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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Uliinschen

wieder; mein eignes Ungemach war vergessen über dem Schmerz, von dem ich
dieses Wesen tyrannisirt sah, dessen unaussprechliche Anmut meine ganze
Seele eingenommen hatte. Er weckte einen niegefühlten, niegeahnten Herois¬
mus in mir. Ich hielt mich nicht mehr und stürzte auf die Kniee vor ihr,
die mich verwundert freundlich betrachtete.

Nehmen Sie mein Leben, Mnmsellchen, wenn es Ihnen helfen kann! so
rief ich, indem ich mich innerlich über mich selber wunderte, wie ich zu der
Herzhaftigkeit käme, so zu einer so vornehmen Dame zu reden. Schon fürchtete
ich, sie würde es übel nehmen, aber sie erhob sich und lachte keine vor Freude
und klatschte in die Hände, wie ein recht fröhliches Kind; aber es stand ihr
das alles so schön und majestätisch, wie vorhin der Ausdruck des Schmerzes.
Von der See kamen auf das Klatschen sechs Schwäne auf mich zu, die mich,
ich weiß heute noch nicht, wie es zuging, in die Luft hoben und mit mir
davonflogen. Erst wußte ich nicht, sollte ich mich fürchten; bald aber gefiel
mir diese Partie außerordentlich. Ich lag wie auf dem weichsten Bette und
hatte ganz das angenehme Gefühl, als wenn ich zuweilen im Traume flog.
Nun ließen sie sich sanft herab und trugen mich in ein grünes, rings mit
Spiegeln verziertes Gemach, auf dessen Boden ein Bassin von weißem Mar¬
mor angebracht war. Als sie mit ihren Schnäbeln an meinem Schusterschurz
zupften, verstand ich sie "ud legte deu Schurz, ebenso meine übrigen Kleidungs¬
stücke und meine Holzpantoffeln ab, worauf sie mich mit sanfter Gewalt in
das Bassin drängten, das mit blauem Wasser soweit angefüllt war, daß es,
wenn ich drin saß, mich bis zum Halse bedeckte. Da ich zu versteh" glaubte,
was ich solle, so säuberte ich mich nach Kräften. Das Wasser mußte eine
wunderbare Kraft besitze", denn ich mußte selbst die Weiße und Zartheit be¬
wundern, die meine Ha"t nach dem Bade zeigte. Die Schwäne hoben mich
abermals auf und trugen mich in ein andres Bassin, das wie Rosen duftete
und, wie ich nachher erfuhr, mit Rosenöl gefüllt war. Als ich aus diesem
Bassin stieg, sah ich mich in den unzähligen Spiegeln und wunderte mich selbst
über mein schönes Ansehen. Die Schwäne brachten nur von Jasmin duftende
Kleider von fremdartigem Schnitt, in deren Gebrauch ich mich """ so leicht
fand, als wäre ich von Kind an an diese Tracht gewöhnt. War aber meine
Außenseite verändert, so war es mein Inneres noch viel mehr. Der ganze
Schusterjunge war durch dieses Bad aus meiner Persönlichkeit herausge¬
schwemmt; ich begriff selbst nicht, wie ich zu den hohen Gedanken kam, die
in den gewähltester Ausdrücken mir nur so von der Zunge flössen.

Als ich der Spiegel nicht mehr bedürfte, rauschte es rings um mich auf,
und ich merkte nun erst, daß die grünen Wände von den dichten Zweigen des
Sambu gebildet waren, daß, was ich für die blaue Decke des Gemachs ge¬
halten hatte, der blaue Himmel selbst, und die Spiegel nichts andres als die
ausgebreiteten Schwänze weißer Pfauen gewiesen waren. Nun hoben mich die


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Uliinschen

wieder; mein eignes Ungemach war vergessen über dem Schmerz, von dem ich
dieses Wesen tyrannisirt sah, dessen unaussprechliche Anmut meine ganze
Seele eingenommen hatte. Er weckte einen niegefühlten, niegeahnten Herois¬
mus in mir. Ich hielt mich nicht mehr und stürzte auf die Kniee vor ihr,
die mich verwundert freundlich betrachtete.

