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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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gegen jeden neuen Rechtsbruch! Sie geben den Mut deshalb nicht ans; sie
beißen die Zahne zusammen und wehren sich ihrer Haut, so weit ihnen das
noch möglich ist. Wohl nimmt die Schar der Kämpfer fortwährend ab, der
eine wendet hoffnungslos dein Vaterlande den Rücken, der andre schließt mit
den Unterdrückern Frieden. Doch die Kerntrnppen, wenn auch stets weiter
zurückgedrängt, ermüden nicht, stets aufs neue Fuß zu fassen, sich in der neuen
Stellung in Verteidigungszustand zu setzen.

Diese Lage führt uns die bedeutendste von den neun Erzählungen, die
unter dem Titel: Altes und Neues von M. Albert bei C. Gräser in Wien
und W. Krafft in Hermannstadt erschienen sind, recht anschaulich vor Augen.
Die einzelnen Stücke sind von 1861 bis 1889 geschrieben und lassen sich in
drei Gruppen ordnen: Geschichten aus der Vergangenheit, politische und un¬
politische Schilderungen ans der Gegenwart. Alle bewegen sich auf dem
heimischen Boden. Stoffe für den historischen Roman bietet die Geschichte
der seit siebenhundert Jahren auf diesem Boden angesiedelten Niedersachsen in
Hülle und Fülle. Sie schoben sich als Bürgerstand ein zwischen die adlichen
Magyaren und Szekler und die Walachische hörige Landbevölkerung; sie
gründeten Städte und Dörfer nach deutscher Art, machten ihren Landcharten
blühend durch Gewerbefleiß und Ackerbau und mußten allezeit die Wehrhciftig-
keit Pflegen, denn wenn nicht Mongolen oder Türken das Land verheerten, so
mußte für oder gegen die Kronwerber Partei genommen werden, die Sachsen
wurden als Deutsche bedrängt oder später als Protestanten. Mit solchen
"Schreckens- und Ehrentagen," wie Teutsch sie in seiner Geschichte seines
Volkes nennt, und zwar aus der Zeit Gabriel Bäthorys, beschäftigt sich die
erste Erzählung "Herr Lukas Seiler." Sie ähnelt freilich vielen Historien¬
bildern, die jetzt geschrieben oder gemalt werden: der Hintergrund, die Tracht,
alles Beiwerk ist echt, aber die Menschen machen uns nicht den gleichen
Eindruck, obwohl oder auch weil der Künstler sich sehr bemüht hat, sie
im Charakter der Zeit zu halten. Dazu gehört eine ganz eigne und darum
seltene Kraft.

Das mag auch Albert selbst erkannt haben, da er in der Folge seine
Stoffe der Gegenwart entlehnt hat. Und da ist er viel glücklicher. Er hat
eine hübsche Gabe, die Örtlichkeiten, Haus, Feld, Straße u. s. w. -- mitunter
etwas weitläufig -- aber doch so zu schildern, daß wir ein deutliches Bild erhalten,
das auch je nach Jahres- und Tageszeit seine rechte Beleuchtung und Stim¬
mung hat. Und es ist eine besondre Welt, in die er uus blicken läßt. Sie
hat gnr nichts "Modernes," vielmehr etwas Altvüterisches, wie es sich nur
in einem solchen weltentlegenen Winkel erhalten konnte. Eine Luft weht uns
an, fast wie aus der deutschen Nokvkoidylle der Voß, Kosegarten und Eber-
hardt, und wo sich ein bescheidener Humor einmischt, werden wir etwa an
Weißflogsche "Historien" gemahnt. Idyllisch geht es aber deshalb nicht zu.


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gegen jeden neuen Rechtsbruch! Sie geben den Mut deshalb nicht ans; sie
beißen die Zahne zusammen und wehren sich ihrer Haut, so weit ihnen das
noch möglich ist. Wohl nimmt die Schar der Kämpfer fortwährend ab, der
eine wendet hoffnungslos dein Vaterlande den Rücken, der andre schließt mit
den Unterdrückern Frieden. Doch die Kerntrnppen, wenn auch stets weiter
zurückgedrängt, ermüden nicht, stets aufs neue Fuß zu fassen, sich in der neuen
Stellung in Verteidigungszustand zu setzen.

Diese Lage führt uns die bedeutendste von den neun Erzählungen, die
unter dem Titel: Altes und Neues von M. Albert bei C. Gräser in Wien
und W. Krafft in Hermannstadt erschienen sind, recht anschaulich vor Augen.
Die einzelnen Stücke sind von 1861 bis 1889 geschrieben und lassen sich in
drei Gruppen ordnen: Geschichten aus der Vergangenheit, politische und un¬
politische Schilderungen ans der Gegenwart. Alle bewegen sich auf dem
heimischen Boden. Stoffe für den historischen Roman bietet die Geschichte
der seit siebenhundert Jahren auf diesem Boden angesiedelten Niedersachsen in
Hülle und Fülle. Sie schoben sich als Bürgerstand ein zwischen die adlichen
Magyaren und Szekler und die Walachische hörige Landbevölkerung; sie
gründeten Städte und Dörfer nach deutscher Art, machten ihren Landcharten
blühend durch Gewerbefleiß und Ackerbau und mußten allezeit die Wehrhciftig-
keit Pflegen, denn wenn nicht Mongolen oder Türken das Land verheerten, so
mußte für oder gegen die Kronwerber Partei genommen werden, die Sachsen
wurden als Deutsche bedrängt oder später als Protestanten. Mit solchen
„Schreckens- und Ehrentagen," wie Teutsch sie in seiner Geschichte seines
Volkes nennt, und zwar aus der Zeit Gabriel Bäthorys, beschäftigt sich die
erste Erzählung „Herr Lukas Seiler." Sie ähnelt freilich vielen Historien¬
bildern, die jetzt geschrieben oder gemalt werden: der Hintergrund, die Tracht,
alles Beiwerk ist echt, aber die Menschen machen uns nicht den gleichen
Eindruck, obwohl oder auch weil der Künstler sich sehr bemüht hat, sie
im Charakter der Zeit zu halten. Dazu gehört eine ganz eigne und darum
seltene Kraft.

Das mag auch Albert selbst erkannt haben, da er in der Folge seine
Stoffe der Gegenwart entlehnt hat. Und da ist er viel glücklicher. Er hat
eine hübsche Gabe, die Örtlichkeiten, Haus, Feld, Straße u. s. w. — mitunter
etwas weitläufig — aber doch so zu schildern, daß wir ein deutliches Bild erhalten,
das auch je nach Jahres- und Tageszeit seine rechte Beleuchtung und Stim¬
mung hat. Und es ist eine besondre Welt, in die er uus blicken läßt. Sie
hat gnr nichts „Modernes," vielmehr etwas Altvüterisches, wie es sich nur
in einem solchen weltentlegenen Winkel erhalten konnte. Eine Luft weht uns
an, fast wie aus der deutschen Nokvkoidylle der Voß, Kosegarten und Eber-
hardt, und wo sich ein bescheidener Humor einmischt, werden wir etwa an
Weißflogsche „Historien" gemahnt. Idyllisch geht es aber deshalb nicht zu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/354>, abgerufen am 23.07.2024.