Oder warum
nicht lieber in diesen? Mache» die etwa weniger Arbeit, weniger Mühe? Ver¬
ursache» sie weniger Verdruß? Darüber ließe sich wohl streiten, denn da herrscht
ein großer Unterschied; da aber eine weitläufige pädagogische Erörterung mich
zu weit vom eigentliche» Ziele abführen würde, ich auch einen Sieg der toten
Sprachen weder zu fürchte«, noch einen Sieg der modernen Sprachen als
Beihilfe zu benutzen nötig habe, will ich jetzt ohne weiteres zugebe», daß ein
englisches Erercise für die .Knabe» nicht leichter zu bewältige» sei als ein
lateinisches Specimen, und, der Accente wegen, ein französisches Thone nicht
leichter als ein griechisches Pensum; daraus folgt aber noch nicht, daß nun
gleich auch alle schriftlichen Spracharbeiten über Bord geworfen werden müssen.
Wenn ich einem Packträger vier Pakete auflade und schließlich finde, daß sie
ihm zu schwer werden, werde ich ihm doch auch nicht gleich alle vier ab¬
nehme» »ut ihn ledig nebenher laufen lassen, es wird genügen, wen» ich ihn
um die zwei entbehrlicheren erleichtere, den sicher» Transport der beiden übrigen,
mir unentbehrlichen, werde ich ihm »icht erlasse». Das Gleichnis hinkt weniger,
als mancher denke» wird; der Schüler ist ein geplagter Träger, und das latei¬
nische und das griechische Pensum sind uns entbehrlich, das französische und
das englische nicht. Nur mit Widerwillen muß ich mich hier einmal ans
das sogenannte Utilitätsprinzip, das sonst in Schulsachen zu menge» »icht
meine Sache ist, stellen. Wenn ich zwischen zwei Dinge» die Wahl habe,
so wäre es aber doch wahrlich thöricht, das a»fzugebe», was mir auch im
Leben nutzen kann, d. h. ans unsre Frage angewendet, das französische und
englische Pensum.

Schon der ganze Zweck des Unterrichts in den moderne» Sprachen spricht
für Beibehaltung der schriftlichen Arbeite». Latein und Griechisch wird ge¬
lehrt z»r grammatischen und logischen Bildmig, und beide Sprachen sind zur
Erreichung dieses Zweckes vorzügliche Mittel. Wenn auch der Unterricht in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209056"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1384" prev="#ID_1383"> verlebte! Wir hatte» dazu Zeit, und bei aller Bescheidenheit dürfen wir es<lb/>
sagen, wir sind auch keine dummen Menschen geblieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1385"> Ich weiß wohl, daß sich viele Stimmen gegen das Lesen von Uuter-<lb/>
halluugsbücheru aussprechen, und kaun ihnen, wenn ich an die jetzt im Schwange<lb/>
befindliche» Jndianergeschichtcn denke, nicht so Unrecht geben. Ich bin auch<lb/>
i» Anbetracht des Lesens für den Grundsatz- Erst das Geschäft, d. h. die<lb/>
Schularbeiten, dann das Vergnügen, d. h, das Lesen. Aber ich halte es für<lb/>
naturwidrig, das Lesen allzu sehr einzuschränken; es bleibt nie ohne Nutzen,<lb/>
und die Einbildungskraft des Knaben bedarf unbedingt ebenso der Anregung<lb/>
wie der Nahrung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1386"> Erleichtert also die Knaben, sie müssen Erleichterung habe», nehmt ihnen<lb/>
vor allen die schwierigste, das Gemüt nicht im geringsten befriedigende Arbeit:<lb/>
die schriftlichen Arbeite» i» de» tote» Sprache»!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387"> Ja, war»in denn nicht anch i» de» lebende» Sprache»? Oder warum<lb/>
nicht lieber in diesen? Mache» die etwa weniger Arbeit, weniger Mühe? Ver¬<lb/>
ursache» sie weniger Verdruß? Darüber ließe sich wohl streiten, denn da herrscht<lb/>
ein großer Unterschied; da aber eine weitläufige pädagogische Erörterung mich<lb/>
zu weit vom eigentliche» Ziele abführen würde, ich auch einen Sieg der toten<lb/>
Sprachen weder zu fürchte«, noch einen Sieg der modernen Sprachen als<lb/>
Beihilfe zu benutzen nötig habe, will ich jetzt ohne weiteres zugebe», daß ein<lb/>
englisches Erercise für die .Knabe» nicht leichter zu bewältige» sei als ein<lb/>
lateinisches Specimen, und, der Accente wegen, ein französisches Thone nicht<lb/>
leichter als ein griechisches Pensum; daraus folgt aber noch nicht, daß nun<lb/>
gleich auch alle schriftlichen Spracharbeiten über Bord geworfen werden müssen.<lb/>
Wenn ich einem Packträger vier Pakete auflade und schließlich finde, daß sie<lb/>
ihm zu schwer werden, werde ich ihm doch auch nicht gleich alle vier ab¬<lb/>