Nehmen Sie mein Leben, Mnmsellchen, wenn es Ihnen helfen kann! so
rief ich, indem ich mich innerlich über mich selber wunderte, wie ich zu der
Herzhaftigkeit käme, so zu einer so vornehmen Dame zu reden. Schon fürchtete
ich, sie würde es übel nehmen, aber sie erhob sich und lachte keine vor Freude
und klatschte in die Hände, wie ein recht fröhliches Kind; aber es stand ihr
das alles so schön und majestätisch, wie vorhin der Ausdruck des Schmerzes.
Von der See kamen auf das Klatschen sechs Schwäne auf mich zu, die mich,
ich weiß heute noch nicht, wie es zuging, in die Luft hoben und mit mir
davonflogen. Erst wußte ich nicht, sollte ich mich fürchten; bald aber gefiel
mir diese Partie außerordentlich. Ich lag wie auf dem weichsten Bette und
hatte ganz das angenehme Gefühl, als wenn ich zuweilen im Traume flog.
Nun ließen sie sich sanft herab und trugen mich in ein grünes, rings mit
Spiegeln verziertes Gemach, auf dessen Boden ein Bassin von weißem Mar¬
mor angebracht war. Als sie mit ihren Schnäbeln an meinem Schusterschurz
zupften, verstand ich sie »ud legte deu Schurz, ebenso meine übrigen Kleidungs¬
stücke und meine Holzpantoffeln ab, worauf sie mich mit sanfter Gewalt in
das Bassin drängten, das mit blauem Wasser soweit angefüllt war, daß es,
wenn ich drin saß, mich bis zum Halse bedeckte. Da ich zu versteh» glaubte,
was ich solle, so säuberte ich mich nach Kräften. Das Wasser mußte eine
wunderbare Kraft besitze», denn ich mußte selbst die Weiße und Zartheit be¬
wundern, die meine Ha»t nach dem Bade zeigte. Die Schwäne hoben mich
abermals auf und trugen mich in ein andres Bassin, das wie Rosen duftete
und, wie ich nachher erfuhr, mit Rosenöl gefüllt war. Als ich aus diesem
Bassin stieg, sah ich mich in den unzähligen Spiegeln und wunderte mich selbst
über mein schönes Ansehen. Die Schwäne brachten nur von Jasmin duftende
Kleider von fremdartigem Schnitt, in deren Gebrauch ich mich »»» so leicht
fand, als wäre ich von Kind an an diese Tracht gewöhnt. War aber meine
Außenseite verändert, so war es mein Inneres noch viel mehr. Der ganze
Schusterjunge war durch dieses Bad aus meiner Persönlichkeit herausge¬
schwemmt; ich begriff selbst nicht, wie ich zu den hohen Gedanken kam, die
in den gewähltester Ausdrücken mir nur so von der Zunge flössen.

Als ich der Spiegel nicht mehr bedürfte, rauschte es rings um mich auf,
und ich merkte nun erst, daß die grünen Wände von den dichten Zweigen des
Sambu gebildet waren, daß, was ich für die blaue Decke des Gemachs ge¬
halten hatte, der blaue Himmel selbst, und die Spiegel nichts andres als die
ausgebreiteten Schwänze weißer Pfauen gewiesen waren. Nun hoben mich die


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[0436] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Uliinschen wieder; mein eignes Ungemach war vergessen über dem Schmerz, von dem ich dieses Wesen tyrannisirt sah, dessen unaussprechliche Anmut meine ganze Seele eingenommen hatte. Er weckte einen niegefühlten, niegeahnten Herois¬ mus in mir. Ich hielt mich nicht mehr und stürzte auf die Kniee vor ihr, die mich verwundert freundlich betrachtete. Nehmen Sie mein Leben, Mnmsellchen, wenn es Ihnen helfen kann! so rief ich, indem ich mich innerlich über mich selber wunderte, wie ich zu der Herzhaftigkeit käme, so zu einer so vornehmen Dame zu reden. Schon fürchtete ich, sie würde es übel nehmen, aber sie erhob sich und lachte keine vor Freude und klatschte in die Hände, wie ein recht fröhliches Kind; aber es stand ihr das alles so schön und majestätisch, wie vorhin der Ausdruck des Schmerzes. Von der See kamen auf das Klatschen sechs Schwäne auf mich zu, die mich, ich weiß heute noch nicht, wie es zuging, in die Luft hoben und mit mir davonflogen. Erst wußte ich nicht, sollte ich mich fürchten; bald aber gefiel mir diese Partie außerordentlich. Ich lag wie auf dem weichsten Bette und hatte ganz das angenehme Gefühl, als wenn ich zuweilen im Traume flog. Nun ließen sie sich sanft herab und trugen mich in ein grünes, rings mit Spiegeln verziertes Gemach, auf dessen Boden ein Bassin von weißem Mar¬ mor angebracht war. Als sie mit ihren Schnäbeln an meinem Schusterschurz zupften, verstand ich sie »ud legte deu Schurz, ebenso meine übrigen Kleidungs¬ stücke und meine Holzpantoffeln ab, worauf sie mich mit sanfter Gewalt in das Bassin drängten, das mit blauem Wasser soweit angefüllt war, daß es, wenn ich drin saß, mich bis zum Halse bedeckte. Da ich zu versteh» glaubte, was ich solle, so säuberte ich mich nach Kräften. Das Wasser mußte eine wunderbare Kraft besitze», denn ich mußte selbst die Weiße und Zartheit be¬ wundern, die meine Ha»t nach dem Bade zeigte. Die Schwäne hoben mich abermals auf und trugen mich in ein andres Bassin, das wie Rosen duftete und, wie ich nachher erfuhr, mit Rosenöl gefüllt war. Als ich aus diesem Bassin stieg, sah ich mich in den unzähligen Spiegeln und wunderte mich selbst über mein schönes Ansehen. Die Schwäne brachten nur von Jasmin duftende Kleider von fremdartigem Schnitt, in deren Gebrauch ich mich »»» so leicht fand, als wäre ich von Kind an an diese Tracht gewöhnt. War aber meine Außenseite verändert, so war es mein Inneres noch viel mehr. Der ganze Schusterjunge war durch dieses Bad aus meiner Persönlichkeit herausge¬ schwemmt; ich begriff selbst nicht, wie ich zu den hohen Gedanken kam, die in den gewähltester Ausdrücken mir nur so von der Zunge flössen. Als ich der Spiegel nicht mehr bedürfte, rauschte es rings um mich auf, und ich merkte nun erst, daß die grünen Wände von den dichten Zweigen des Sambu gebildet waren, daß, was ich für die blaue Decke des Gemachs ge¬ halten hatte, der blaue Himmel selbst, und die Spiegel nichts andres als die ausgebreiteten Schwänze weißer Pfauen gewiesen waren. Nun hoben mich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/436>, abgerufen am 23.07.2024.