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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden

neuen Experimenten beobachtet. Kaum hat Max Klinger die Verehrer seiner
barocken Einfälle, die sich an dem Mhstizismus seiner Hieroglyphen bis zur
Sinnlosigkeit berauschen, durch seine geistreiche Nadelführnng in das höchste
Stadium des Entzückens versetzt, so greift er Mieder zum Grabstichel und
sendet Blätter in die Welt, die entweder die Grabstichel- und Nadirtechnik ver¬
einigen oder reine Grabstichelarbeiten sind. Der in London lebende Schwede
Axel Haig hat seit Jahren alle Freunde der Ncidirung durch seine großartig
aufgefaßten, zu voller plastischer Wirkung herausgearbeiteten Ansichten gothischer
Kathedralen und durch andre Architektnl'Male mit höchster Bewunderung er¬
füllt. Aber bei dieser Wirkung will sein unruhig tastender Sinn nicht stehen
bleiben. Er radirt jetzt nicht mehr auf der Kupferplatte, sondern auf Stein,
und damit ist er glücklich wieder auf den Standpunkt zurückgekommen, den die
Lithographie vor Jahren erreicht hatte und auch festgehalten hätte, wenn sie
nicht durch vermeintlich vornehmere reproduzirende Künste beiseite geschoben
worden wäre.

Vom höchsten künstlerischen Standpunkt ist diese Nermischnng und Ver¬
bindung verschiedenartiger Ausdrucksmittel nicht zu tadeln. Sie wird am Ende
nur dazu beitragen, daß das Wie, das uns schon viel zu lange in der Kunst
beschäftigt hat, wieder einmal hinter dem Was zurücktreten, daß uns der
geistige Gehalt wieder mehr sein wird als die Form. Aber damit ist zugleich
ausgesprochen, daß Ausstellungen, die einzelne Zweige der künstlerischen Technik
aus dem Gesamtbilde der darstellenden, d. h. der bildenden Kunst im engern
Sinne herausheben und mit dieser Vereinzelung einen Erziehungs- und Bildungs¬
zweck verfolgen wollen, in dem Grade an Daseinsberechtigung verlieren, als
diese einzelnen Zweige der Technik in einander übergreifen oder sich dem voll-
kommensten Ausdrucksmittel der farbigen Kunst, der Ölmalerei, zu nähern
suchen. Wenn man die zweite Dresdner Aquarellausstellung unter diesem
Gesichtspunkte betrachtet, wird mau ihr kein höheres Verdienst anrechnen können,
als daß sie kunstübenden Dilettanten ein reichliches Lehrmaterial geliefert, uns
noch einmal ein mehr erschreckendes als erstellendes Bild von der Illustration^
Wut unsrer Tage entrollt, im übrigen aber nicht viel mehr geboten hat, als
was wir auf jeder großen Münchner und Berliner Kunstausstellung zu sehen
bekommen, die schon seit Jahren mit stetig wachsendem Erfolg Aquarellmaler
und Pastellzeichner zur Beteiligung aufmuntern. Daß schließlich diese Aquarell-
ansstellungen nur Nachahmungen der jährlichen ^xxositiouZ nich ?öirckre,L
^.<irmr<zi1ist08 se I^töllistos in Paris sind, will ich nur beiläufig erwähnen,
ohne ans eine Erscheinung, an die wir uns wohl oder übel gewöhnen müssen,
ein besondres Gewicht zu legen.

Es verlohnt demnach nicht der Mühe, auf die Dresdner Aquarellansstellung
im einzelnen einzugehen. Für den Fortschritt der Kunst kommt am Ende nichts
dabei heraus, ob ein Holländer einen neuen Kniff erfunden hat, um eine


Die Kunstausstellungen in München und Dresden

neuen Experimenten beobachtet. Kaum hat Max Klinger die Verehrer seiner
barocken Einfälle, die sich an dem Mhstizismus seiner Hieroglyphen bis zur
Sinnlosigkeit berauschen, durch seine geistreiche Nadelführnng in das höchste
Stadium des Entzückens versetzt, so greift er Mieder zum Grabstichel und
sendet Blätter in die Welt, die entweder die Grabstichel- und Nadirtechnik ver¬
einigen oder reine Grabstichelarbeiten sind. Der in London lebende Schwede
Axel Haig hat seit Jahren alle Freunde der Ncidirung durch seine großartig
aufgefaßten, zu voller plastischer Wirkung herausgearbeiteten Ansichten gothischer
Kathedralen und durch andre Architektnl'Male mit höchster Bewunderung er¬
füllt. Aber bei dieser Wirkung will sein unruhig tastender Sinn nicht stehen
bleiben. Er radirt jetzt nicht mehr auf der Kupferplatte, sondern auf Stein,
und damit ist er glücklich wieder auf den Standpunkt zurückgekommen, den die
Lithographie vor Jahren erreicht hatte und auch festgehalten hätte, wenn sie
nicht durch vermeintlich vornehmere reproduzirende Künste beiseite geschoben
worden wäre.

