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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

verraten können. Wir saßen auf unsern Holzpantoffeln zu ebner Erde und
schauten träumend in das helle Frühlingsgewölk hinein, das eilend über uns
dahinzog.

Endlich sagte ich: Wißt ihr, was ich eigentlich werden möchte? Ein
schwedischer General! Da dürfte mich Herr Fintlci" nicht um jede Kleinigkeit
anshnnzen, und wenn ich Semmeln holte, ginge ich in Uniform; wie wurde
der dicke Bäcker dann Respekt bekommen und Madame Nauplius, die hübsche
junge Fleischerin um der Ecke, was würde die für Augen machen!

Hier unterbrach den Litteraten mit dem langen Haare der Litterat mit
dem Pflaster, und seine Stimme zitterte vor Freude: Der schlanke Schneider-
junge hatte seine Augen fest auf das große Haus gerichtet, das ihm gegen¬
überstand. Wenn ich das große Haus hätte, sagte er, brauchten wir nicht
mehr ans offner Straße zusammenzukommen, wo eiuer unsrer Tyrannen uns
doch einmal finden kann. Das schönste Zimmer behielten wir dazu; das übrige
würde vermietet und dafür Pfefferkuchen gegessen.

Der Litteratus mit dem Knebelbarte stand auf und sprach in großer Be¬
wegung: Der kleine blonde Krauskopf aber sagte: Wer ein Pascha von drei
Roßschweifen wäre! Dann weinte ich nicht mehr, wenn ich betteln muß,
sondern zöge meinen türkischen Säbel heraus. Wie würde mich dann Ma¬
dame Müller loben, brächte ich nicht bloß schlechte Pfennige nach Hanse.

Noch nicht ausgesprochen hatte der dritte Litteratus, als sich alle drei
lachend und weinend in den Armen lagen.

Hundert Fragen flogen hin und her. Erzähle du nun fort, sagte der
zweite Litteratus, dann melden auch wir nach der Reihe unsre Abenteuer; auf
diese Weise erfahren wir in kürzerer Zeit und in besserer Ordnung, wie es
jedem ging, und wie es ihm noch geht, als durch verwirrendes Hin- und
Herfragen.

So fuhr deun der erste Litteratus in seiner Geschichte fort: Wir träumten,
sagte er, und träumten; darüber verging Stunde um Stunde, und die ein¬
brechende Nacht erinnerte uns zu spät an das Nachhausegehen. Wir stoben
ans einander und haben einander nicht wiedergesehen, bis wir uns so uner¬
wartet wiedergefunden haben. Wie ich nach Hanse kam, blieb Meister Fintlein
ruhig auf seiner Brücke sitzen und sah sich nicht einmal nach mir um, sondern
zeigte jene schreckliche Ruhe, die einem Gewittersturm voranzugehen Pflegt. Ein
alter verabschiedeter preußischer Korporal, der ihn jeden Abend zu besuche"
pflegte, saß ihm gegenüber und dampfte aus einem thönernen Pfeifenstück, das
er, wenn er einige Züge gethan hatte, vor sich hin hielt, indem er es nach¬
denklich zu betrachten schien. Endlich bewegte er nach alter Leute Art erst wie
sprechend den Mund, ehe er begann: Ich weiß nicht, Monsieur Fintlein, ob
Sie die Geschichte wissen vom alten Fritzen, die sich im Anfang des sieben¬
jährigen Krieges zugetragen hat? Herr Fintlein verneinte.


Grenzboten IV 189" 54
Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

verraten können. Wir saßen auf unsern Holzpantoffeln zu ebner Erde und
schauten träumend in das helle Frühlingsgewölk hinein, das eilend über uns
dahinzog.

Endlich sagte ich: Wißt ihr, was ich eigentlich werden möchte? Ein
schwedischer General! Da dürfte mich Herr Fintlci» nicht um jede Kleinigkeit
anshnnzen, und wenn ich Semmeln holte, ginge ich in Uniform; wie wurde
der dicke Bäcker dann Respekt bekommen und Madame Nauplius, die hübsche
junge Fleischerin um der Ecke, was würde die für Augen machen!

Hier unterbrach den Litteraten mit dem langen Haare der Litterat mit
dem Pflaster, und seine Stimme zitterte vor Freude: Der schlanke Schneider-
junge hatte seine Augen fest auf das große Haus gerichtet, das ihm gegen¬
überstand. Wenn ich das große Haus hätte, sagte er, brauchten wir nicht
mehr ans offner Straße zusammenzukommen, wo eiuer unsrer Tyrannen uns
doch einmal finden kann. Das schönste Zimmer behielten wir dazu; das übrige
würde vermietet und dafür Pfefferkuchen gegessen.

Der Litteratus mit dem Knebelbarte stand auf und sprach in großer Be¬
wegung: Der kleine blonde Krauskopf aber sagte: Wer ein Pascha von drei
Roßschweifen wäre! Dann weinte ich nicht mehr, wenn ich betteln muß,
sondern zöge meinen türkischen Säbel heraus. Wie würde mich dann Ma¬
dame Müller loben, brächte ich nicht bloß schlechte Pfennige nach Hanse.