nehme» »ut ihn ledig nebenher laufen lassen, es wird genügen, wen» ich ihn<lb/>
um die zwei entbehrlicheren erleichtere, den sicher» Transport der beiden übrigen,<lb/>
mir unentbehrlichen, werde ich ihm »icht erlasse». Das Gleichnis hinkt weniger,<lb/>
als mancher denke» wird; der Schüler ist ein geplagter Träger, und das latei¬<lb/>
nische und das griechische Pensum sind uns entbehrlich, das französische und<lb/>
das englische nicht. Nur mit Widerwillen muß ich mich hier einmal ans<lb/>
das sogenannte Utilitätsprinzip, das sonst in Schulsachen zu menge» »icht<lb/>
meine Sache ist, stellen. Wenn ich zwischen zwei Dinge» die Wahl habe,<lb/>
so wäre es aber doch wahrlich thöricht, das a»fzugebe», was mir auch im<lb/>
Leben nutzen kann, d. h. ans unsre Frage angewendet, das französische und<lb/>
englische Pensum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388" next="#ID_1389"> Schon der ganze Zweck des Unterrichts in den moderne» Sprachen spricht<lb/>
für Beibehaltung der schriftlichen Arbeite». Latein und Griechisch wird ge¬<lb/>
lehrt z»r grammatischen und logischen Bildmig, und beide Sprachen sind zur<lb/>
Erreichung dieses Zweckes vorzügliche Mittel.  Wenn auch der Unterricht in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] verlebte! Wir hatte» dazu Zeit, und bei aller Bescheidenheit dürfen wir es sagen, wir sind auch keine dummen Menschen geblieben. Ich weiß wohl, daß sich viele Stimmen gegen das Lesen von Uuter- halluugsbücheru aussprechen, und kaun ihnen, wenn ich an die jetzt im Schwange befindliche» Jndianergeschichtcn denke, nicht so Unrecht geben. Ich bin auch i» Anbetracht des Lesens für den Grundsatz- Erst das Geschäft, d. h. die Schularbeiten, dann das Vergnügen, d. h, das Lesen. Aber ich halte es für naturwidrig, das Lesen allzu sehr einzuschränken; es bleibt nie ohne Nutzen, und die Einbildungskraft des Knaben bedarf unbedingt ebenso der Anregung wie der Nahrung. Erleichtert also die Knaben, sie müssen Erleichterung habe», nehmt ihnen vor allen die schwierigste, das Gemüt nicht im geringsten befriedigende Arbeit: die schriftlichen Arbeite» i» de» tote» Sprache»! Ja, war»in denn nicht anch i» de» lebende» Sprache»? Oder warum nicht lieber in diesen? Mache» die etwa weniger Arbeit, weniger Mühe? Ver¬ ursache» sie weniger Verdruß? Darüber ließe sich wohl streiten, denn da herrscht ein großer Unterschied; da aber eine weitläufige pädagogische Erörterung mich zu weit vom eigentliche» Ziele abführen würde, ich auch einen Sieg der toten Sprachen weder zu fürchte«, noch einen Sieg der modernen Sprachen als Beihilfe zu benutzen nötig habe, will ich jetzt ohne weiteres zugebe», daß ein englisches Erercise für die .Knabe» nicht leichter zu bewältige» sei als ein lateinisches Specimen, und, der Accente wegen, ein französisches Thone nicht leichter als ein griechisches Pensum; daraus folgt aber noch nicht, daß nun gleich auch alle schriftlichen Spracharbeiten über Bord geworfen werden müssen. Wenn ich einem Packträger vier Pakete auflade und schließlich finde, daß sie ihm zu schwer werden, werde ich ihm doch auch nicht gleich alle vier ab¬ nehme» »ut ihn ledig nebenher laufen lassen, es wird genügen, wen» ich ihn um die zwei entbehrlicheren erleichtere, den sicher» Transport der beiden übrigen, mir unentbehrlichen, werde ich ihm »icht erlasse». Das Gleichnis hinkt weniger, als mancher denke» wird; der Schüler ist ein geplagter Träger, und das latei¬ nische und das griechische Pensum sind uns entbehrlich, das französische und das englische nicht. Nur mit Widerwillen muß ich mich hier einmal ans das sogenannte Utilitätsprinzip, das sonst in Schulsachen zu menge» »icht meine Sache ist, stellen. Wenn ich zwischen zwei Dinge» die Wahl habe, so wäre es aber doch wahrlich thöricht, das a»fzugebe», was mir auch im Leben nutzen kann, d. h. ans unsre Frage angewendet, das französische und englische Pensum. Schon der ganze Zweck des Unterrichts in den moderne» Sprachen spricht für Beibehaltung der schriftlichen Arbeite». Latein und Griechisch wird ge¬ lehrt z»r grammatischen und logischen Bildmig, und beide Sprachen sind zur Erreichung dieses Zweckes vorzügliche Mittel. Wenn auch der Unterricht in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/477>, abgerufen am 23.07.2024.