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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Ja seht ihr, sagte der alte Soldat, der alte Fritz hatte einen Blick in
seinen Augen, der desperat war. Wenn er einen armen Sünder nur ansah,
so fiel der in die Kniee und gestand alles, was er auf seinem Gewissen hatte.
Wenn er diesen Blick nicht hatte, war er in der Schlacht bei Lowositz ver¬
loren. Dn sieht er sich einmal per Zufall um, und was sieht er? Einen
österreichischen Grenadier sieht er ganz in der Nähe, der die Flinte auf ihn
angeschlagen hat und eben losschießen will. Da denkt der alte Fritz, wenn
der losschießt, so ist der siebenjährige Krieg in den vier ersten Wochen zu
Ende. Was thut nun der alte Fritz? Der alte Fritz sieht den Kerl mit
seinem desperaten Blick an, sodaß der hinfällt vor ihm, die Flinte wegwirft
und anfängt, alle seine Sünden zu gestehen, die er in seinem Leben begangen
hat. Aber der alte Fritz lachte sich ins Fäustchen, daß das Ding so gut ab¬
gelaufen war, und ritt davon.

Meister Fintlcin lachte ärger als der alte Fritz und konnte sich gar nicht
wieder zufrieden geben. Der Korporal aber, der nicht sicherer zu beleidigen
war, als wenn man über seine Geschichten lachte, stieg von seinem Stuhle
auf und ging mit einem kirschroten Gesichte umher, indem er leise vor sich
hin fluchte. Ein böses Ungefähr, wenigstens hielt ich es damals dafür, ein
böses Ungefähr wollte, daß er in dieser Stimmung meiner ansichtig wurde.
Ich saß in einer Ecke und spann Hanf. Er trat vor mich hin, wichste seinen
grauen Schnauzbart und schnäuzte mich ain Willst du auch solch ein Schuster,
solch ein Monsieur Pechvogel werden?

Nein, Herr Korporal, sagte ich in Angst; ich will kein Schuster werden,
aber ein Geueral will ich werden.

Was? schrie der alte Soldat, froh, eine Kreatur gefunden zu haben, an
der er seinen Zorn auflasten konnte. Ich Habs nicht weiter gebracht als
bis zum Korporal, und solch ein Esel von Schusterjungen will General
werden? Und solch ein Monsieur Fintlein will mir meine Geschichten
verdetestiren?

Damit zog er mich mit der Kraft eiues alten Löwen hinter meinem Spinn-
rade vor, warf mich über einen Schemel und bearbeitete mich mit seinem alten
Korporalstock auf das beste.

Herr Fintlein aber geriet aus seinem Lachen plötzlich in gleichen Zorn.
Solch ein Korporalstecken will dem Fintlein eins aufstecken? Wers aber nicht
ruhig einsteckt, das will ich ihm stecken! So schrie Herr Fintleiu und -- schlug
mit dem Korporal um die Wette auf mich los.

Ich habe andern Leuten meine Geschichten erzählt; dein General Möllen-
dorf habe ich meine Geschichten erzählt. Weiß er das?

Dieser Junge ist dazu da, daß ich ihn Prügle; es hat niemand anders
meinen Jungen zu prügeln. Ich bin selbst alt genug, meinen Jungen zu
prügeln. Weiß er das?


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Ja seht ihr, sagte der alte Soldat, der alte Fritz hatte einen Blick in
seinen Augen, der desperat war. Wenn er einen armen Sünder nur ansah,
so fiel der in die Kniee und gestand alles, was er auf seinem Gewissen hatte.
Wenn er diesen Blick nicht hatte, war er in der Schlacht bei Lowositz ver¬
loren. Dn sieht er sich einmal per Zufall um, und was sieht er? Einen
österreichischen Grenadier sieht er ganz in der Nähe, der die Flinte auf ihn
angeschlagen hat und eben losschießen will. Da denkt der alte Fritz, wenn
der losschießt, so ist der siebenjährige Krieg in den vier ersten Wochen zu
Ende. Was thut nun der alte Fritz? Der alte Fritz sieht den Kerl mit
seinem desperaten Blick an, sodaß der hinfällt vor ihm, die Flinte wegwirft
und anfängt, alle seine Sünden zu gestehen, die er in seinem Leben begangen
hat. Aber der alte Fritz lachte sich ins Fäustchen, daß das Ding so gut ab¬
gelaufen war, und ritt davon.

Meister Fintlcin lachte ärger als der alte Fritz und konnte sich gar nicht
wieder zufrieden geben. Der Korporal aber, der nicht sicherer zu beleidigen
war, als wenn man über seine Geschichten lachte, stieg von seinem Stuhle
auf und ging mit einem kirschroten Gesichte umher, indem er leise vor sich
hin fluchte. Ein böses Ungefähr, wenigstens hielt ich es damals dafür, ein
böses Ungefähr wollte, daß er in dieser Stimmung meiner ansichtig wurde.
Ich saß in einer Ecke und spann Hanf. Er trat vor mich hin, wichste seinen
grauen Schnauzbart und schnäuzte mich ain Willst du auch solch ein Schuster,
solch ein Monsieur Pechvogel werden?

