Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zu Stöckers Entlassung

keinerlei Zeichen der Gunst empfangen haben, sondern zum Teil sogar auf¬
fällig zurückgesetzt worden sind, wie es denn z. B. uicht unbemerkt geblieben
ist, daß die Herren von Puttkamer und von Kleist-Retzow zu der im Früh¬
ling dieses Jahres ans der Pfaueninsel ber Potsdam veranstalteten Festlichkeit
keine Einladung erhalten hatten, während der sogenannte Helldorfsche Flügel
der deutsch-konservativen Partei des Reichstags reichlich bedacht worden war.

Ich beschränke mich darauf, diese Thatsache anzuführen, die an sich unbe¬
deutend erscheinen mag, weil erst seit etwa sieben Monaten von einer kaiser¬
lichen Politik, im eigentlichen Sinne des Wortes, die Rede sein kann. Was
vor der Entlassung des Fürsten Bismarck von unfreundlichen Kundgebungen
gegen die "Kreuzzeitungspartei" und insbesondre gegen Stöcker bekannt ge¬
worden ist, wird wohl mit Recht auf die ausgesprochene Abneigung des Ex-
kanzlers gegen die "äußerste Rechte" zurückgeführt. Jedenfalls kann hier nicht
so scharf geschieden werden, wie es für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage
erforderlich wäre.

Ich behaupte nicht, daß zu den eben erwähnten äußern Gründen der Ab¬
kehr nicht nach und nach eine gewisse innere Erkaltung hinzugetreten sei;
Psychologisch ließe sich das wohl erklären, gewisses ist darüber indessen in den
Kreisen der Unterrichteten nicht bekannt. Nur so viel scheint festzustehen,
daß der Kaiser die kirchenpolitischen Anschauungen Stöckers und seiner Ge¬
sinnungsgenossen nicht teilt, wohl gar dagegen eingenommen ist, weil er von
ihrer Verwirklichung eine Minderung der geschichtlichen Stellung des obersten
Bischofs der evangelischen Landeskirche erwartet. Auf eine Erörterung dieser
Frage einzugehen wäre jedoch nicht am Platze. Wir haben es hier nicht damit
zu thun, wer Recht und wer Unrecht hat, sondern damit, welche Beweggründe
bei der Entlassung Stöckers mitgespielt haben mögen.

Auch der Antisemitismus ist erwähnt worden. Mail hat von Äußerungen
gesprochen, die die Großherzoge von Baden und Hessen gemacht Hütten, um
den Sturz Stöckers herbeizuführen, den sie für die Ausbreitung judenfeind¬
licher Ideen in ihren Ländern verantwortlich glaubten. Darin irren sie sich.
Stöcker hat die Judenfrage bei seiner letzten Anwesenheit in Baden kaum ge¬
streift, in Hessen-Darmstadt unsers Wissens nie öffentlich gesprochen. Daß
sich Einflüsse der gedachten Art, vielleicht auch noch höher hinauf reichende,
geregt haben mögen, soll nicht unbedingt bestritten werden, nur braucht man
ihre Tragweite uicht eben hoch anzusetzen. Angesichts der außerordentlichen
Selbständigkeit des Kaisers ist es fast unmöglich, zu erkennen, was bei seinen
Entschließungen den Ausschlag giebt. Nur Vermutungen dürften hier gestattet
sein; diese aber gehen dahin, daß die "Staatsraison," die heute die "Zusammen¬
fassung aller staatserhaltenden Elemente" erheischt, es vielleicht erfordert, die
kalt zu behandeln, auf deren Unterstützung unter allen Umständen gerechnet
werden darf, von denen man aber glaubt, daß ihre Grundsätze wie ihre Per-


Zu Stöckers Entlassung

keinerlei Zeichen der Gunst empfangen haben, sondern zum Teil sogar auf¬
fällig zurückgesetzt worden sind, wie es denn z. B. uicht unbemerkt geblieben
ist, daß die Herren von Puttkamer und von Kleist-Retzow zu der im Früh¬
ling dieses Jahres ans der Pfaueninsel ber Potsdam veranstalteten Festlichkeit
keine Einladung erhalten hatten, während der sogenannte Helldorfsche Flügel
der deutsch-konservativen Partei des Reichstags reichlich bedacht worden war.

Ich beschränke mich darauf, diese Thatsache anzuführen, die an sich unbe¬
deutend erscheinen mag, weil erst seit etwa sieben Monaten von einer kaiser¬
lichen Politik, im eigentlichen Sinne des Wortes, die Rede sein kann. Was
vor der Entlassung des Fürsten Bismarck von unfreundlichen Kundgebungen
gegen die „Kreuzzeitungspartei" und insbesondre gegen Stöcker bekannt ge¬
worden ist, wird wohl mit Recht auf die ausgesprochene Abneigung des Ex-
kanzlers gegen die „äußerste Rechte" zurückgeführt. Jedenfalls kann hier nicht
so scharf geschieden werden, wie es für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage
erforderlich wäre.

