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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

gefühl jedes einzelnen seiner Bürger beruht, und in der rastlosen mutigen, ja
tollkühnen Erfüllung der patriotischen Pflicht, in dem unermüdlichen Eifer,
mit dem der Rittmeister alle Vorbereitungen für die Erhebung gegen die
Franzosen, die Preußen besetzt halten, trifft, und mit dem er das Bewußtsein
der patriotischen Pflicht in den Massen fort und fort wach erhält, erscheint er
selbst als ein voller Held, dessen Marotten und Schrullen dieser Größe nur
geringen Eintrag thun, ja die ihn uns gemütlich nüherrückeu.

Dies ist ungefähr (abgesehen von vielen hübschen Einzelheiten) der Cha¬
rakter des Hoffmannschen Helden: eines Don Quixote der Pflicht, lächerlich
und rührend, kindisch und verehrungswürdig zugleich, wie jener ältere Ritter
de la Mancha. Diese Figur in ihrem geistigen Gehalt und ihrer sittlichen
Tiefe auch nur erfunden zu haben, darf allein schon dem Dichter als Verdienst
angerechnet werden. In ihr hat er den Geist seiner geliebten Stammesgenossen
heiter typisch verkörpert mit all ihrem Eigensinn, mit all ihrer Gefuhlssprödig-
keit und Schamhaftigkeit, mit all ihrem mächtigen Persönlichkeitsgefühl. Eine
der fruchtbarsten Mächte der Geschichte, die des preußischen Pflichtgefühls, ist
hier aufs kühnste dichterisch verwertet, und echt preußisch verbirgt sich die
eigne glühende Vaterlandsliebe des Dichters hinter dem Humor seines Werkes,
das so selbstironisch das Preußentum feiert. Dieser Humor der Dichtung
fließt aber aus zwei Quellen. Einmal aus der Politik. Der Preuße der
Gegenwart darf sich selbst in der That heiter lachend feiern, nachdem die Welt
gesehen hat, was das preußische Pflichtgefühl alles hat erringen und für ganz
Deutschland schassen können. Vom heutigen Standpunkte der frohen Ver¬
körperung alter Träume darf der Dichter die traurigste Zeit des Vaterlandes
mit dem Auge des Humoristen betrachten; in dem Kraftgefühl der Gegenwart,
das zur Ohnmacht der Vergangenheit in so mächtigem Gegensatze steht, hat der
Humor des Norddeutschen sogar seine ergiebigste Quelle. Anderseits fließt die
humoristische Stimmung des Hoffmannschen Romanes aus noch idealeren Ge¬
biete. Der Dichter ist sich eines reinern, naturgemäßen, kräftigern und frucht¬
barem Lebensideals bewußt, als es das der Altpreußen, seiner Vorväter war.
Das Jahrhundert, das zwischen dem Lebenden und den Toten liegt, ist nicht
ohne nachhaltige Wirkung, nicht ohne dauernde Veränderungen in der Sinnesart
der Preußen vorübergegangen. Mit der einseitigen Verstandesbildnng des
achtzehnten Jahrhunderts, mit seinem engbrüstigen Moral- und Nützlichkcits-
system, mit seiner Geringschätzung geschichtlicher Denkmäler, ja seinem völligen
Mangel an Geschichtssinn, der z. B. Friedrich den Großen zu der Barbarei
führte, aus einem gothischen Ritterschloß eine Kaserne zu macheu, mit all der
kahlen, nüchternen Lebensweisheit kann sich der Neupreuße nicht mehr be¬
freunden. Wohl feiert er das Pflichtgefühl als die Grundlage des Staats¬
baues, aber die Pflicht allein füllt ihn nicht aus, noch weniger will er auf
all die Genüsse des Daseins verzichten, die gar keine Pflichterfüllung, sondern


Der eiserne Rittmeister

gefühl jedes einzelnen seiner Bürger beruht, und in der rastlosen mutigen, ja
tollkühnen Erfüllung der patriotischen Pflicht, in dem unermüdlichen Eifer,
mit dem der Rittmeister alle Vorbereitungen für die Erhebung gegen die
Franzosen, die Preußen besetzt halten, trifft, und mit dem er das Bewußtsein
der patriotischen Pflicht in den Massen fort und fort wach erhält, erscheint er
selbst als ein voller Held, dessen Marotten und Schrullen dieser Größe nur
geringen Eintrag thun, ja die ihn uns gemütlich nüherrückeu.