Nein, Herr Korporal, sagte ich in Angst; ich will kein Schuster werden,
aber ein Geueral will ich werden.

Was? schrie der alte Soldat, froh, eine Kreatur gefunden zu haben, an
der er seinen Zorn auflasten konnte. Ich Habs nicht weiter gebracht als
bis zum Korporal, und solch ein Esel von Schusterjungen will General
werden? Und solch ein Monsieur Fintlein will mir meine Geschichten
verdetestiren?

Damit zog er mich mit der Kraft eiues alten Löwen hinter meinem Spinn-
rade vor, warf mich über einen Schemel und bearbeitete mich mit seinem alten
Korporalstock auf das beste.

Herr Fintlein aber geriet aus seinem Lachen plötzlich in gleichen Zorn.
Solch ein Korporalstecken will dem Fintlein eins aufstecken? Wers aber nicht
ruhig einsteckt, das will ich ihm stecken! So schrie Herr Fintleiu und — schlug
mit dem Korporal um die Wette auf mich los.

Ich habe andern Leuten meine Geschichten erzählt; dein General Möllen-
dorf habe ich meine Geschichten erzählt. Weiß er das?

Dieser Junge ist dazu da, daß ich ihn Prügle; es hat niemand anders
meinen Jungen zu prügeln. Ich bin selbst alt genug, meinen Jungen zu
prügeln. Weiß er das?


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[0434] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Ja seht ihr, sagte der alte Soldat, der alte Fritz hatte einen Blick in seinen Augen, der desperat war. Wenn er einen armen Sünder nur ansah, so fiel der in die Kniee und gestand alles, was er auf seinem Gewissen hatte. Wenn er diesen Blick nicht hatte, war er in der Schlacht bei Lowositz ver¬ loren. Dn sieht er sich einmal per Zufall um, und was sieht er? Einen österreichischen Grenadier sieht er ganz in der Nähe, der die Flinte auf ihn angeschlagen hat und eben losschießen will. Da denkt der alte Fritz, wenn der losschießt, so ist der siebenjährige Krieg in den vier ersten Wochen zu Ende. Was thut nun der alte Fritz? Der alte Fritz sieht den Kerl mit seinem desperaten Blick an, sodaß der hinfällt vor ihm, die Flinte wegwirft und anfängt, alle seine Sünden zu gestehen, die er in seinem Leben begangen hat. Aber der alte Fritz lachte sich ins Fäustchen, daß das Ding so gut ab¬ gelaufen war, und ritt davon. Meister Fintlcin lachte ärger als der alte Fritz und konnte sich gar nicht wieder zufrieden geben. Der Korporal aber, der nicht sicherer zu beleidigen war, als wenn man über seine Geschichten lachte, stieg von seinem Stuhle auf und ging mit einem kirschroten Gesichte umher, indem er leise vor sich hin fluchte. Ein böses Ungefähr, wenigstens hielt ich es damals dafür, ein böses Ungefähr wollte, daß er in dieser Stimmung meiner ansichtig wurde. Ich saß in einer Ecke und spann Hanf. Er trat vor mich hin, wichste seinen grauen Schnauzbart und schnäuzte mich ain Willst du auch solch ein Schuster, solch ein Monsieur Pechvogel werden? Nein, Herr Korporal, sagte ich in Angst; ich will kein Schuster werden, aber ein Geueral will ich werden. Was? schrie der alte Soldat, froh, eine Kreatur gefunden zu haben, an der er seinen Zorn auflasten konnte. Ich Habs nicht weiter gebracht als bis zum Korporal, und solch ein Esel von Schusterjungen will General werden? Und solch ein Monsieur Fintlein will mir meine Geschichten verdetestiren? Damit zog er mich mit der Kraft eiues alten Löwen hinter meinem Spinn- rade vor, warf mich über einen Schemel und bearbeitete mich mit seinem alten Korporalstock auf das beste. Herr Fintlein aber geriet aus seinem Lachen plötzlich in gleichen Zorn. Solch ein Korporalstecken will dem Fintlein eins aufstecken? Wers aber nicht ruhig einsteckt, das will ich ihm stecken! So schrie Herr Fintleiu und — schlug mit dem Korporal um die Wette auf mich los. Ich habe andern Leuten meine Geschichten erzählt; dein General Möllen- dorf habe ich meine Geschichten erzählt. Weiß er das? Dieser Junge ist dazu da, daß ich ihn Prügle; es hat niemand anders meinen Jungen zu prügeln. Ich bin selbst alt genug, meinen Jungen zu prügeln. Weiß er das?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/434>, abgerufen am 23.07.2024.