Ich behaupte nicht, daß zu den eben erwähnten äußern Gründen der Ab¬
kehr nicht nach und nach eine gewisse innere Erkaltung hinzugetreten sei;
Psychologisch ließe sich das wohl erklären, gewisses ist darüber indessen in den
Kreisen der Unterrichteten nicht bekannt. Nur so viel scheint festzustehen,
daß der Kaiser die kirchenpolitischen Anschauungen Stöckers und seiner Ge¬
sinnungsgenossen nicht teilt, wohl gar dagegen eingenommen ist, weil er von
ihrer Verwirklichung eine Minderung der geschichtlichen Stellung des obersten
Bischofs der evangelischen Landeskirche erwartet. Auf eine Erörterung dieser
Frage einzugehen wäre jedoch nicht am Platze. Wir haben es hier nicht damit
zu thun, wer Recht und wer Unrecht hat, sondern damit, welche Beweggründe
bei der Entlassung Stöckers mitgespielt haben mögen.

Auch der Antisemitismus ist erwähnt worden. Mail hat von Äußerungen
gesprochen, die die Großherzoge von Baden und Hessen gemacht Hütten, um
den Sturz Stöckers herbeizuführen, den sie für die Ausbreitung judenfeind¬
licher Ideen in ihren Ländern verantwortlich glaubten. Darin irren sie sich.
Stöcker hat die Judenfrage bei seiner letzten Anwesenheit in Baden kaum ge¬
streift, in Hessen-Darmstadt unsers Wissens nie öffentlich gesprochen. Daß
sich Einflüsse der gedachten Art, vielleicht auch noch höher hinauf reichende,
geregt haben mögen, soll nicht unbedingt bestritten werden, nur braucht man
ihre Tragweite uicht eben hoch anzusetzen. Angesichts der außerordentlichen
Selbständigkeit des Kaisers ist es fast unmöglich, zu erkennen, was bei seinen
Entschließungen den Ausschlag giebt. Nur Vermutungen dürften hier gestattet
sein; diese aber gehen dahin, daß die „Staatsraison," die heute die „Zusammen¬
fassung aller staatserhaltenden Elemente" erheischt, es vielleicht erfordert, die
kalt zu behandeln, auf deren Unterstützung unter allen Umständen gerechnet
werden darf, von denen man aber glaubt, daß ihre Grundsätze wie ihre Per-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208960"/>
          <fw type="header" place="top"> Zu Stöckers Entlassung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> keinerlei Zeichen der Gunst empfangen haben, sondern zum Teil sogar auf¬<lb/>
fällig zurückgesetzt worden sind, wie es denn z. B. uicht unbemerkt geblieben<lb/>
ist, daß die Herren von Puttkamer und von Kleist-Retzow zu der im Früh¬<lb/>
ling dieses Jahres ans der Pfaueninsel ber Potsdam veranstalteten Festlichkeit<lb/>
keine Einladung erhalten hatten, während der sogenannte Helldorfsche Flügel<lb/>
der deutsch-konservativen Partei des Reichstags reichlich bedacht worden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Ich beschränke mich darauf, diese Thatsache anzuführen, die an sich unbe¬<lb/>
deutend erscheinen mag, weil erst seit etwa sieben Monaten von einer kaiser¬<lb/>
lichen Politik, im eigentlichen Sinne des Wortes, die Rede sein kann. Was<lb/>
vor der Entlassung des Fürsten Bismarck von unfreundlichen Kundgebungen<lb/>
gegen die &#x201E;Kreuzzeitungspartei" und insbesondre gegen Stöcker bekannt ge¬<lb/>
worden ist, wird wohl mit Recht auf die ausgesprochene Abneigung des Ex-<lb/>
kanzlers gegen die &#x201E;äußerste Rechte" zurückgeführt. Jedenfalls kann hier nicht<lb/>
so scharf geschieden werden, wie es für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage<lb/>
erforderlich wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> Ich behaupte nicht, daß zu den eben erwähnten äußern Gründen der Ab¬<lb/>
kehr nicht nach und nach eine gewisse innere Erkaltung hinzugetreten sei;<lb/>
Psychologisch ließe sich das wohl erklären, gewisses ist darüber indessen in den<lb/>
Kreisen der Unterrichteten nicht bekannt. Nur so viel scheint festzustehen,<lb/>
daß der Kaiser die kirchenpolitischen Anschauungen Stöckers und seiner Ge¬<lb/>
sinnungsgenossen nicht teilt, wohl gar dagegen eingenommen ist, weil er von<lb/>
ihrer Verwirklichung eine Minderung der geschichtlichen Stellung des obersten<lb/>
Bischofs der evangelischen Landeskirche erwartet. Auf eine Erörterung dieser<lb/>
Frage einzugehen wäre jedoch nicht am Platze. Wir haben es hier nicht damit<lb/>
zu thun, wer Recht und wer Unrecht hat, sondern damit, welche Beweggründe<lb/>
bei der Entlassung Stöckers mitgespielt haben mögen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074" next="#ID_1075"> Auch der Antisemitismus ist erwähnt worden. Mail hat von Äußerungen<lb/>
