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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Ein dritter Seufzer erklang von dein Tische, an dein die drei jungen
Männer saßen, und lenkte alle Blicke dahin. Es waren drei blasse Gesichter;
das eine zeichnete ein außerordentlich langes Haar, das zweite ein schwarzes
Pflaster auf der linken Wange, das dritte ein starker Knebelbart aus. Aus
jedem der drei Gesichter stand in deutlichen Lettern das verlorene Lebensglück
zu lesen. Keiner sprach eher ein Wort, als da die andern Gäste, im Schach¬
spiel vertieft, sie nicht mehr zu gewahren schienen. Da mich die drei unge-
mein interessirten und ich in der Stimmung, in die mich des Freundes Mit¬
teilung versetzt hatte, mich vor dem t>co-Ä-M<z mit mir selbst fürchtete, so ließ
ich eine Bowle Punsch bringen und bat jene, meine Gäste zu sein. Ich erfuhr
nun, daß sie drei Litteraten waren, der Langhaarige gab sich daneben mit dem
Sanskrit ab, der mit dem Pflaster hatte sich auf das Altdeutsche und auf
die politische Poesie geworfen, der Litteratus mit dem Knebelbarte endlich über¬
setzte persische Lieder ins Deutsche.

Wir wurden bei jedem Glase bekannter. Endlich sagte ich, indem ich das
meine erhob: Was wir wünschen! Alle drei seufzten auf, wie vorhin bei der
Erzählung von den drei Gerüchten. Da der Langhaarige meine Verwunde¬
rung bemerkte, sagte er: Sie wundern sich über den Eindruck, den das Wort
Wünsche auf mich gemacht hat; wollen Sie die Erzählung meiner Schicksale
anhören, werden Sie ihn begreiflich finden. Er erzählte:

Geschichte des ersten Litteraten.

In meinem siebzehnten Jahre, begann der erste Litterat seine Geschichte, in
meinem siebzehnten Jahre war ich Lausbursche bei dem Schuhmachermeister Fint¬
lein in der kleinen Fleischergafse. Ich fühlte auf das lebendigste in mir, daß
ich zu ander" Dingen bestimmt sei, als zum Wasserholen, Stiefelwichser und
was damals noch sonst meines Amtes war. Da ich nun dies alles mit Wider¬
willen trieb, so ist es kein Wunder, daß es oft nicht zu meinem Lobe ausfiel
und ich böser Worte genng vernehmen mußte, was meinen Widerwillen nur
wieder verstärkte. Das einzige, was in jenen Tagen trauriger Knechtschaft
mich erhielt, war ein Freundschaftsbund, den ich mit zwei gleichgeplagten
Wesen gestiftet hatte. Der eine, ein schlanker, zarter Junge, war dein Schneider¬
meister Heidermaun eine Treppe tiefer das, was ich eine Treppe höher Herrn
Fiutlein war.' Der andre, der Pflegesohn eiuer gewissen Madam Müller, ein
blonder Krauskopf mit treuherzig blauen Augen und roten Backen, wohnte
uns gegenüber. Wir wußten uns auf unsern Berufswegen zu begegnen; da
ging denn die eine Hälfte des halben Stündchens, das wir zu erübrigen wußten,
mit Klagen über die Gegenwart, die andre Hälfte mit Träumen über die Zu¬
kunft hin. So saßen wir einst, während unsre Tyrannen uns im Schweiße
unsers Angesichtes glaubten, ganz gemütlich beisammen. Einige noch unbesetzte
Buden und unausgepackte Kisten, denn es war gerade die Ostermesse, ver¬
bargen uns vor jedem Spähernuge, das unsre Muße unsern Tyrannen hätte


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Ein dritter Seufzer erklang von dein Tische, an dein die drei jungen
Männer saßen, und lenkte alle Blicke dahin. Es waren drei blasse Gesichter;
das eine zeichnete ein außerordentlich langes Haar, das zweite ein schwarzes
Pflaster auf der linken Wange, das dritte ein starker Knebelbart aus. Aus
jedem der drei Gesichter stand in deutlichen Lettern das verlorene Lebensglück
zu lesen. Keiner sprach eher ein Wort, als da die andern Gäste, im Schach¬
spiel vertieft, sie nicht mehr zu gewahren schienen. Da mich die drei unge-
mein interessirten und ich in der Stimmung, in die mich des Freundes Mit¬
teilung versetzt hatte, mich vor dem t>co-Ä-M<z mit mir selbst fürchtete, so ließ
ich eine Bowle Punsch bringen und bat jene, meine Gäste zu sein. Ich erfuhr
nun, daß sie drei Litteraten waren, der Langhaarige gab sich daneben mit dem
Sanskrit ab, der mit dem Pflaster hatte sich auf das Altdeutsche und auf
die politische Poesie geworfen, der Litteratus mit dem Knebelbarte endlich über¬
setzte persische Lieder ins Deutsche.

Wir wurden bei jedem Glase bekannter. Endlich sagte ich, indem ich das
meine erhob: Was wir wünschen! Alle drei seufzten auf, wie vorhin bei der
Erzählung von den drei Gerüchten. Da der Langhaarige meine Verwunde¬
rung bemerkte, sagte er: Sie wundern sich über den Eindruck, den das Wort
Wünsche auf mich gemacht hat; wollen Sie die Erzählung meiner Schicksale
anhören, werden Sie ihn begreiflich finden. Er erzählte:

Geschichte des ersten Litteraten.

