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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Solons Lndi'

spiel "Die Ehre" zu bilden. Die Zeitungen melden ferner, daß sich der Kaiser
Ernst v. Wildenbruchs neuestes geschichtliches Drama "Ein neuer Herr" von
dem Verfasser habe vorlesen lassen, und daß er sein Wohlgefallen darüber ge¬
äußert habe. Neben solchen Mitteilungen, die ihre sachliche Begründung in
dem halbamtlichen Hvfbericht finden, läuft aber die Legende einher. Man er¬
zählt sich in Kreisen, die dem Dichter nahe stehen, daß der Kaiser sich gegen
das im "Dentschen Theater" aufgeführte Schauspiel Wildenbruchs "Die
Haubenlerche," das sich auch in Ausschreitungen des Naturalismus gefällt,
ablehnend geäußert habe.

Das ästhetische Urteil über Sudermann und " Svdoms Ende" kann
natürlich durch solche publizistischen Machenschaften, durch Zeitnngsmanöver
nud öffentlichen Klatsch nicht beeinflußt werden. Aber es wäre doch an der
Zeit, der Ausnutzung hoher Personen für unlautere Zwecke einen Riegel vor-
zuschieben, damit die große Masse, die nicht selbst urteilen kann, das Gefühl
der Sicherheit uüedergewinne, das in den letzten Monaten, wenn auch uicht
stark erschüttert, so doch stark auf die Probe gestellt worden ist.

"Sodoms Ende" ist nun freilich uicht dazu angethan, uns in diesem
Punkte zu beunruhigen. Es beunruhigt überhaupt nicht, sondern langweilt
nur, und wenn es wirklich Bennrnhignngeu hervorgerufen Hut, so können davon
nur die Kreise der Berliner Finanzwelt betroffen worden sein, die in dem
hohlen, wüsten Treiben des Salons der Bankiersfrnn Adas Barezinowski ein
Spiegelbild ihres eignen Daseins erkannt haben sollen. Diese Erkenntnis soll
ihnen erst später gekommen sein. Denn am ersten Abend spendeten die In¬
sassen des ersten Ranges nud der Logen lebhaften Beifall, weil ihre Mehrzahl
Sudermcmn für den ihrigen hielt, und die ganze Angelegenheit am Ende zur
Parteisache geworden war. Bielleicht sind ihnen erst die Augen geöffnet
worden, als das svzialdemvkrntische "Berliner Bvlksblatt" im höchsten Pathos
sittlicher Entrüstung schrieb- "Der Dichter, der solch eine flammende Anklage¬
schrift wider das Bestehende in die Welt schleudert, hat etwas verspürt vom
Wehen der kommenden Zeit, nud sein scharfes Ohr vernahm den wuchtigen
Schritt des Schicksals, das mit eherner Rücksichtslosigkeit die alte" abgelebten
Formen in Scherben schlagen wird, um neue Bildungen, um lebenskräftige
Gestalten an jene Stelle zu setzen." Und die "Germania," das Organ des
katholischen Radikalismus, das niemals fehlt, wo eS seine sozialdemokratischen
Brüder unterstützen kaun, machte die Charakteristik noch deutlicher, indem sie
unmittelbar zum Augriff auf die angeblich von Sudermann gemeinten Kreise
losging. "Diese Sudermannsche Gesellschaft existirt -- so behauptet die
"Germania" --, aber sie ist nicht die "Berliner," nicht die ganze Gesellschaft.
Es sind hauptsächlich gewisse Börsenkreise und was sich ihnen anschließt, welche
diese Gesellschaft bilden, die Geldaristokratie, welche schnell reich geworden ist,
ohne die Noblesse der Gesinnung zu übernehmen, die man in der wirklichen,


Solons Lndi'

spiel „Die Ehre" zu bilden. Die Zeitungen melden ferner, daß sich der Kaiser
Ernst v. Wildenbruchs neuestes geschichtliches Drama „Ein neuer Herr" von
dem Verfasser habe vorlesen lassen, und daß er sein Wohlgefallen darüber ge¬
äußert habe. Neben solchen Mitteilungen, die ihre sachliche Begründung in
dem halbamtlichen Hvfbericht finden, läuft aber die Legende einher. Man er¬
zählt sich in Kreisen, die dem Dichter nahe stehen, daß der Kaiser sich gegen
das im „Dentschen Theater" aufgeführte Schauspiel Wildenbruchs „Die
Haubenlerche," das sich auch in Ausschreitungen des Naturalismus gefällt,
ablehnend geäußert habe.

Das ästhetische Urteil über Sudermann und „ Svdoms Ende" kann
natürlich durch solche publizistischen Machenschaften, durch Zeitnngsmanöver
nud öffentlichen Klatsch nicht beeinflußt werden. Aber es wäre doch an der
Zeit, der Ausnutzung hoher Personen für unlautere Zwecke einen Riegel vor-
zuschieben, damit die große Masse, die nicht selbst urteilen kann, das Gefühl
der Sicherheit uüedergewinne, das in den letzten Monaten, wenn auch uicht
stark erschüttert, so doch stark auf die Probe gestellt worden ist.