gesprochen, die die Großherzoge von Baden und Hessen gemacht Hütten, um<lb/>
den Sturz Stöckers herbeizuführen, den sie für die Ausbreitung judenfeind¬<lb/>
licher Ideen in ihren Ländern verantwortlich glaubten. Darin irren sie sich.<lb/>
Stöcker hat die Judenfrage bei seiner letzten Anwesenheit in Baden kaum ge¬<lb/>
streift, in Hessen-Darmstadt unsers Wissens nie öffentlich gesprochen. Daß<lb/>
sich Einflüsse der gedachten Art, vielleicht auch noch höher hinauf reichende,<lb/>
geregt haben mögen, soll nicht unbedingt bestritten werden, nur braucht man<lb/>
ihre Tragweite uicht eben hoch anzusetzen. Angesichts der außerordentlichen<lb/>
Selbständigkeit des Kaisers ist es fast unmöglich, zu erkennen, was bei seinen<lb/>
Entschließungen den Ausschlag giebt. Nur Vermutungen dürften hier gestattet<lb/>
sein; diese aber gehen dahin, daß die &#x201E;Staatsraison," die heute die &#x201E;Zusammen¬<lb/>
fassung aller staatserhaltenden Elemente" erheischt, es vielleicht erfordert, die<lb/>
kalt zu behandeln, auf deren Unterstützung unter allen Umständen gerechnet<lb/>
werden darf, von denen man aber glaubt, daß ihre Grundsätze wie ihre Per-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] Zu Stöckers Entlassung keinerlei Zeichen der Gunst empfangen haben, sondern zum Teil sogar auf¬ fällig zurückgesetzt worden sind, wie es denn z. B. uicht unbemerkt geblieben ist, daß die Herren von Puttkamer und von Kleist-Retzow zu der im Früh¬ ling dieses Jahres ans der Pfaueninsel ber Potsdam veranstalteten Festlichkeit keine Einladung erhalten hatten, während der sogenannte Helldorfsche Flügel der deutsch-konservativen Partei des Reichstags reichlich bedacht worden war. Ich beschränke mich darauf, diese Thatsache anzuführen, die an sich unbe¬ deutend erscheinen mag, weil erst seit etwa sieben Monaten von einer kaiser¬ lichen Politik, im eigentlichen Sinne des Wortes, die Rede sein kann. Was vor der Entlassung des Fürsten Bismarck von unfreundlichen Kundgebungen gegen die „Kreuzzeitungspartei" und insbesondre gegen Stöcker bekannt ge¬ worden ist, wird wohl mit Recht auf die ausgesprochene Abneigung des Ex- kanzlers gegen die „äußerste Rechte" zurückgeführt. Jedenfalls kann hier nicht so scharf geschieden werden, wie es für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage erforderlich wäre. Ich behaupte nicht, daß zu den eben erwähnten äußern Gründen der Ab¬ kehr nicht nach und nach eine gewisse innere Erkaltung hinzugetreten sei; Psychologisch ließe sich das wohl erklären, gewisses ist darüber indessen in den Kreisen der Unterrichteten nicht bekannt. Nur so viel scheint festzustehen, daß der Kaiser die kirchenpolitischen Anschauungen Stöckers und seiner Ge¬ sinnungsgenossen nicht teilt, wohl gar dagegen eingenommen ist, weil er von ihrer Verwirklichung eine Minderung der geschichtlichen Stellung des obersten Bischofs der evangelischen Landeskirche erwartet. Auf eine Erörterung dieser Frage einzugehen wäre jedoch nicht am Platze. Wir haben es hier nicht damit zu thun, wer Recht und wer Unrecht hat, sondern damit, welche Beweggründe bei der Entlassung Stöckers mitgespielt haben mögen. Auch der Antisemitismus ist erwähnt worden. Mail hat von Äußerungen gesprochen, die die Großherzoge von Baden und Hessen gemacht Hütten, um den Sturz Stöckers herbeizuführen, den sie für die Ausbreitung judenfeind¬ licher Ideen in ihren Ländern verantwortlich glaubten. Darin irren sie sich. Stöcker hat die Judenfrage bei seiner letzten Anwesenheit in Baden kaum ge¬ streift, in Hessen-Darmstadt unsers Wissens nie öffentlich gesprochen. Daß sich Einflüsse der gedachten Art, vielleicht auch noch höher hinauf reichende, geregt haben mögen, soll nicht unbedingt bestritten werden, nur braucht man ihre Tragweite uicht eben hoch anzusetzen. Angesichts der außerordentlichen Selbständigkeit des Kaisers ist es fast unmöglich, zu erkennen, was bei seinen Entschließungen den Ausschlag giebt. Nur Vermutungen dürften hier gestattet sein; diese aber gehen dahin, daß die „Staatsraison," die heute die „Zusammen¬ fassung aller staatserhaltenden Elemente" erheischt, es vielleicht erfordert, die kalt zu behandeln, auf deren Unterstützung unter allen Umständen gerechnet werden darf, von denen man aber glaubt, daß ihre Grundsätze wie ihre Per-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/381>, abgerufen am 23.07.2024.