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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Entschuldigen Sie -- meine Tochter sagt mir soeben, in Ihnen erkenne
sie den Retter aus Lebensgefahr, den uns alle angewandte Mühe bisher nicht
auffinden ließ. Darf ich? unterbrach er sich selbst, indem er eine kostbare
goldne Dose präsentirte. Es war mir äußerst unangenehm, fuhr er dann fort;
denn ich bleibe nicht gern schuldig -- mein Name ist Jammerdegen. Ich bin,
wie Sie wohl gehört haben werden, Buchhändler, Buchdrnckereibesitzer, Stadtrat,
Kirchenvorsteher, Ersatzmann beim Landtage und dergleichen -- kommen Sie
doch mit herüber. Sie heißen?

Ich nannte meinen Namen und folgte ihm pochenden Herzens. Es ist
wahrlich nichts Kleines, auf einmal mit allen seinen Unvollkommenheiten vor
der zu stehen, um deren Heiligenbild man einen Himmel gebaut hat von ge-
träumten Herrlichkeiten, und um einem solchen Blicke begegnen zu müssen, vor
dessen Klarheit alles Geckische, alles Verwirrte, Düstere, Unganze in uns ab¬
fällt und wir mit Schrecken sehen, wie arm nur sind und daß nun eigentlich
gar nichts in uns stehen bleibt, was ihr gefallen könnte, der zu gefallen der
einzige Wunsch unsers Lebens ist. Und doch lag in diesem Blick eine Milde,
ein Versöhnendes, Friedengebendes, ein -- da haben wirs; mein Puls läutet
wieder einmal Fiebersturm.

Er ging auf und ab, um sich zu beruhigen; derweile nahm ich das dritte
Blatt der indischen Geschichte und las:

Die vier Töchter der Urvasi wuchsen auf und wurden der Mutter gleich
an Schönheit und Anmut, sodaß jede in dem Lande ihres Vaters für das
Schönste galt, was je ein Auge gesehen. Urvasi, die gern einmal ihrer sich
erfreuen wollte, bat Indra, diesen Wunsch ihr zu gewähren. Da schickte
Indra seine Gandharbas ab, die sie während der Nacht von ihrem Lager
holten und sie zu Urvasi brachten, ohne daß die Schlummernden gewahr
wurden, was mit ihnen vorging. So sehr sie beim Erwachen staunten, sich
an einem ihnen fremden Orte zu befinden, so gewannen sie sich bald lieb, und
gewannen sich so lieb, daß sie sich nie wieder trennen wollten. Auf Urvasis
Bitten wies Indra deu Prinzessinnen einen der herrlichen Haine von Gandha-
madana zum Aufenthalt an. Dort freuten sie sich in ewiger Jugend der
heitern Gegenwart und ihrer Liebe. Jetzt erquickten sie die schmachtenden Lotos¬
blatter ihrer Glieder in den krhstallnen Fluten des Mandcckini, und es kamen
die goldgelben Schwäne herbei, schmiegten sich liebkosend unter sie und trugen
sie wie lebendige Kähne am schattigen Ufer dahin; wenn sie schlummerten,
fächelten sie unzählige weiße Pfauen mit ihren stolzen Schweifen, und der süße
Koll wiegte sie ein und weckte sie wieder mit seinen schönsten Liedern. Und
sie liebten sich so, daß sie umarmt gingen, umarmt saßen und umarmt schliefen.
Und ließen sich ihre Hände im Schlummer, so schraken sie auf und faßten sich
von neuem.

Eines Tages erwachten die drei ältesten eher als die jüngste, und weil


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Entschuldigen Sie — meine Tochter sagt mir soeben, in Ihnen erkenne
sie den Retter aus Lebensgefahr, den uns alle angewandte Mühe bisher nicht
auffinden ließ. Darf ich? unterbrach er sich selbst, indem er eine kostbare
goldne Dose präsentirte. Es war mir äußerst unangenehm, fuhr er dann fort;
denn ich bleibe nicht gern schuldig — mein Name ist Jammerdegen. Ich bin,
wie Sie wohl gehört haben werden, Buchhändler, Buchdrnckereibesitzer, Stadtrat,
Kirchenvorsteher, Ersatzmann beim Landtage und dergleichen — kommen Sie
doch mit herüber. Sie heißen?

Ich nannte meinen Namen und folgte ihm pochenden Herzens. Es ist
wahrlich nichts Kleines, auf einmal mit allen seinen Unvollkommenheiten vor
der zu stehen, um deren Heiligenbild man einen Himmel gebaut hat von ge-
träumten Herrlichkeiten, und um einem solchen Blicke begegnen zu müssen, vor
dessen Klarheit alles Geckische, alles Verwirrte, Düstere, Unganze in uns ab¬
fällt und wir mit Schrecken sehen, wie arm nur sind und daß nun eigentlich
gar nichts in uns stehen bleibt, was ihr gefallen könnte, der zu gefallen der
einzige Wunsch unsers Lebens ist. Und doch lag in diesem Blick eine Milde,
ein Versöhnendes, Friedengebendes, ein — da haben wirs; mein Puls läutet
wieder einmal Fiebersturm.