„Sodoms Ende" ist nun freilich uicht dazu angethan, uns in diesem
Punkte zu beunruhigen. Es beunruhigt überhaupt nicht, sondern langweilt
nur, und wenn es wirklich Bennrnhignngeu hervorgerufen Hut, so können davon
nur die Kreise der Berliner Finanzwelt betroffen worden sein, die in dem
hohlen, wüsten Treiben des Salons der Bankiersfrnn Adas Barezinowski ein
Spiegelbild ihres eignen Daseins erkannt haben sollen. Diese Erkenntnis soll
ihnen erst später gekommen sein. Denn am ersten Abend spendeten die In¬
sassen des ersten Ranges nud der Logen lebhaften Beifall, weil ihre Mehrzahl
Sudermcmn für den ihrigen hielt, und die ganze Angelegenheit am Ende zur
Parteisache geworden war. Bielleicht sind ihnen erst die Augen geöffnet
worden, als das svzialdemvkrntische „Berliner Bvlksblatt" im höchsten Pathos
sittlicher Entrüstung schrieb- „Der Dichter, der solch eine flammende Anklage¬
schrift wider das Bestehende in die Welt schleudert, hat etwas verspürt vom
Wehen der kommenden Zeit, nud sein scharfes Ohr vernahm den wuchtigen
Schritt des Schicksals, das mit eherner Rücksichtslosigkeit die alte» abgelebten
Formen in Scherben schlagen wird, um neue Bildungen, um lebenskräftige
Gestalten an jene Stelle zu setzen." Und die „Germania," das Organ des
katholischen Radikalismus, das niemals fehlt, wo eS seine sozialdemokratischen
Brüder unterstützen kaun, machte die Charakteristik noch deutlicher, indem sie
unmittelbar zum Augriff auf die angeblich von Sudermann gemeinten Kreise
losging. „Diese Sudermannsche Gesellschaft existirt — so behauptet die
„Germania" —, aber sie ist nicht die „Berliner," nicht die ganze Gesellschaft.
Es sind hauptsächlich gewisse Börsenkreise und was sich ihnen anschließt, welche
diese Gesellschaft bilden, die Geldaristokratie, welche schnell reich geworden ist,
ohne die Noblesse der Gesinnung zu übernehmen, die man in der wirklichen,


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[0424] Solons Lndi' spiel „Die Ehre" zu bilden. Die Zeitungen melden ferner, daß sich der Kaiser Ernst v. Wildenbruchs neuestes geschichtliches Drama „Ein neuer Herr" von dem Verfasser habe vorlesen lassen, und daß er sein Wohlgefallen darüber ge¬ äußert habe. Neben solchen Mitteilungen, die ihre sachliche Begründung in dem halbamtlichen Hvfbericht finden, läuft aber die Legende einher. Man er¬ zählt sich in Kreisen, die dem Dichter nahe stehen, daß der Kaiser sich gegen das im „Dentschen Theater" aufgeführte Schauspiel Wildenbruchs „Die Haubenlerche," das sich auch in Ausschreitungen des Naturalismus gefällt, ablehnend geäußert habe. Das ästhetische Urteil über Sudermann und „ Svdoms Ende" kann natürlich durch solche publizistischen Machenschaften, durch Zeitnngsmanöver nud öffentlichen Klatsch nicht beeinflußt werden. Aber es wäre doch an der Zeit, der Ausnutzung hoher Personen für unlautere Zwecke einen Riegel vor- zuschieben, damit die große Masse, die nicht selbst urteilen kann, das Gefühl der Sicherheit uüedergewinne, das in den letzten Monaten, wenn auch uicht stark erschüttert, so doch stark auf die Probe gestellt worden ist. „Sodoms Ende" ist nun freilich uicht dazu angethan, uns in diesem Punkte zu beunruhigen. Es beunruhigt überhaupt nicht, sondern langweilt nur, und wenn es wirklich Bennrnhignngeu hervorgerufen Hut, so können davon nur die Kreise der Berliner Finanzwelt betroffen worden sein, die in dem hohlen, wüsten Treiben des Salons der Bankiersfrnn Adas Barezinowski ein Spiegelbild ihres eignen Daseins erkannt haben sollen. Diese Erkenntnis soll ihnen erst später gekommen sein. Denn am ersten Abend spendeten die In¬ sassen des ersten Ranges nud der Logen lebhaften Beifall, weil ihre Mehrzahl Sudermcmn für den ihrigen hielt, und die ganze Angelegenheit am Ende zur Parteisache geworden war. Bielleicht sind ihnen erst die Augen geöffnet worden, als das svzialdemvkrntische „Berliner Bvlksblatt" im höchsten Pathos sittlicher Entrüstung schrieb- „Der Dichter, der solch eine flammende Anklage¬ schrift wider das Bestehende in die Welt schleudert, hat etwas verspürt vom Wehen der kommenden Zeit, nud sein scharfes Ohr vernahm den wuchtigen Schritt des Schicksals, das mit eherner Rücksichtslosigkeit die alte» abgelebten Formen in Scherben schlagen wird, um neue Bildungen, um lebenskräftige Gestalten an jene Stelle zu setzen." Und die „Germania," das Organ des katholischen Radikalismus, das niemals fehlt, wo eS seine sozialdemokratischen Brüder unterstützen kaun, machte die Charakteristik noch deutlicher, indem sie unmittelbar zum Augriff auf die angeblich von Sudermann gemeinten Kreise losging. „Diese Sudermannsche Gesellschaft existirt — so behauptet die „Germania" —, aber sie ist nicht die „Berliner," nicht die ganze Gesellschaft. Es sind hauptsächlich gewisse Börsenkreise und was sich ihnen anschließt, welche diese Gesellschaft bilden, die Geldaristokratie, welche schnell reich geworden ist, ohne die Noblesse der Gesinnung zu übernehmen, die man in der wirklichen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/424>, abgerufen am 23.07.2024.