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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Umnaßgebliches

"sensationelle Neuheit," als daß man sich darüber noch ereifern oder gar empören
konnte. Man liest es über Hosenträgerempfehlnngcn und bei neuen Schaumwein-
fabriknten, man sieht es über Klosctabbilduna.er prangen und findet es bei Deli-
katcssenanzeigen, loeshalb sollte es nicht auch für Gräber und Erbbegräbnisse eine
"sensationelle Neuheit" geben, wie es z.B. monatelang in der "Täglichen Rundschau"
stand? Wir sind ja so leise, so vorsichtig ans solches Sinn und Gemüt beleidigende
Reklamewesen vorbereitet worden, man hat ja so zarte Rücksicht ans unsre Nerven
genommen, die sich vor allein Plötzlichen z" entsetzen Pflegen, daß sie nur unter
tausend Lesern wohl kaum einen noch beleidigt, diese "sensationelle Neuheit für
Gräber und Erbbegräbnisse," mit der Kränze und Blume" gemeint sind, die die
Ruhestätten teurer Toten schmücken sollen. Mein Gott -- was sollte der arme
Fabrikant anch sür eine andre Lockmarke für seine allerneuesten Erzeugnisse wählen,
die ihm vielleicht erst nach wochenlangem Sinnen und Probiren so "noch nie da¬
gewesen" geglückt sind? Kostbar, prachtvoll, herrlich, graziös waren sie ja schon
längst, aber das sind wohl stehende, doch keine "ziehenden" Beiwörter. Auch das
sonst so beliebte "wagenradgroß" verschlägt nichts mehr; was bleibt übrig? man
greift wieder zu der altbewährten "sensationellen Neuheit." Gegenüber den Parisern
bleibt man ja anch damit noch ein Kind! Aber wie lange wirds dauern, dann
hat man auch bei uus die letzte Spur kindisch thörichter Scham überwunden, dann
trägt man auch bei uns, wie jetzt in der französischen Knltnrmelropole, zur Reklame
sür den Allerseelentag Blumenkronen und andern Gräberschmnck, Kränze, Kreuze
und Palmenzweige umher, läßt bunte Bänder daran flattern, auf daß sie den lauf¬
lustiger Trauernden oder soll ich sagen trauernden Kauflustigen auch ja recht sehr
in die Augen stechen, und weist mit sinnigen Inschriften wie "Ewige Trauer" oder
"Meiner teuern Gattin" oder "Ans Wiedersehen im Jenseits" u. libri. auf den
frommen Zweck der angebotenen Ware hin. Sind, frage ich, solche Vorkommnisse
wirklich so harmlos, wie sie meistens genommen werden?

kann sich getrost stellen:

wie auf Seite 10 in Ur. 40 zu lesen ist. Goethe hat geschrieben: zu Gott ein
als Soldat und brav! --

Wir sind dem Einsender sehr dankbar. Die meisten Leser werden wohl,
ebenso wie wir und wie der Verfasser des Aufsatzes, über den Fehler hinweggelcsen
haben. Was den weitern Hinweis des Einsenders ans die bekannte Stelle in
Klärchcns Lied im Egmont betrifft, so erledigt sich dieser dadurch, daß in allen
guten Goctheansgaben schon längst die richtige Lesart (langen und bangen, statt
hangen und bangen) steht.


Maßgebliches und Umnaßgebliches

„sensationelle Neuheit," als daß man sich darüber noch ereifern oder gar empören
konnte. Man liest es über Hosenträgerempfehlnngcn und bei neuen Schaumwein-
fabriknten, man sieht es über Klosctabbilduna.er prangen und findet es bei Deli-
katcssenanzeigen, loeshalb sollte es nicht auch für Gräber und Erbbegräbnisse eine
„sensationelle Neuheit" geben, wie es z.B. monatelang in der „Täglichen Rundschau"
stand? Wir sind ja so leise, so vorsichtig ans solches Sinn und Gemüt beleidigende
Reklamewesen vorbereitet worden, man hat ja so zarte Rücksicht ans unsre Nerven
genommen, die sich vor allein Plötzlichen z» entsetzen Pflegen, daß sie nur unter
tausend Lesern wohl kaum einen noch beleidigt, diese „sensationelle Neuheit für
Gräber und Erbbegräbnisse," mit der Kränze und Blume» gemeint sind, die die
Ruhestätten teurer Toten schmücken sollen. Mein Gott — was sollte der arme
Fabrikant anch sür eine andre Lockmarke für seine allerneuesten Erzeugnisse wählen,
die ihm vielleicht erst nach wochenlangem Sinnen und Probiren so „noch nie da¬
gewesen" geglückt sind? Kostbar, prachtvoll, herrlich, graziös waren sie ja schon
längst, aber das sind wohl stehende, doch keine „ziehenden" Beiwörter. Auch das
sonst so beliebte „wagenradgroß" verschlägt nichts mehr; was bleibt übrig? man
greift wieder zu der altbewährten „sensationellen Neuheit." Gegenüber den Parisern
bleibt man ja anch damit noch ein Kind! Aber wie lange wirds dauern, dann
hat man auch bei uus die letzte Spur kindisch thörichter Scham überwunden, dann
trägt man auch bei uns, wie jetzt in der französischen Knltnrmelropole, zur Reklame
sür den Allerseelentag Blumenkronen und andern Gräberschmnck, Kränze, Kreuze
und Palmenzweige umher, läßt bunte Bänder daran flattern, auf daß sie den lauf¬
lustiger Trauernden oder soll ich sagen trauernden Kauflustigen auch ja recht sehr
in die Augen stechen, und weist mit sinnigen Inschriften wie „Ewige Trauer" oder
„Meiner teuern Gattin" oder „Ans Wiedersehen im Jenseits" u. libri. auf den
frommen Zweck der angebotenen Ware hin. Sind, frage ich, solche Vorkommnisse
wirklich so harmlos, wie sie meistens genommen werden?

