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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

So wurden die beiden, indem sie sich zankten, immer heftiger, und ich
Unglücklicher konnte an einem gewissen Teile meines Leibes ihre zunehmende
Hitze gradweise messen. Lange ertrug ichs mit heldenmäßiger Fassung, endlich
aber riß ich mich los und rannte vor Schmerz und Wut laut weinend
davon.

Wo und wie lange ich nun, von Schmerz, Scham und Wut betäubt,
herumgelaufen sein mag, das weiß Gott. Die Vcsinnuug kam mir wieder
in der Gegend des Caso frau?ais, als ich mich vergebens fragte, ob ich wachte
oder ob ich träumte. Denn vor mir lag statt des Schneckenberges ein herr¬
liches Schloß, rotglühend, wie aus einem einzigen Rubin geschnitten. Und
rings um das Schloß wiegten riesige Bäume ihre seltsam geformten Blätter
in soinmerwarmer, von den süßesten Düften tränfender Luft. Große, rote
Vlumeu, wie ich hernach erfuhr, Lotosblumen, winkten aus dem smaragdenen
Grün wie halbgeöffnete, küssedurstige Mädchenmünde. Ohne zu wissen, was
ich that, schritt ich immer weiter in diese Herrlichkeit hinein. Jetzt dehnte sich,
zitternd im Mondenschein, unübersehbar vor mir ein blinkender See, von
weißen und goldgelben Schwänen berudert. Drin spiegelte sich das rubinrote
Schloß und die schlanken Palmen mit den tausend und abertausend Pfauen,
deren Flügelschlag die lauen Lüfte sanft kühlend bewegte. Der See hatte
seinen Zufluß von einem Wasserfall, der in unzähligen Absätzen von einem
Gebirge herabkam, das in dunkeln Wald gekleidet von Höhe zu Höhe aufstieg,
bis seine letzten blauen Spitzen mit dem Himmel verschwammen. Hier rollten
die Wasser mit sanfter Gewalt zu Thal in den See hinab; ein Brausen aus
der Ferne erzählte, daß sie weiter oben jäher herabstürzen mußten. Rechts,
wo ein Teil der Wasser von dem andern sich trennte, um uach kleinen Um¬
wegen, wie verirrt zwischen schattigem Gebüsche hin und her wankend nach
dem See sich hinzufühlen, glaubte ich unter blühendem Jasmin eine mensch¬
liche Gestalt ruhen zu sehen. Ich hatte mich nicht geirrt. Es war das
schönste Weib, das mau sehen konnte. Halb lag sie, halb saß sie, den rechten
nackten Arm hatte sie wie selbstvergessen über sich ausgestreckt, sodaß das
Wasser des kleinern Falles an ihrer Hand sich brechend in funkelndem Staub¬
regen über die ganze liebliche Gestalt dahinstob, und sie mit einem Schleier
von dem feinsten Silberflor überdeckt schien. Über die schlanken Glieder, deren
Schönheit ein grünes Gewand nicht verbarg, war eine süße Mattigkeit aus-
gegossen; der Busen zuckte von Zeit zu Zeit, wie mit einem Kummer ringend,
auf. Das lieblichste Mädchenantlitz war auf die Seite gesunken; um den Mund
wohnte der reizendste Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht, und die großen, dunkeln
Augen waren halb träumend, halb suchend nach der Ferne gerichtet.

Ich stand in einem nahen Busche und wagte nicht zu atmen. Da sagte
die wunderschöne Gestalt halblaut vor sich hin: Es kommt wieder keiner, es
kommt wieder keiner. Der wunderbar klagende Ton klang mir in der Seele


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

So wurden die beiden, indem sie sich zankten, immer heftiger, und ich
Unglücklicher konnte an einem gewissen Teile meines Leibes ihre zunehmende
Hitze gradweise messen. Lange ertrug ichs mit heldenmäßiger Fassung, endlich
aber riß ich mich los und rannte vor Schmerz und Wut laut weinend
davon.