Dies ist ungefähr (abgesehen von vielen hübschen Einzelheiten) der Cha¬
rakter des Hoffmannschen Helden: eines Don Quixote der Pflicht, lächerlich
und rührend, kindisch und verehrungswürdig zugleich, wie jener ältere Ritter
de la Mancha. Diese Figur in ihrem geistigen Gehalt und ihrer sittlichen
Tiefe auch nur erfunden zu haben, darf allein schon dem Dichter als Verdienst
angerechnet werden. In ihr hat er den Geist seiner geliebten Stammesgenossen
heiter typisch verkörpert mit all ihrem Eigensinn, mit all ihrer Gefuhlssprödig-
keit und Schamhaftigkeit, mit all ihrem mächtigen Persönlichkeitsgefühl. Eine
der fruchtbarsten Mächte der Geschichte, die des preußischen Pflichtgefühls, ist
hier aufs kühnste dichterisch verwertet, und echt preußisch verbirgt sich die
eigne glühende Vaterlandsliebe des Dichters hinter dem Humor seines Werkes,
das so selbstironisch das Preußentum feiert. Dieser Humor der Dichtung
fließt aber aus zwei Quellen. Einmal aus der Politik. Der Preuße der
Gegenwart darf sich selbst in der That heiter lachend feiern, nachdem die Welt
gesehen hat, was das preußische Pflichtgefühl alles hat erringen und für ganz
Deutschland schassen können. Vom heutigen Standpunkte der frohen Ver¬
körperung alter Träume darf der Dichter die traurigste Zeit des Vaterlandes
mit dem Auge des Humoristen betrachten; in dem Kraftgefühl der Gegenwart,
das zur Ohnmacht der Vergangenheit in so mächtigem Gegensatze steht, hat der
Humor des Norddeutschen sogar seine ergiebigste Quelle. Anderseits fließt die
humoristische Stimmung des Hoffmannschen Romanes aus noch idealeren Ge¬
biete. Der Dichter ist sich eines reinern, naturgemäßen, kräftigern und frucht¬
barem Lebensideals bewußt, als es das der Altpreußen, seiner Vorväter war.
Das Jahrhundert, das zwischen dem Lebenden und den Toten liegt, ist nicht
ohne nachhaltige Wirkung, nicht ohne dauernde Veränderungen in der Sinnesart
der Preußen vorübergegangen. Mit der einseitigen Verstandesbildnng des
achtzehnten Jahrhunderts, mit seinem engbrüstigen Moral- und Nützlichkcits-
system, mit seiner Geringschätzung geschichtlicher Denkmäler, ja seinem völligen
Mangel an Geschichtssinn, der z. B. Friedrich den Großen zu der Barbarei
führte, aus einem gothischen Ritterschloß eine Kaserne zu macheu, mit all der
kahlen, nüchternen Lebensweisheit kann sich der Neupreuße nicht mehr be¬
freunden. Wohl feiert er das Pflichtgefühl als die Grundlage des Staats¬
baues, aber die Pflicht allein füllt ihn nicht aus, noch weniger will er auf
all die Genüsse des Daseins verzichten, die gar keine Pflichterfüllung, sondern


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[0336] Der eiserne Rittmeister gefühl jedes einzelnen seiner Bürger beruht, und in der rastlosen mutigen, ja tollkühnen Erfüllung der patriotischen Pflicht, in dem unermüdlichen Eifer, mit dem der Rittmeister alle Vorbereitungen für die Erhebung gegen die Franzosen, die Preußen besetzt halten, trifft, und mit dem er das Bewußtsein der patriotischen Pflicht in den Massen fort und fort wach erhält, erscheint er selbst als ein voller Held, dessen Marotten und Schrullen dieser Größe nur geringen Eintrag thun, ja die ihn uns gemütlich nüherrückeu. Dies ist ungefähr (abgesehen von vielen hübschen Einzelheiten) der Cha¬ rakter des Hoffmannschen Helden: eines Don Quixote der Pflicht, lächerlich und rührend, kindisch und verehrungswürdig zugleich, wie jener ältere Ritter de la Mancha. Diese Figur in ihrem geistigen Gehalt und ihrer sittlichen Tiefe auch nur erfunden zu haben, darf allein schon dem Dichter als Verdienst angerechnet werden. In ihr hat er den Geist seiner geliebten Stammesgenossen heiter typisch verkörpert mit all ihrem Eigensinn, mit all ihrer Gefuhlssprödig- keit und Schamhaftigkeit, mit all ihrem mächtigen Persönlichkeitsgefühl. Eine der fruchtbarsten Mächte der Geschichte, die des preußischen Pflichtgefühls, ist hier aufs kühnste dichterisch verwertet, und echt preußisch verbirgt sich die eigne glühende Vaterlandsliebe des Dichters hinter dem Humor seines Werkes, das so selbstironisch das Preußentum feiert. Dieser Humor der Dichtung fließt aber aus zwei Quellen. Einmal aus der Politik. Der Preuße der Gegenwart darf sich selbst in der That heiter lachend feiern, nachdem die Welt gesehen hat, was das preußische Pflichtgefühl alles hat erringen und für ganz Deutschland schassen können. Vom heutigen Standpunkte der frohen Ver¬ körperung alter Träume darf der Dichter die traurigste Zeit des Vaterlandes mit dem Auge des Humoristen betrachten; in dem Kraftgefühl der Gegenwart, das zur Ohnmacht der Vergangenheit in so mächtigem Gegensatze steht, hat der Humor des Norddeutschen sogar seine ergiebigste Quelle. Anderseits fließt die humoristische Stimmung des Hoffmannschen Romanes aus noch idealeren Ge¬ biete. Der Dichter ist sich eines reinern, naturgemäßen, kräftigern und frucht¬ barem Lebensideals bewußt, als es das der Altpreußen, seiner Vorväter war. Das Jahrhundert, das zwischen dem Lebenden und den Toten liegt, ist nicht ohne nachhaltige Wirkung, nicht ohne dauernde Veränderungen in der Sinnesart der Preußen vorübergegangen. Mit der einseitigen Verstandesbildnng des achtzehnten Jahrhunderts, mit seinem engbrüstigen Moral- und Nützlichkcits- system, mit seiner Geringschätzung geschichtlicher Denkmäler, ja seinem völligen Mangel an Geschichtssinn, der z. B. Friedrich den Großen zu der Barbarei führte, aus einem gothischen Ritterschloß eine Kaserne zu macheu, mit all der kahlen, nüchternen Lebensweisheit kann sich der Neupreuße nicht mehr be¬ freunden. Wohl feiert er das Pflichtgefühl als die Grundlage des Staats¬ baues, aber die Pflicht allein füllt ihn nicht aus, noch weniger will er auf all die Genüsse des Daseins verzichten, die gar keine Pflichterfüllung, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/336>, abgerufen am 23.07.2024.