Vom höchsten künstlerischen Standpunkt ist diese Nermischnng und Ver¬
bindung verschiedenartiger Ausdrucksmittel nicht zu tadeln. Sie wird am Ende
nur dazu beitragen, daß das Wie, das uns schon viel zu lange in der Kunst
beschäftigt hat, wieder einmal hinter dem Was zurücktreten, daß uns der
geistige Gehalt wieder mehr sein wird als die Form. Aber damit ist zugleich
ausgesprochen, daß Ausstellungen, die einzelne Zweige der künstlerischen Technik
aus dem Gesamtbilde der darstellenden, d. h. der bildenden Kunst im engern
Sinne herausheben und mit dieser Vereinzelung einen Erziehungs- und Bildungs¬
zweck verfolgen wollen, in dem Grade an Daseinsberechtigung verlieren, als
diese einzelnen Zweige der Technik in einander übergreifen oder sich dem voll-
kommensten Ausdrucksmittel der farbigen Kunst, der Ölmalerei, zu nähern
suchen. Wenn man die zweite Dresdner Aquarellausstellung unter diesem
Gesichtspunkte betrachtet, wird mau ihr kein höheres Verdienst anrechnen können,
als daß sie kunstübenden Dilettanten ein reichliches Lehrmaterial geliefert, uns
noch einmal ein mehr erschreckendes als erstellendes Bild von der Illustration^
Wut unsrer Tage entrollt, im übrigen aber nicht viel mehr geboten hat, als
was wir auf jeder großen Münchner und Berliner Kunstausstellung zu sehen
bekommen, die schon seit Jahren mit stetig wachsendem Erfolg Aquarellmaler
und Pastellzeichner zur Beteiligung aufmuntern. Daß schließlich diese Aquarell-
ansstellungen nur Nachahmungen der jährlichen ^xxositiouZ nich ?öirckre,L
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ohne ans eine Erscheinung, an die wir uns wohl oder übel gewöhnen müssen,
ein besondres Gewicht zu legen.

Es verlohnt demnach nicht der Mühe, auf die Dresdner Aquarellansstellung
im einzelnen einzugehen. Für den Fortschritt der Kunst kommt am Ende nichts
dabei heraus, ob ein Holländer einen neuen Kniff erfunden hat, um eine


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[0375] Die Kunstausstellungen in München und Dresden neuen Experimenten beobachtet. Kaum hat Max Klinger die Verehrer seiner barocken Einfälle, die sich an dem Mhstizismus seiner Hieroglyphen bis zur Sinnlosigkeit berauschen, durch seine geistreiche Nadelführnng in das höchste Stadium des Entzückens versetzt, so greift er Mieder zum Grabstichel und sendet Blätter in die Welt, die entweder die Grabstichel- und Nadirtechnik ver¬ einigen oder reine Grabstichelarbeiten sind. Der in London lebende Schwede Axel Haig hat seit Jahren alle Freunde der Ncidirung durch seine großartig aufgefaßten, zu voller plastischer Wirkung herausgearbeiteten Ansichten gothischer Kathedralen und durch andre Architektnl'Male mit höchster Bewunderung er¬ füllt. Aber bei dieser Wirkung will sein unruhig tastender Sinn nicht stehen bleiben. Er radirt jetzt nicht mehr auf der Kupferplatte, sondern auf Stein, und damit ist er glücklich wieder auf den Standpunkt zurückgekommen, den die Lithographie vor Jahren erreicht hatte und auch festgehalten hätte, wenn sie nicht durch vermeintlich vornehmere reproduzirende Künste beiseite geschoben worden wäre. Vom höchsten künstlerischen Standpunkt ist diese Nermischnng und Ver¬ bindung verschiedenartiger Ausdrucksmittel nicht zu tadeln. Sie wird am Ende nur dazu beitragen, daß das Wie, das uns schon viel zu lange in der Kunst beschäftigt hat, wieder einmal hinter dem Was zurücktreten, daß uns der geistige Gehalt wieder mehr sein wird als die Form. Aber damit ist zugleich ausgesprochen, daß Ausstellungen, die einzelne Zweige der künstlerischen Technik aus dem Gesamtbilde der darstellenden, d. h. der bildenden Kunst im engern Sinne herausheben und mit dieser Vereinzelung einen Erziehungs- und Bildungs¬ zweck verfolgen wollen, in dem Grade an Daseinsberechtigung verlieren, als diese einzelnen Zweige der Technik in einander übergreifen oder sich dem voll- kommensten Ausdrucksmittel der farbigen Kunst, der Ölmalerei, zu nähern suchen. Wenn man die zweite Dresdner Aquarellausstellung unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, wird mau ihr kein höheres Verdienst anrechnen können, als daß sie kunstübenden Dilettanten ein reichliches Lehrmaterial geliefert, uns noch einmal ein mehr erschreckendes als erstellendes Bild von der Illustration^ Wut unsrer Tage entrollt, im übrigen aber nicht viel mehr geboten hat, als was wir auf jeder großen Münchner und Berliner Kunstausstellung zu sehen bekommen, die schon seit Jahren mit stetig wachsendem Erfolg Aquarellmaler und Pastellzeichner zur Beteiligung aufmuntern. Daß schließlich diese Aquarell- ansstellungen nur Nachahmungen der jährlichen ^xxositiouZ nich ?öirckre,L ^.<irmr<zi1ist08 se I^töllistos in Paris sind, will ich nur beiläufig erwähnen, ohne ans eine Erscheinung, an die wir uns wohl oder übel gewöhnen müssen, ein besondres Gewicht zu legen. Es verlohnt demnach nicht der Mühe, auf die Dresdner Aquarellansstellung im einzelnen einzugehen. Für den Fortschritt der Kunst kommt am Ende nichts dabei heraus, ob ein Holländer einen neuen Kniff erfunden hat, um eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/375>, abgerufen am 23.07.2024.