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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden

machen sich in der modernen Kunstbewegung geltend, sondern die treibende
Kraft ist einzig und allein die Frage nach der Wirkung. Wirkt das Kunst¬
werk oder wirkt es nicht? Das ist die Frage, die in den Ateliers zuerst auf¬
geworfen, die dann in weitere Kreise getragen und in den öffentlichen Aus¬
stellungen zur vorläufigen Entscheidung gebracht wird. Auf die Wirkung allein
wird ein Bild gemalt und ein plastisches Kunstwerk aufgerichtet. Was nicht
wirkt, hat keine Daseinsberechtigung, und in diesem angstvollen Hasten nach
Wirkung gipfelt und verzettelt sich unsre moderne Kunst.

Die deutschen Künstler sind in ihrer Mehrzahl keine Revolutionäre im
politischen und sozialen Leben. Daß einmal ein Architekt in Dresden Barri¬
kade" gebaut hat und ein andrer in Mecklenburg jahrelang sozialdemokratischer
Reichstagsabgeordneter gewesen ist, sind vereinzelte Erscheinungen, die nichts
für einen ganzen Stand beweisen. Was unsre Künstler aber nicht im Leben
ausüben wollen, weil sie wissen, daß ihr Gedeihen nur in einem geordneten
Staatsleben wurzeln kann, nicht in der Republik, sondern in der starken
Monarchie, nicht in den von sozialistischen Ideen bewegten Volksmassen, sondern
in der ruhig auf dem Erworbenen sitzenden "Bourgeoisie," so gebe" sie das,
was jeder Mensch an revolutionärem Drang, an Umsturzideen in sich hat, in
ihrem Handwerk aus. Nicht ihre Gedanken sind revolutionär, sondern nnr
ihre Ausdrucksmittel, die im Grunde genommen Nebensachen sind. Und wie
sie nicht lange bei den reinen, keuschen Wasserfarben stehen geblieben sind, so
haben sie sich auch nicht lange mit den flüchtigen Pnstellstiften allein begnügt.
Wie sie durch Deckweiß die Wirkung der Wasserfarben verstärkt, durch An¬
wendung von Gummi gewisse Tiefen und Glanzlichter erzielt haben, die mit
den Wasserfarben allein nicht zu erreichen sind, so haben sie anch die Pastell¬
technik mit der Aquarelltechnik geradezu verbunden, nur der Wirkung zuliebe.
Einige, wie z. B. Erwin Ohne, sind so ehrlich gewesen, in den Angaben des
Katalogs der Dresdner Ausstellung daraus kein Hehl zu machen, andre nicht.
Es giebt ferner Leute, die mit Wasserfarben den äußern Schein der Ölmalerei
zu erwecken suchen, und wieder andre, die unter entsprechenden Vorsichts¬
maßregeln ans Aquarellen die höchsten Lichter mit Ölfarben aufsetzen und damit
noch andre Wirkungen erzielen, die den Wasserfarben allein versagt sind. Noch
ein Beispiel aus einem andern Gebiete der Kunstübung! Keine zweite Technik
ist in einer verhältnismäßig so kurzen Zeit zu einer so hohen Vollendung und
Ansdrncksfähigkeit gelangt wie die der Nadirnadel. Sie hat es fertig gebracht,
daß alle übrigen vervielfältigenden Künste, in erster Linie der langsam arbeitende,
pedantische Grabstichel, in die ärgste Bedrängnis geraten sind, daß man sie
als abgethan und veraltet beiseite geworfen hat. Die unruhigen Köpfe, die
durch ihr unablässiges Suchen und Versuchen diese Umwälzung herbeigeführt
haben, bescheiden sich nicht dabei. Man wird an den Wirbelsturm in einem
der Kreise der Dantischen Hölle erinnert, wenn man diese wilde Jngd nach


Die Kunstausstellungen in München und Dresden

machen sich in der modernen Kunstbewegung geltend, sondern die treibende
Kraft ist einzig und allein die Frage nach der Wirkung. Wirkt das Kunst¬
werk oder wirkt es nicht? Das ist die Frage, die in den Ateliers zuerst auf¬
geworfen, die dann in weitere Kreise getragen und in den öffentlichen Aus¬
stellungen zur vorläufigen Entscheidung gebracht wird. Auf die Wirkung allein
wird ein Bild gemalt und ein plastisches Kunstwerk aufgerichtet. Was nicht
wirkt, hat keine Daseinsberechtigung, und in diesem angstvollen Hasten nach
Wirkung gipfelt und verzettelt sich unsre moderne Kunst.

