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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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jeder Empfindung bare Verbindung von grünen, blauen, roten und gelben
Flecken, aus denen die Schwärmer für die "neue Kunst" bereits Gesundheit,
bezaubernde Frische, Schönheit, poetische Stimmung, berauschenden Farbenklang
und andre wohlklingende Dinge herausgelesen und sogar herausgehört haben,
verhält sich zur wirklichen Malerei wie das Stammeln eines unvernünftigen
Kindes zu der ausgebildeten Sprache des ausgewachsenen, vernunftbegabten
Menschen. Ebenso beschränkt aber wie die malerischen Ausdrucksmittel der
Schotten ist ihr geistiger Gesichtskreis, ihr Stoffgebiet. Wir sehen fast aus¬
schließlich Naturausschnitte, wie sie der Zufall dem Auge des Malers geboten
hat: Wald-, Haide- und Küstenlandschaften, Wiesen, Äcker und Gärten mit
Hirten, Frauen, Kindern, Rindvieh und Schafen, am liebsten in der Abend¬
dämmerung oder sonst einem nicht weiter motivirten Dunkel, in dem sich die
Roheiten der malerischen Handschrift zu ihrem Vorteile, womöglich noch unter
dem Vorwande elegischer Stimmung, verbergen können. Und das sind nicht
etwa Skizzen, Vorstudien, sondern fertige Gemälde, deren Schöpfer sich nnter
dem Beifall litterarischer Gesinnungsgenossen einbilden, die Natur erst in ihrem
wahren Wesen erkannt und zugleich die Kunst von ihren bisherigen Irrwegen
zurückgeführt zu haben! Es hat keinen Zweck, hier eine lange Reihe von
Namen anzuführen, deren Träger ohnehin keine so scharf ausgeprägten Züge
besitzen, daß sie in der Mache und in der Naturanschauung merklich von ein¬
ander verschieden wären. Es genügt, wenn wir George Henry, Alexander
Frew, Thomas Grosvenor, David Gault, Edward Hornet und James Paterson
als die nennen, die in der gründlichen Verachtung von Zeichnung, Formen-
gebung und koloristischer Durchbildung am weitesten gegangen sind. Einer
ganz bedingungslosen Anerkennung scheint sich dieses neue Evangelium der
Kunst übrigens auch in Glasgow nicht zu erfreuen, da einige Maler sich zu
Kompromissen verstanden haben, und die Münchner Jury ist so vorsichtig ge¬
wesen, gerade sie für die Medaillenverteilung auszuwählen. So haben James
Guthrie und Edo. Arts. Walton die erste und die zweite Medaille nicht für ihre
durchaus in dem rohen, impressionistischen Stile ihrer Genossen gehaltenen
Landschaften in Öl, Pastell und Aquarell erhalten, sondern für ihre Bildnisse,
in denen der wilde Naturalismus sich zu einer verständlicheren Ausdrucksweise
gemüßigt hat. Das besonders mit der ersten Medaille ausgezeichnete Porträt
des Reverend Dr. Gardener von James Guthrie könnte sogar die Vermutung
nahelegen, daß sein Schöpfer sich gelegentlich mit dem Studium des Velasquez
beschäftigt habe, wenn damit nicht eine haltlose Verdächtigung von Leuten aus¬
gesprochen wäre, die die Malerei von Grund aus neu erfunden haben. Ein
Dritter der mit Medaillen ausgezeichneter Glasgower, John Lavery, ist ein
Landschaftsmaler, dessen prümiirtes Bild, ein Tennispark, sich ebenfalls von
den tollsten Ausschreitungen der schottischen Naturalisten fern hält. Wenn
man sich unter ihren deutschen Gesinnungsgenossen umsieht, wird mau übrigens


jeder Empfindung bare Verbindung von grünen, blauen, roten und gelben
Flecken, aus denen die Schwärmer für die „neue Kunst" bereits Gesundheit,
bezaubernde Frische, Schönheit, poetische Stimmung, berauschenden Farbenklang
und andre wohlklingende Dinge herausgelesen und sogar herausgehört haben,
verhält sich zur wirklichen Malerei wie das Stammeln eines unvernünftigen
Kindes zu der ausgebildeten Sprache des ausgewachsenen, vernunftbegabten
Menschen. Ebenso beschränkt aber wie die malerischen Ausdrucksmittel der
Schotten ist ihr geistiger Gesichtskreis, ihr Stoffgebiet. Wir sehen fast aus¬
schließlich Naturausschnitte, wie sie der Zufall dem Auge des Malers geboten
hat: Wald-, Haide- und Küstenlandschaften, Wiesen, Äcker und Gärten mit
Hirten, Frauen, Kindern, Rindvieh und Schafen, am liebsten in der Abend¬
dämmerung oder sonst einem nicht weiter motivirten Dunkel, in dem sich die
Roheiten der malerischen Handschrift zu ihrem Vorteile, womöglich noch unter
dem Vorwande elegischer Stimmung, verbergen können. Und das sind nicht
etwa Skizzen, Vorstudien, sondern fertige Gemälde, deren Schöpfer sich nnter
dem Beifall litterarischer Gesinnungsgenossen einbilden, die Natur erst in ihrem
wahren Wesen erkannt und zugleich die Kunst von ihren bisherigen Irrwegen
zurückgeführt zu haben! Es hat keinen Zweck, hier eine lange Reihe von
Namen anzuführen, deren Träger ohnehin keine so scharf ausgeprägten Züge
besitzen, daß sie in der Mache und in der Naturanschauung merklich von ein¬