Noch nicht ausgesprochen hatte der dritte Litteratus, als sich alle drei
lachend und weinend in den Armen lagen.

Hundert Fragen flogen hin und her. Erzähle du nun fort, sagte der
zweite Litteratus, dann melden auch wir nach der Reihe unsre Abenteuer; auf
diese Weise erfahren wir in kürzerer Zeit und in besserer Ordnung, wie es
jedem ging, und wie es ihm noch geht, als durch verwirrendes Hin- und
Herfragen.

So fuhr deun der erste Litteratus in seiner Geschichte fort: Wir träumten,
sagte er, und träumten; darüber verging Stunde um Stunde, und die ein¬
brechende Nacht erinnerte uns zu spät an das Nachhausegehen. Wir stoben
ans einander und haben einander nicht wiedergesehen, bis wir uns so uner¬
wartet wiedergefunden haben. Wie ich nach Hanse kam, blieb Meister Fintlein
ruhig auf seiner Brücke sitzen und sah sich nicht einmal nach mir um, sondern
zeigte jene schreckliche Ruhe, die einem Gewittersturm voranzugehen Pflegt. Ein
alter verabschiedeter preußischer Korporal, der ihn jeden Abend zu besuche»
pflegte, saß ihm gegenüber und dampfte aus einem thönernen Pfeifenstück, das
er, wenn er einige Züge gethan hatte, vor sich hin hielt, indem er es nach¬
denklich zu betrachten schien. Endlich bewegte er nach alter Leute Art erst wie
sprechend den Mund, ehe er begann: Ich weiß nicht, Monsieur Fintlein, ob
Sie die Geschichte wissen vom alten Fritzen, die sich im Anfang des sieben¬
jährigen Krieges zugetragen hat? Herr Fintlein verneinte.


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[0433] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen verraten können. Wir saßen auf unsern Holzpantoffeln zu ebner Erde und schauten träumend in das helle Frühlingsgewölk hinein, das eilend über uns dahinzog. Endlich sagte ich: Wißt ihr, was ich eigentlich werden möchte? Ein schwedischer General! Da dürfte mich Herr Fintlci» nicht um jede Kleinigkeit anshnnzen, und wenn ich Semmeln holte, ginge ich in Uniform; wie wurde der dicke Bäcker dann Respekt bekommen und Madame Nauplius, die hübsche junge Fleischerin um der Ecke, was würde die für Augen machen! Hier unterbrach den Litteraten mit dem langen Haare der Litterat mit dem Pflaster, und seine Stimme zitterte vor Freude: Der schlanke Schneider- junge hatte seine Augen fest auf das große Haus gerichtet, das ihm gegen¬ überstand. Wenn ich das große Haus hätte, sagte er, brauchten wir nicht mehr ans offner Straße zusammenzukommen, wo eiuer unsrer Tyrannen uns doch einmal finden kann. Das schönste Zimmer behielten wir dazu; das übrige würde vermietet und dafür Pfefferkuchen gegessen. Der Litteratus mit dem Knebelbarte stand auf und sprach in großer Be¬ wegung: Der kleine blonde Krauskopf aber sagte: Wer ein Pascha von drei Roßschweifen wäre! Dann weinte ich nicht mehr, wenn ich betteln muß, sondern zöge meinen türkischen Säbel heraus. Wie würde mich dann Ma¬ dame Müller loben, brächte ich nicht bloß schlechte Pfennige nach Hanse. Noch nicht ausgesprochen hatte der dritte Litteratus, als sich alle drei lachend und weinend in den Armen lagen. Hundert Fragen flogen hin und her. Erzähle du nun fort, sagte der zweite Litteratus, dann melden auch wir nach der Reihe unsre Abenteuer; auf diese Weise erfahren wir in kürzerer Zeit und in besserer Ordnung, wie es jedem ging, und wie es ihm noch geht, als durch verwirrendes Hin- und Herfragen. So fuhr deun der erste Litteratus in seiner Geschichte fort: Wir träumten, sagte er, und träumten; darüber verging Stunde um Stunde, und die ein¬ brechende Nacht erinnerte uns zu spät an das Nachhausegehen. Wir stoben ans einander und haben einander nicht wiedergesehen, bis wir uns so uner¬ wartet wiedergefunden haben. Wie ich nach Hanse kam, blieb Meister Fintlein ruhig auf seiner Brücke sitzen und sah sich nicht einmal nach mir um, sondern zeigte jene schreckliche Ruhe, die einem Gewittersturm voranzugehen Pflegt. Ein alter verabschiedeter preußischer Korporal, der ihn jeden Abend zu besuche» pflegte, saß ihm gegenüber und dampfte aus einem thönernen Pfeifenstück, das er, wenn er einige Züge gethan hatte, vor sich hin hielt, indem er es nach¬ denklich zu betrachten schien. Endlich bewegte er nach alter Leute Art erst wie sprechend den Mund, ehe er begann: Ich weiß nicht, Monsieur Fintlein, ob Sie die Geschichte wissen vom alten Fritzen, die sich im Anfang des sieben¬ jährigen Krieges zugetragen hat? Herr Fintlein verneinte. Grenzboten IV 189» 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/433>, abgerufen am 23.07.2024.