Wo und wie lange ich nun, von Schmerz, Scham und Wut betäubt,
herumgelaufen sein mag, das weiß Gott. Die Vcsinnuug kam mir wieder
in der Gegend des Caso frau?ais, als ich mich vergebens fragte, ob ich wachte
oder ob ich träumte. Denn vor mir lag statt des Schneckenberges ein herr¬
liches Schloß, rotglühend, wie aus einem einzigen Rubin geschnitten. Und
rings um das Schloß wiegten riesige Bäume ihre seltsam geformten Blätter
in soinmerwarmer, von den süßesten Düften tränfender Luft. Große, rote
Vlumeu, wie ich hernach erfuhr, Lotosblumen, winkten aus dem smaragdenen
Grün wie halbgeöffnete, küssedurstige Mädchenmünde. Ohne zu wissen, was
ich that, schritt ich immer weiter in diese Herrlichkeit hinein. Jetzt dehnte sich,
zitternd im Mondenschein, unübersehbar vor mir ein blinkender See, von
weißen und goldgelben Schwänen berudert. Drin spiegelte sich das rubinrote
Schloß und die schlanken Palmen mit den tausend und abertausend Pfauen,
deren Flügelschlag die lauen Lüfte sanft kühlend bewegte. Der See hatte
seinen Zufluß von einem Wasserfall, der in unzähligen Absätzen von einem
Gebirge herabkam, das in dunkeln Wald gekleidet von Höhe zu Höhe aufstieg,
bis seine letzten blauen Spitzen mit dem Himmel verschwammen. Hier rollten
die Wasser mit sanfter Gewalt zu Thal in den See hinab; ein Brausen aus
der Ferne erzählte, daß sie weiter oben jäher herabstürzen mußten. Rechts,
wo ein Teil der Wasser von dem andern sich trennte, um uach kleinen Um¬
wegen, wie verirrt zwischen schattigem Gebüsche hin und her wankend nach
dem See sich hinzufühlen, glaubte ich unter blühendem Jasmin eine mensch¬
liche Gestalt ruhen zu sehen. Ich hatte mich nicht geirrt. Es war das
schönste Weib, das mau sehen konnte. Halb lag sie, halb saß sie, den rechten
nackten Arm hatte sie wie selbstvergessen über sich ausgestreckt, sodaß das
Wasser des kleinern Falles an ihrer Hand sich brechend in funkelndem Staub¬
regen über die ganze liebliche Gestalt dahinstob, und sie mit einem Schleier
von dem feinsten Silberflor überdeckt schien. Über die schlanken Glieder, deren
Schönheit ein grünes Gewand nicht verbarg, war eine süße Mattigkeit aus-
gegossen; der Busen zuckte von Zeit zu Zeit, wie mit einem Kummer ringend,
auf. Das lieblichste Mädchenantlitz war auf die Seite gesunken; um den Mund
wohnte der reizendste Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht, und die großen, dunkeln
Augen waren halb träumend, halb suchend nach der Ferne gerichtet.

Ich stand in einem nahen Busche und wagte nicht zu atmen. Da sagte
die wunderschöne Gestalt halblaut vor sich hin: Es kommt wieder keiner, es
kommt wieder keiner. Der wunderbar klagende Ton klang mir in der Seele


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[0435] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen So wurden die beiden, indem sie sich zankten, immer heftiger, und ich Unglücklicher konnte an einem gewissen Teile meines Leibes ihre zunehmende Hitze gradweise messen. Lange ertrug ichs mit heldenmäßiger Fassung, endlich aber riß ich mich los und rannte vor Schmerz und Wut laut weinend davon. Wo und wie lange ich nun, von Schmerz, Scham und Wut betäubt, herumgelaufen sein mag, das weiß Gott. Die Vcsinnuug kam mir wieder in der Gegend des Caso frau?ais, als ich mich vergebens fragte, ob ich wachte oder ob ich träumte. Denn vor mir lag statt des Schneckenberges ein herr¬ liches Schloß, rotglühend, wie aus einem einzigen Rubin geschnitten. Und rings um das Schloß wiegten riesige Bäume ihre seltsam geformten Blätter in soinmerwarmer, von den süßesten Düften tränfender Luft. Große, rote Vlumeu, wie ich hernach erfuhr, Lotosblumen, winkten aus dem smaragdenen Grün wie halbgeöffnete, küssedurstige Mädchenmünde. Ohne zu wissen, was ich that, schritt ich immer weiter in diese Herrlichkeit hinein. Jetzt dehnte sich, zitternd im Mondenschein, unübersehbar vor mir ein blinkender See, von weißen und goldgelben Schwänen berudert. Drin spiegelte sich das rubinrote Schloß und die schlanken Palmen mit den tausend und abertausend Pfauen, deren Flügelschlag die lauen Lüfte sanft kühlend bewegte. Der See hatte seinen Zufluß von einem Wasserfall, der in unzähligen Absätzen von einem Gebirge herabkam, das in dunkeln Wald gekleidet von Höhe zu Höhe aufstieg, bis seine letzten blauen Spitzen mit dem Himmel verschwammen. Hier rollten die Wasser mit sanfter Gewalt zu Thal in den See hinab; ein Brausen aus der Ferne erzählte, daß sie weiter oben jäher herabstürzen mußten. Rechts, wo ein Teil der Wasser von dem andern sich trennte, um uach kleinen Um¬ wegen, wie verirrt zwischen schattigem Gebüsche hin und her wankend nach dem See sich hinzufühlen, glaubte ich unter blühendem Jasmin eine mensch¬ liche Gestalt ruhen zu sehen. Ich hatte mich nicht geirrt. Es war das schönste Weib, das mau sehen konnte. Halb lag sie, halb saß sie, den rechten nackten Arm hatte sie wie selbstvergessen über sich ausgestreckt, sodaß das Wasser des kleinern Falles an ihrer Hand sich brechend in funkelndem Staub¬ regen über die ganze liebliche Gestalt dahinstob, und sie mit einem Schleier von dem feinsten Silberflor überdeckt schien. Über die schlanken Glieder, deren Schönheit ein grünes Gewand nicht verbarg, war eine süße Mattigkeit aus- gegossen; der Busen zuckte von Zeit zu Zeit, wie mit einem Kummer ringend, auf. Das lieblichste Mädchenantlitz war auf die Seite gesunken; um den Mund wohnte der reizendste Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht, und die großen, dunkeln Augen waren halb träumend, halb suchend nach der Ferne gerichtet. Ich stand in einem nahen Busche und wagte nicht zu atmen. Da sagte die wunderschöne Gestalt halblaut vor sich hin: Es kommt wieder keiner, es kommt wieder keiner. Der wunderbar klagende Ton klang mir in der Seele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/435>, abgerufen am 23.07.2024.