Die deutschen Künstler sind in ihrer Mehrzahl keine Revolutionäre im
politischen und sozialen Leben. Daß einmal ein Architekt in Dresden Barri¬
kade» gebaut hat und ein andrer in Mecklenburg jahrelang sozialdemokratischer
Reichstagsabgeordneter gewesen ist, sind vereinzelte Erscheinungen, die nichts
für einen ganzen Stand beweisen. Was unsre Künstler aber nicht im Leben
ausüben wollen, weil sie wissen, daß ihr Gedeihen nur in einem geordneten
Staatsleben wurzeln kann, nicht in der Republik, sondern in der starken
Monarchie, nicht in den von sozialistischen Ideen bewegten Volksmassen, sondern
in der ruhig auf dem Erworbenen sitzenden „Bourgeoisie," so gebe» sie das,
was jeder Mensch an revolutionärem Drang, an Umsturzideen in sich hat, in
ihrem Handwerk aus. Nicht ihre Gedanken sind revolutionär, sondern nnr
ihre Ausdrucksmittel, die im Grunde genommen Nebensachen sind. Und wie
sie nicht lange bei den reinen, keuschen Wasserfarben stehen geblieben sind, so
haben sie sich auch nicht lange mit den flüchtigen Pnstellstiften allein begnügt.
Wie sie durch Deckweiß die Wirkung der Wasserfarben verstärkt, durch An¬
wendung von Gummi gewisse Tiefen und Glanzlichter erzielt haben, die mit
den Wasserfarben allein nicht zu erreichen sind, so haben sie anch die Pastell¬
technik mit der Aquarelltechnik geradezu verbunden, nur der Wirkung zuliebe.
Einige, wie z. B. Erwin Ohne, sind so ehrlich gewesen, in den Angaben des
Katalogs der Dresdner Ausstellung daraus kein Hehl zu machen, andre nicht.
Es giebt ferner Leute, die mit Wasserfarben den äußern Schein der Ölmalerei
zu erwecken suchen, und wieder andre, die unter entsprechenden Vorsichts¬
maßregeln ans Aquarellen die höchsten Lichter mit Ölfarben aufsetzen und damit
noch andre Wirkungen erzielen, die den Wasserfarben allein versagt sind. Noch
ein Beispiel aus einem andern Gebiete der Kunstübung! Keine zweite Technik
ist in einer verhältnismäßig so kurzen Zeit zu einer so hohen Vollendung und
Ansdrncksfähigkeit gelangt wie die der Nadirnadel. Sie hat es fertig gebracht,
daß alle übrigen vervielfältigenden Künste, in erster Linie der langsam arbeitende,
pedantische Grabstichel, in die ärgste Bedrängnis geraten sind, daß man sie
als abgethan und veraltet beiseite geworfen hat. Die unruhigen Köpfe, die
durch ihr unablässiges Suchen und Versuchen diese Umwälzung herbeigeführt
haben, bescheiden sich nicht dabei. Man wird an den Wirbelsturm in einem
der Kreise der Dantischen Hölle erinnert, wenn man diese wilde Jngd nach


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[0374] Die Kunstausstellungen in München und Dresden machen sich in der modernen Kunstbewegung geltend, sondern die treibende Kraft ist einzig und allein die Frage nach der Wirkung. Wirkt das Kunst¬ werk oder wirkt es nicht? Das ist die Frage, die in den Ateliers zuerst auf¬ geworfen, die dann in weitere Kreise getragen und in den öffentlichen Aus¬ stellungen zur vorläufigen Entscheidung gebracht wird. Auf die Wirkung allein wird ein Bild gemalt und ein plastisches Kunstwerk aufgerichtet. Was nicht wirkt, hat keine Daseinsberechtigung, und in diesem angstvollen Hasten nach Wirkung gipfelt und verzettelt sich unsre moderne Kunst. Die deutschen Künstler sind in ihrer Mehrzahl keine Revolutionäre im politischen und sozialen Leben. Daß einmal ein Architekt in Dresden Barri¬ kade» gebaut hat und ein andrer in Mecklenburg jahrelang sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter gewesen ist, sind vereinzelte Erscheinungen, die nichts für einen ganzen Stand beweisen. Was unsre Künstler aber nicht im Leben ausüben wollen, weil sie wissen, daß ihr Gedeihen nur in einem geordneten Staatsleben wurzeln kann, nicht in der Republik, sondern in der starken Monarchie, nicht in den von sozialistischen Ideen bewegten Volksmassen, sondern in der ruhig auf dem Erworbenen sitzenden „Bourgeoisie," so gebe» sie das, was jeder Mensch an revolutionärem Drang, an Umsturzideen in sich hat, in ihrem Handwerk aus. Nicht ihre Gedanken sind revolutionär, sondern nnr ihre Ausdrucksmittel, die im Grunde genommen Nebensachen sind. Und wie sie nicht lange bei den reinen, keuschen Wasserfarben stehen geblieben sind, so haben sie sich auch nicht lange mit den flüchtigen Pnstellstiften allein begnügt. Wie sie durch Deckweiß die Wirkung der Wasserfarben verstärkt, durch An¬ wendung von Gummi gewisse Tiefen und Glanzlichter erzielt haben, die mit den Wasserfarben allein nicht zu erreichen sind, so haben sie anch die Pastell¬ technik mit der Aquarelltechnik geradezu verbunden, nur der Wirkung zuliebe. Einige, wie z. B. Erwin Ohne, sind so ehrlich gewesen, in den Angaben des Katalogs der Dresdner Ausstellung daraus kein Hehl zu machen, andre nicht. Es giebt ferner Leute, die mit Wasserfarben den äußern Schein der Ölmalerei zu erwecken suchen, und wieder andre, die unter entsprechenden Vorsichts¬ maßregeln ans Aquarellen die höchsten Lichter mit Ölfarben aufsetzen und damit noch andre Wirkungen erzielen, die den Wasserfarben allein versagt sind. Noch ein Beispiel aus einem andern Gebiete der Kunstübung! Keine zweite Technik ist in einer verhältnismäßig so kurzen Zeit zu einer so hohen Vollendung und Ansdrncksfähigkeit gelangt wie die der Nadirnadel. Sie hat es fertig gebracht, daß alle übrigen vervielfältigenden Künste, in erster Linie der langsam arbeitende, pedantische Grabstichel, in die ärgste Bedrängnis geraten sind, daß man sie als abgethan und veraltet beiseite geworfen hat. Die unruhigen Köpfe, die durch ihr unablässiges Suchen und Versuchen diese Umwälzung herbeigeführt haben, bescheiden sich nicht dabei. Man wird an den Wirbelsturm in einem der Kreise der Dantischen Hölle erinnert, wenn man diese wilde Jngd nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/374>, abgerufen am 23.07.2024.