In meinem siebzehnten Jahre, begann der erste Litterat seine Geschichte, in
meinem siebzehnten Jahre war ich Lausbursche bei dem Schuhmachermeister Fint¬
lein in der kleinen Fleischergafse. Ich fühlte auf das lebendigste in mir, daß
ich zu ander» Dingen bestimmt sei, als zum Wasserholen, Stiefelwichser und
was damals noch sonst meines Amtes war. Da ich nun dies alles mit Wider¬
willen trieb, so ist es kein Wunder, daß es oft nicht zu meinem Lobe ausfiel
und ich böser Worte genng vernehmen mußte, was meinen Widerwillen nur
wieder verstärkte. Das einzige, was in jenen Tagen trauriger Knechtschaft
mich erhielt, war ein Freundschaftsbund, den ich mit zwei gleichgeplagten
Wesen gestiftet hatte. Der eine, ein schlanker, zarter Junge, war dein Schneider¬
meister Heidermaun eine Treppe tiefer das, was ich eine Treppe höher Herrn
Fiutlein war.' Der andre, der Pflegesohn eiuer gewissen Madam Müller, ein
blonder Krauskopf mit treuherzig blauen Augen und roten Backen, wohnte
uns gegenüber. Wir wußten uns auf unsern Berufswegen zu begegnen; da
ging denn die eine Hälfte des halben Stündchens, das wir zu erübrigen wußten,
mit Klagen über die Gegenwart, die andre Hälfte mit Träumen über die Zu¬
kunft hin. So saßen wir einst, während unsre Tyrannen uns im Schweiße
unsers Angesichtes glaubten, ganz gemütlich beisammen. Einige noch unbesetzte
Buden und unausgepackte Kisten, denn es war gerade die Ostermesse, ver¬
bargen uns vor jedem Spähernuge, das unsre Muße unsern Tyrannen hätte


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[0432] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Ein dritter Seufzer erklang von dein Tische, an dein die drei jungen Männer saßen, und lenkte alle Blicke dahin. Es waren drei blasse Gesichter; das eine zeichnete ein außerordentlich langes Haar, das zweite ein schwarzes Pflaster auf der linken Wange, das dritte ein starker Knebelbart aus. Aus jedem der drei Gesichter stand in deutlichen Lettern das verlorene Lebensglück zu lesen. Keiner sprach eher ein Wort, als da die andern Gäste, im Schach¬ spiel vertieft, sie nicht mehr zu gewahren schienen. Da mich die drei unge- mein interessirten und ich in der Stimmung, in die mich des Freundes Mit¬ teilung versetzt hatte, mich vor dem t>co-Ä-M<z mit mir selbst fürchtete, so ließ ich eine Bowle Punsch bringen und bat jene, meine Gäste zu sein. Ich erfuhr nun, daß sie drei Litteraten waren, der Langhaarige gab sich daneben mit dem Sanskrit ab, der mit dem Pflaster hatte sich auf das Altdeutsche und auf die politische Poesie geworfen, der Litteratus mit dem Knebelbarte endlich über¬ setzte persische Lieder ins Deutsche. Wir wurden bei jedem Glase bekannter. Endlich sagte ich, indem ich das meine erhob: Was wir wünschen! Alle drei seufzten auf, wie vorhin bei der Erzählung von den drei Gerüchten. Da der Langhaarige meine Verwunde¬ rung bemerkte, sagte er: Sie wundern sich über den Eindruck, den das Wort Wünsche auf mich gemacht hat; wollen Sie die Erzählung meiner Schicksale anhören, werden Sie ihn begreiflich finden. Er erzählte: Geschichte des ersten Litteraten. In meinem siebzehnten Jahre, begann der erste Litterat seine Geschichte, in meinem siebzehnten Jahre war ich Lausbursche bei dem Schuhmachermeister Fint¬ lein in der kleinen Fleischergafse. Ich fühlte auf das lebendigste in mir, daß ich zu ander» Dingen bestimmt sei, als zum Wasserholen, Stiefelwichser und was damals noch sonst meines Amtes war. Da ich nun dies alles mit Wider¬ willen trieb, so ist es kein Wunder, daß es oft nicht zu meinem Lobe ausfiel und ich böser Worte genng vernehmen mußte, was meinen Widerwillen nur wieder verstärkte. Das einzige, was in jenen Tagen trauriger Knechtschaft mich erhielt, war ein Freundschaftsbund, den ich mit zwei gleichgeplagten Wesen gestiftet hatte. Der eine, ein schlanker, zarter Junge, war dein Schneider¬ meister Heidermaun eine Treppe tiefer das, was ich eine Treppe höher Herrn Fiutlein war.' Der andre, der Pflegesohn eiuer gewissen Madam Müller, ein blonder Krauskopf mit treuherzig blauen Augen und roten Backen, wohnte uns gegenüber. Wir wußten uns auf unsern Berufswegen zu begegnen; da ging denn die eine Hälfte des halben Stündchens, das wir zu erübrigen wußten, mit Klagen über die Gegenwart, die andre Hälfte mit Träumen über die Zu¬ kunft hin. So saßen wir einst, während unsre Tyrannen uns im Schweiße unsers Angesichtes glaubten, ganz gemütlich beisammen. Einige noch unbesetzte Buden und unausgepackte Kisten, denn es war gerade die Ostermesse, ver¬ bargen uns vor jedem Spähernuge, das unsre Muße unsern Tyrannen hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/432>, abgerufen am 23.07.2024.