Er ging auf und ab, um sich zu beruhigen; derweile nahm ich das dritte
Blatt der indischen Geschichte und las:

Die vier Töchter der Urvasi wuchsen auf und wurden der Mutter gleich
an Schönheit und Anmut, sodaß jede in dem Lande ihres Vaters für das
Schönste galt, was je ein Auge gesehen. Urvasi, die gern einmal ihrer sich
erfreuen wollte, bat Indra, diesen Wunsch ihr zu gewähren. Da schickte
Indra seine Gandharbas ab, die sie während der Nacht von ihrem Lager
holten und sie zu Urvasi brachten, ohne daß die Schlummernden gewahr
wurden, was mit ihnen vorging. So sehr sie beim Erwachen staunten, sich
an einem ihnen fremden Orte zu befinden, so gewannen sie sich bald lieb, und
gewannen sich so lieb, daß sie sich nie wieder trennen wollten. Auf Urvasis
Bitten wies Indra deu Prinzessinnen einen der herrlichen Haine von Gandha-
madana zum Aufenthalt an. Dort freuten sie sich in ewiger Jugend der
heitern Gegenwart und ihrer Liebe. Jetzt erquickten sie die schmachtenden Lotos¬
blatter ihrer Glieder in den krhstallnen Fluten des Mandcckini, und es kamen
die goldgelben Schwäne herbei, schmiegten sich liebkosend unter sie und trugen
sie wie lebendige Kähne am schattigen Ufer dahin; wenn sie schlummerten,
fächelten sie unzählige weiße Pfauen mit ihren stolzen Schweifen, und der süße
Koll wiegte sie ein und weckte sie wieder mit seinen schönsten Liedern. Und
sie liebten sich so, daß sie umarmt gingen, umarmt saßen und umarmt schliefen.
Und ließen sich ihre Hände im Schlummer, so schraken sie auf und faßten sich
von neuem.

Eines Tages erwachten die drei ältesten eher als die jüngste, und weil


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[0428] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Entschuldigen Sie — meine Tochter sagt mir soeben, in Ihnen erkenne sie den Retter aus Lebensgefahr, den uns alle angewandte Mühe bisher nicht auffinden ließ. Darf ich? unterbrach er sich selbst, indem er eine kostbare goldne Dose präsentirte. Es war mir äußerst unangenehm, fuhr er dann fort; denn ich bleibe nicht gern schuldig — mein Name ist Jammerdegen. Ich bin, wie Sie wohl gehört haben werden, Buchhändler, Buchdrnckereibesitzer, Stadtrat, Kirchenvorsteher, Ersatzmann beim Landtage und dergleichen — kommen Sie doch mit herüber. Sie heißen? Ich nannte meinen Namen und folgte ihm pochenden Herzens. Es ist wahrlich nichts Kleines, auf einmal mit allen seinen Unvollkommenheiten vor der zu stehen, um deren Heiligenbild man einen Himmel gebaut hat von ge- träumten Herrlichkeiten, und um einem solchen Blicke begegnen zu müssen, vor dessen Klarheit alles Geckische, alles Verwirrte, Düstere, Unganze in uns ab¬ fällt und wir mit Schrecken sehen, wie arm nur sind und daß nun eigentlich gar nichts in uns stehen bleibt, was ihr gefallen könnte, der zu gefallen der einzige Wunsch unsers Lebens ist. Und doch lag in diesem Blick eine Milde, ein Versöhnendes, Friedengebendes, ein — da haben wirs; mein Puls läutet wieder einmal Fiebersturm. Er ging auf und ab, um sich zu beruhigen; derweile nahm ich das dritte Blatt der indischen Geschichte und las: Die vier Töchter der Urvasi wuchsen auf und wurden der Mutter gleich an Schönheit und Anmut, sodaß jede in dem Lande ihres Vaters für das Schönste galt, was je ein Auge gesehen. Urvasi, die gern einmal ihrer sich erfreuen wollte, bat Indra, diesen Wunsch ihr zu gewähren. Da schickte Indra seine Gandharbas ab, die sie während der Nacht von ihrem Lager holten und sie zu Urvasi brachten, ohne daß die Schlummernden gewahr wurden, was mit ihnen vorging. So sehr sie beim Erwachen staunten, sich an einem ihnen fremden Orte zu befinden, so gewannen sie sich bald lieb, und gewannen sich so lieb, daß sie sich nie wieder trennen wollten. Auf Urvasis Bitten wies Indra deu Prinzessinnen einen der herrlichen Haine von Gandha- madana zum Aufenthalt an. Dort freuten sie sich in ewiger Jugend der heitern Gegenwart und ihrer Liebe. Jetzt erquickten sie die schmachtenden Lotos¬ blatter ihrer Glieder in den krhstallnen Fluten des Mandcckini, und es kamen die goldgelben Schwäne herbei, schmiegten sich liebkosend unter sie und trugen sie wie lebendige Kähne am schattigen Ufer dahin; wenn sie schlummerten, fächelten sie unzählige weiße Pfauen mit ihren stolzen Schweifen, und der süße Koll wiegte sie ein und weckte sie wieder mit seinen schönsten Liedern. Und sie liebten sich so, daß sie umarmt gingen, umarmt saßen und umarmt schliefen. Und ließen sich ihre Hände im Schlummer, so schraken sie auf und faßten sich von neuem. Eines Tages erwachten die drei ältesten eher als die jüngste, und weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/428>, abgerufen am 23.07.2024.