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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Verwechselung zwischen Pastell und Aquarell herbeizuführen, oder ob es einem
Franzosen gelungen ist, mit Gonnchefarben so pastos zu malen, daß man sein
Experiment ans einiger Entfernung für eine Ölskizze hält. Es scheint auch,
daß die Ausstellung im Publikum nicht das sür ihre Unterhaltung nötige
Interesse gefunden hat, da sie mit einem ziemlich beträchtlichen Fehlbetrag
abgeschlossen hat. Dagegen hat mir der internationale Teil der Münchner
Ausstellung noch Stoss zu einigen Beobachtungen gegeben, die ich hier an¬
schließen will, damit der Leser dnrch einen Überblick über das Kunstschaffen
der andern europäischen Kulturvölker einen Maßstab zur Beurteilung der
Kunststufe des eignen Volkes gewinne. Etwas Vollständiges kann ich freilich
nicht bieten; dazu war das von der Münchner Allsstellung gelieferte Material
zu gering. Zu gering, trotz eines Aufwandes von Kosten, der so groß war,
daß nach einem vorläufigen Überschlag nur 20000 Mark aus den Eintritts¬
geldern übrig geblieben sind. Das ist eine winzige Summe im Verhältnis zu
dem Apparat, der für die Jnszenirung einer solchen Kunstansstellniig in Be¬
wegung gesetzt worden ist.

Am meisten beschämend für das Liebeswerben der Münchner ist die kühle
Zurückhaltung der Franzosen gewesen, obwohl sie seit 1879 durch die gewag¬
testen Medaillenverteilungen verwöhnt worden sind. Wer die französische Kunst
wirklich kennt lind sich darnach den französische" Anteil an der Münchner
Ausstellung besah, dem mußte die Schamröte ins Antlitz steigen über die
Verachtung, mit der die französischen Künstler die deutschen Bücklinge bezahlt
haben. Die gröbsten naturalistischen Verirrungen, wie z. B. der Arbeitsplatz
in Suresnes und ein paar alte Weiber von Roll, die Flucht Knins von
Henrh Martin, der Besuch im Krankenhause von Louis Jimenez, die tollen
Farbenexperimente von P. A. Besuard, die fratzenhaften Porträts von Jean
Boldini und die frechen Portrütbüsten und -Statuetten von Ringel d'Jllzach
waren nebst einigen von den letzten Salons übrig gebliebenen, ganz unter¬
geordneten Genrebildern, Landschaften und Stillleben das Bemerkenswerteste,
das die Franzosen für München übrig gehabt hatten. Was sonst von Paris
gekommen war, stand hinter deutschen Leistungen ähnlichen Inhalts weit zurück.
Der widerliche Naturalismus eines Ringel d'Jllzach, der seine Gips- lind
Thvnbildwerke in der rohesten Weise, ohne eine Spur von künstlerischer
Empfindung bemalt oder vielmehr anstreicht, hat eine vernichtende Kritik er¬
fahren in einer Gruppe des Wieners Arthur straffer, "Geheimnis des Grabes"
-- ein Araber in rotem Kasten, der als Hüter vor einem altägyptischen
Felsengrabe steht --, und noch mehr in einigen farbigen Terrakottabüsten und
-Figuren vou Mohren und Mvhrinnen des Römers Pagcmo, die beide das
richtige Gefühl gehabt habe", durch die Modclliruiig, durch die Behaudlung
des bilduerischen Stoffes der Malerei vorzuarbeiten und diese nur so weit zu
beteiligen, daß das plastische Material mitwirken kann.


Verwechselung zwischen Pastell und Aquarell herbeizuführen, oder ob es einem
Franzosen gelungen ist, mit Gonnchefarben so pastos zu malen, daß man sein
Experiment ans einiger Entfernung für eine Ölskizze hält. Es scheint auch,
daß die Ausstellung im Publikum nicht das sür ihre Unterhaltung nötige
Interesse gefunden hat, da sie mit einem ziemlich beträchtlichen Fehlbetrag
abgeschlossen hat. Dagegen hat mir der internationale Teil der Münchner
Ausstellung noch Stoss zu einigen Beobachtungen gegeben, die ich hier an¬
schließen will, damit der Leser dnrch einen Überblick über das Kunstschaffen
der andern europäischen Kulturvölker einen Maßstab zur Beurteilung der
Kunststufe des eignen Volkes gewinne. Etwas Vollständiges kann ich freilich
nicht bieten; dazu war das von der Münchner Allsstellung gelieferte Material
zu gering. Zu gering, trotz eines Aufwandes von Kosten, der so groß war,
daß nach einem vorläufigen Überschlag nur 20000 Mark aus den Eintritts¬
geldern übrig geblieben sind. Das ist eine winzige Summe im Verhältnis zu
dem Apparat, der für die Jnszenirung einer solchen Kunstansstellniig in Be¬
wegung gesetzt worden ist.

Am meisten beschämend für das Liebeswerben der Münchner ist die kühle
Zurückhaltung der Franzosen gewesen, obwohl sie seit 1879 durch die gewag¬
testen Medaillenverteilungen verwöhnt worden sind. Wer die französische Kunst
wirklich kennt lind sich darnach den französische» Anteil an der Münchner
Ausstellung besah, dem mußte die Schamröte ins Antlitz steigen über die
Verachtung, mit der die französischen Künstler die deutschen Bücklinge bezahlt
haben. Die gröbsten naturalistischen Verirrungen, wie z. B. der Arbeitsplatz
in Suresnes und ein paar alte Weiber von Roll, die Flucht Knins von
Henrh Martin, der Besuch im Krankenhause von Louis Jimenez, die tollen
Farbenexperimente von P. A. Besuard, die fratzenhaften Porträts von Jean
Boldini und die frechen Portrütbüsten und -Statuetten von Ringel d'Jllzach
waren nebst einigen von den letzten Salons übrig gebliebenen, ganz unter¬
geordneten Genrebildern, Landschaften und Stillleben das Bemerkenswerteste,
das die Franzosen für München übrig gehabt hatten. Was sonst von Paris
gekommen war, stand hinter deutschen Leistungen ähnlichen Inhalts weit zurück.
Der widerliche Naturalismus eines Ringel d'Jllzach, der seine Gips- lind
Thvnbildwerke in der rohesten Weise, ohne eine Spur von künstlerischer
Empfindung bemalt oder vielmehr anstreicht, hat eine vernichtende Kritik er¬
fahren in einer Gruppe des Wieners Arthur straffer, „Geheimnis des Grabes"
— ein Araber in rotem Kasten, der als Hüter vor einem altägyptischen
Felsengrabe steht —, und noch mehr in einigen farbigen Terrakottabüsten und
-Figuren vou Mohren und Mvhrinnen des Römers Pagcmo, die beide das
richtige Gefühl gehabt habe», durch die Modclliruiig, durch die Behaudlung
des bilduerischen Stoffes der Malerei vorzuarbeiten und diese nur so weit zu
beteiligen, daß das plastische Material mitwirken kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/376>, abgerufen am 23.07.2024.