kann sich getrost stellen:

wie auf Seite 10 in Ur. 40 zu lesen ist. Goethe hat geschrieben: zu Gott ein
als Soldat und brav! —

Wir sind dem Einsender sehr dankbar. Die meisten Leser werden wohl,
ebenso wie wir und wie der Verfasser des Aufsatzes, über den Fehler hinweggelcsen
haben. Was den weitern Hinweis des Einsenders ans die bekannte Stelle in
Klärchcns Lied im Egmont betrifft, so erledigt sich dieser dadurch, daß in allen
guten Goctheansgaben schon längst die richtige Lesart (langen und bangen, statt
hangen und bangen) steht.


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[0350] Maßgebliches und Umnaßgebliches „sensationelle Neuheit," als daß man sich darüber noch ereifern oder gar empören konnte. Man liest es über Hosenträgerempfehlnngcn und bei neuen Schaumwein- fabriknten, man sieht es über Klosctabbilduna.er prangen und findet es bei Deli- katcssenanzeigen, loeshalb sollte es nicht auch für Gräber und Erbbegräbnisse eine „sensationelle Neuheit" geben, wie es z.B. monatelang in der „Täglichen Rundschau" stand? Wir sind ja so leise, so vorsichtig ans solches Sinn und Gemüt beleidigende Reklamewesen vorbereitet worden, man hat ja so zarte Rücksicht ans unsre Nerven genommen, die sich vor allein Plötzlichen z» entsetzen Pflegen, daß sie nur unter tausend Lesern wohl kaum einen noch beleidigt, diese „sensationelle Neuheit für Gräber und Erbbegräbnisse," mit der Kränze und Blume» gemeint sind, die die Ruhestätten teurer Toten schmücken sollen. Mein Gott — was sollte der arme Fabrikant anch sür eine andre Lockmarke für seine allerneuesten Erzeugnisse wählen, die ihm vielleicht erst nach wochenlangem Sinnen und Probiren so „noch nie da¬ gewesen" geglückt sind? Kostbar, prachtvoll, herrlich, graziös waren sie ja schon längst, aber das sind wohl stehende, doch keine „ziehenden" Beiwörter. Auch das sonst so beliebte „wagenradgroß" verschlägt nichts mehr; was bleibt übrig? man greift wieder zu der altbewährten „sensationellen Neuheit." Gegenüber den Parisern bleibt man ja anch damit noch ein Kind! Aber wie lange wirds dauern, dann hat man auch bei uus die letzte Spur kindisch thörichter Scham überwunden, dann trägt man auch bei uns, wie jetzt in der französischen Knltnrmelropole, zur Reklame sür den Allerseelentag Blumenkronen und andern Gräberschmnck, Kränze, Kreuze und Palmenzweige umher, läßt bunte Bänder daran flattern, auf daß sie den lauf¬ lustiger Trauernden oder soll ich sagen trauernden Kauflustigen auch ja recht sehr in die Augen stechen, und weist mit sinnigen Inschriften wie „Ewige Trauer" oder „Meiner teuern Gattin" oder „Ans Wiedersehen im Jenseits" u. libri. auf den frommen Zweck der angebotenen Ware hin. Sind, frage ich, solche Vorkommnisse wirklich so harmlos, wie sie meistens genommen werden? kann sich getrost stellen: wie auf Seite 10 in Ur. 40 zu lesen ist. Goethe hat geschrieben: zu Gott ein als Soldat und brav! — Wir sind dem Einsender sehr dankbar. Die meisten Leser werden wohl, ebenso wie wir und wie der Verfasser des Aufsatzes, über den Fehler hinweggelcsen haben. Was den weitern Hinweis des Einsenders ans die bekannte Stelle in Klärchcns Lied im Egmont betrifft, so erledigt sich dieser dadurch, daß in allen guten Goctheansgaben schon längst die richtige Lesart (langen und bangen, statt hangen und bangen) steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/350>, abgerufen am 25.08.2024.