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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Bestimmungen wollen wir beleuchten, und zwar die Bestimmungen über die
DeklarativnSpslicht, die neue Ordnung des Veranlaguugsverfahreus und die neu
in Vorschlag gebrachten Steuersätze.

Die neu aufgestellte Deklarationspflicht und die damit zusammenhängenden
Bestimmungen über die genaueste Ermittelung des steuerbaren Einkommens
bilden offenbar den wichtigsten Teil des Gesetzentwurfes und stehen zu den
bisherigen gesetzlichen Bestimmungen im geradesten Gegensatze. Denn die bis
jetzt geltenden Gesetze vom 1. Mai 1851 und vom 25. Mai 1873 sagen aus¬
drücklich: "Die Gemeindevorstände haben über die Einkvmmensverhültnisse der
Steuerpflichtigen, soweit dieses ohne tieferes Eindringen geschehen kann, möglichst
vollständige Nachrichten einzuziehen," und "die Einschätzuugskominissioneu haben
bei Prüfung der Veranlagung jedes lästige Eindringen in die Vermögens¬
und Einkomnn'nsverhältnisse zu vermeiden." Man erwäge noch, daß nach den
jetzigen Bestimmungen die Einschätzungskommissionen mir ans gewählten Mit¬
gliedern bestanden, und daß den Veranlagungskommissarien, insbesondre den
Landräten zur Bewältigung der umfangreichen Vernnlagungsarbeiten keine be¬
sondern Hilfskräfte überwiesen wurden. Die Landräte selbst waren neben ihren
übrigen bedeutenden Arbeiten polizeilicher, politischer und kreisständiger Natur
-- zufällig ist mehrmals die Ausführung politischer Wahlen gerade in die
knappe Zeit der Steuerveranlagung gefalle" -- völlig außer stände, sich dein
Veranlagungsgeschäfte eingehend zu widmen, auch die Kreissekretäre sind durch
die laufenden Geschäfte des Landratsamts schon genügend belastet, und die
Hauptarbeiten bei der Veranlagung mußten oft niedern Beamten anvertraut
werden. So kam es, daß bisher die Veranlagung wenigstens in vielen Be¬
zirken ohne jedes tiefe Eindringen in die wirklichen Einkommensverhältnisse
nach Gutdünken und schablonenhaft ausgeführt wurde. Nirgends fehlte es an
Reklamationen und Rekursen, aber in Wahrheit wurde nicht deshalb, weil das
Einkommen unrichtig veranlagt war, sondern nnr deshalb rcklamirt, weil der
Nachbar verhältnismäßig noch weniger als der Beschwerdeführer zu zahlen
hatte. Auch darin lag keine Bürgschaft für die richtige Veranlagung, daß die
blassen- und Einkommensteuer Grundlage für die örtlichen Gemeindeabgaben
bilden sollte. Allerdings wurden in den mit Ortsabgaben belasteten Gemeinden
die Klassen- und Einkommensteuer einigermaßen richtig veranlagt, wenigstens
suchte man alle Einwohner des Ortes verhältnismäßig richtig zu besteuern.
Zu niedrig wurden aber die Staatsabgabcn bei allen Einwohnern veranlagt,
und man half sich wegen der Ortsnbgaben leicht dadurch, daß mau sie nicht
um den einfachen, sondern um den zwei-, drei- bis vierfachen Betrag der
Staatssteuer steigerte, also bis zu vierhundert Prozent der Stacitssteueru an
Ortsabgaben erhob. In vielen Gemeinden und in allen Gutsbezirken werden
aber keine Ortsabgaben erhoben, und hier trat bisher überall die Neigung un¬
umwunden hervor, die Staatssteuern möglichst zu ermäßigen, und diese Er-


Bestimmungen wollen wir beleuchten, und zwar die Bestimmungen über die
DeklarativnSpslicht, die neue Ordnung des Veranlaguugsverfahreus und die neu
in Vorschlag gebrachten Steuersätze.

Die neu aufgestellte Deklarationspflicht und die damit zusammenhängenden
Bestimmungen über die genaueste Ermittelung des steuerbaren Einkommens
bilden offenbar den wichtigsten Teil des Gesetzentwurfes und stehen zu den
bisherigen gesetzlichen Bestimmungen im geradesten Gegensatze. Denn die bis
jetzt geltenden Gesetze vom 1. Mai 1851 und vom 25. Mai 1873 sagen aus¬
drücklich: „Die Gemeindevorstände haben über die Einkvmmensverhültnisse der
Steuerpflichtigen, soweit dieses ohne tieferes Eindringen geschehen kann, möglichst
vollständige Nachrichten einzuziehen," und „die Einschätzuugskominissioneu haben
bei Prüfung der Veranlagung jedes lästige Eindringen in die Vermögens¬
und Einkomnn'nsverhältnisse zu vermeiden." Man erwäge noch, daß nach den
jetzigen Bestimmungen die Einschätzungskommissionen mir ans gewählten Mit¬
gliedern bestanden, und daß den Veranlagungskommissarien, insbesondre den
Landräten zur Bewältigung der umfangreichen Vernnlagungsarbeiten keine be¬
sondern Hilfskräfte überwiesen wurden. Die Landräte selbst waren neben ihren
übrigen bedeutenden Arbeiten polizeilicher, politischer und kreisständiger Natur
— zufällig ist mehrmals die Ausführung politischer Wahlen gerade in die
knappe Zeit der Steuerveranlagung gefalle» — völlig außer stände, sich dein
Veranlagungsgeschäfte eingehend zu widmen, auch die Kreissekretäre sind durch
die laufenden Geschäfte des Landratsamts schon genügend belastet, und die
Hauptarbeiten bei der Veranlagung mußten oft niedern Beamten anvertraut
werden. So kam es, daß bisher die Veranlagung wenigstens in vielen Be¬
zirken ohne jedes tiefe Eindringen in die wirklichen Einkommensverhältnisse
nach Gutdünken und schablonenhaft ausgeführt wurde. Nirgends fehlte es an
Reklamationen und Rekursen, aber in Wahrheit wurde nicht deshalb, weil das
Einkommen unrichtig veranlagt war, sondern nnr deshalb rcklamirt, weil der
Nachbar verhältnismäßig noch weniger als der Beschwerdeführer zu zahlen
hatte. Auch darin lag keine Bürgschaft für die richtige Veranlagung, daß die
blassen- und Einkommensteuer Grundlage für die örtlichen Gemeindeabgaben
bilden sollte. Allerdings wurden in den mit Ortsabgaben belasteten Gemeinden
die Klassen- und Einkommensteuer einigermaßen richtig veranlagt, wenigstens
suchte man alle Einwohner des Ortes verhältnismäßig richtig zu besteuern.
Zu niedrig wurden aber die Staatsabgabcn bei allen Einwohnern veranlagt,
und man half sich wegen der Ortsnbgaben leicht dadurch, daß mau sie nicht
um den einfachen, sondern um den zwei-, drei- bis vierfachen Betrag der
Staatssteuer steigerte, also bis zu vierhundert Prozent der Stacitssteueru an
Ortsabgaben erhob. In vielen Gemeinden und in allen Gutsbezirken werden
aber keine Ortsabgaben erhoben, und hier trat bisher überall die Neigung un¬
umwunden hervor, die Staatssteuern möglichst zu ermäßigen, und diese Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/450>, abgerufen am 23.07.2024.