ander verschieden wären. Es genügt, wenn wir George Henry, Alexander
Frew, Thomas Grosvenor, David Gault, Edward Hornet und James Paterson
als die nennen, die in der gründlichen Verachtung von Zeichnung, Formen-
gebung und koloristischer Durchbildung am weitesten gegangen sind. Einer
ganz bedingungslosen Anerkennung scheint sich dieses neue Evangelium der
Kunst übrigens auch in Glasgow nicht zu erfreuen, da einige Maler sich zu
Kompromissen verstanden haben, und die Münchner Jury ist so vorsichtig ge¬
wesen, gerade sie für die Medaillenverteilung auszuwählen. So haben James
Guthrie und Edo. Arts. Walton die erste und die zweite Medaille nicht für ihre
durchaus in dem rohen, impressionistischen Stile ihrer Genossen gehaltenen
Landschaften in Öl, Pastell und Aquarell erhalten, sondern für ihre Bildnisse,
in denen der wilde Naturalismus sich zu einer verständlicheren Ausdrucksweise
gemüßigt hat. Das besonders mit der ersten Medaille ausgezeichnete Porträt
des Reverend Dr. Gardener von James Guthrie könnte sogar die Vermutung
nahelegen, daß sein Schöpfer sich gelegentlich mit dem Studium des Velasquez
beschäftigt habe, wenn damit nicht eine haltlose Verdächtigung von Leuten aus¬
gesprochen wäre, die die Malerei von Grund aus neu erfunden haben. Ein
Dritter der mit Medaillen ausgezeichneter Glasgower, John Lavery, ist ein
Landschaftsmaler, dessen prümiirtes Bild, ein Tennispark, sich ebenfalls von
den tollsten Ausschreitungen der schottischen Naturalisten fern hält. Wenn
man sich unter ihren deutschen Gesinnungsgenossen umsieht, wird mau übrigens


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[0038] jeder Empfindung bare Verbindung von grünen, blauen, roten und gelben Flecken, aus denen die Schwärmer für die „neue Kunst" bereits Gesundheit, bezaubernde Frische, Schönheit, poetische Stimmung, berauschenden Farbenklang und andre wohlklingende Dinge herausgelesen und sogar herausgehört haben, verhält sich zur wirklichen Malerei wie das Stammeln eines unvernünftigen Kindes zu der ausgebildeten Sprache des ausgewachsenen, vernunftbegabten Menschen. Ebenso beschränkt aber wie die malerischen Ausdrucksmittel der Schotten ist ihr geistiger Gesichtskreis, ihr Stoffgebiet. Wir sehen fast aus¬ schließlich Naturausschnitte, wie sie der Zufall dem Auge des Malers geboten hat: Wald-, Haide- und Küstenlandschaften, Wiesen, Äcker und Gärten mit Hirten, Frauen, Kindern, Rindvieh und Schafen, am liebsten in der Abend¬ dämmerung oder sonst einem nicht weiter motivirten Dunkel, in dem sich die Roheiten der malerischen Handschrift zu ihrem Vorteile, womöglich noch unter dem Vorwande elegischer Stimmung, verbergen können. Und das sind nicht etwa Skizzen, Vorstudien, sondern fertige Gemälde, deren Schöpfer sich nnter dem Beifall litterarischer Gesinnungsgenossen einbilden, die Natur erst in ihrem wahren Wesen erkannt und zugleich die Kunst von ihren bisherigen Irrwegen zurückgeführt zu haben! Es hat keinen Zweck, hier eine lange Reihe von Namen anzuführen, deren Träger ohnehin keine so scharf ausgeprägten Züge besitzen, daß sie in der Mache und in der Naturanschauung merklich von ein¬ ander verschieden wären. Es genügt, wenn wir George Henry, Alexander Frew, Thomas Grosvenor, David Gault, Edward Hornet und James Paterson als die nennen, die in der gründlichen Verachtung von Zeichnung, Formen- gebung und koloristischer Durchbildung am weitesten gegangen sind. Einer ganz bedingungslosen Anerkennung scheint sich dieses neue Evangelium der Kunst übrigens auch in Glasgow nicht zu erfreuen, da einige Maler sich zu Kompromissen verstanden haben, und die Münchner Jury ist so vorsichtig ge¬ wesen, gerade sie für die Medaillenverteilung auszuwählen. So haben James Guthrie und Edo. Arts. Walton die erste und die zweite Medaille nicht für ihre durchaus in dem rohen, impressionistischen Stile ihrer Genossen gehaltenen Landschaften in Öl, Pastell und Aquarell erhalten, sondern für ihre Bildnisse, in denen der wilde Naturalismus sich zu einer verständlicheren Ausdrucksweise gemüßigt hat. Das besonders mit der ersten Medaille ausgezeichnete Porträt des Reverend Dr. Gardener von James Guthrie könnte sogar die Vermutung nahelegen, daß sein Schöpfer sich gelegentlich mit dem Studium des Velasquez beschäftigt habe, wenn damit nicht eine haltlose Verdächtigung von Leuten aus¬ gesprochen wäre, die die Malerei von Grund aus neu erfunden haben. Ein Dritter der mit Medaillen ausgezeichneter Glasgower, John Lavery, ist ein Landschaftsmaler, dessen prümiirtes Bild, ein Tennispark, sich ebenfalls von den tollsten Ausschreitungen der schottischen Naturalisten fern hält. Wenn man sich unter ihren deutschen Gesinnungsgenossen umsieht, wird mau übrigens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/38>, abgerufen am 23.07.2024.