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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

mir die Lehre von der Pflicht (und auch diese schief) gemerkt, alles andre, was
Kant gelehrt hat, glaubt er ihm rein dogmatisch aufs Wort ohne die Fähigkeit,
sich klar und wissenschaftlich darüber Rechenschaft zu geben. Ja, die Natur
im Jageteufel ist stärker als sein Verstand, dieser müßte eigentlich unbewußt
jeuer ursprünglichen Gewalt gehorchen. Seine Natur ist größer als seine
Philosophie, sein Herz gütiger und erhabener als sein Verstand und dessen
Grundsätze, und nur begreifen sehr gut, wie dieses große Herz zu einer so
wunderlichen Lehre gekommen ist. Die Liebe zum Vaterlande, der Stolz des
Preußen auf seine Heimat, sie sitzen im Mittelpunkte dieses starrköpfigen Ori¬
ginals. Die Not des Vaterlandes, die furchtbare Demütigung Preußens durch
Napoleon Bonaparte sind dem braven Rittmeister zu nahe gegangen. Im
Geiste Kants glaubt er an eine vernünftige Weltordnung, aber stehe da: das
Teuerste und Liebste, was er besitzt, Preußen liegt zu Tode getroffen darnieder,
die Königin Luise ist gestorben. Kann da der Mensch noch an Glück glauben?
kann er glauben, daß die Tugend hienieden zum Glück bestimmt sei, wenn
Preußen selbst so unglücklich ist? Liebe zum Vaterlande und Mannestugend
fallen dem Rittmeister in einen Begriff zusammen; darum schließen sich ihm
im Unglück des Vaterlandes Glück und Tugend, Genuß und Sittlichkeit aus.
Und so wie er trotz der furchtbaren Niederlagen von Jena und Eylau, trotz
Tilsit und trotz der größten Schmach, der Gefolgschaft Preußens nach Ru߬
land, nicht am Vaterlande verzweifelt, sondern an die Auferstehung Preußens
glaubt zum Heile aller Deutschen, so hält er fest an der Lehre von der Pflicht
um ihrer selbst willen. Denn eins bei ihm hängt mit dem andern zusammen:
Politik und Ethik vermischen sich in seinem Geiste unentwirrbar. "Durchge¬
schüttelt werde" sollen sie bis ins Mark -- ruft er --, bis sie erkennen, daß
sie allesamt krank sind an der Glücksrade und keine Ahnung haben von der
heiligen Strenge des kategorischen Imperativs. Und das ists eben: Kant
hatte uns längst den Weg gewiesen, aber wir hatten uns nicht darum ge¬
kümmert: darum ist Jena über uns gekommen und Friedland und Tilsit und
mit die andre Schmach, bis zu der letzten scheußlichsten, dem. offenbaren
Bündnis mit Bonapnrte, das unsre Gewissen verwirrt und in noch unbekannte
Unruhen stürzt. Das ist aber darum auf uns gelegt, daß wir lernen sollen,
uns inbrünstig zurückzusehnen nach unsrer klaren Pflicht und nach nichts
anderm. Und dann erst, wenn wir diese herbe Pflicht ganz allein, ohne Ueber¬
blicke ins Auge fassen, dann kann Preußen wieder auferstehen. Und Preußen
muß wieder auferstehen, denn es ist der Welt so notwendig wie die Lehre
Kants." Indem wir so den Grund der Leidenschaft Jageteufels für den Pflicht¬
begriff erfassen, steigt uns die volle Größe dieses seltsamem Originals auf:
der Narr wird im Handumdrehen zum Helden. Denn wohl hat er Recht,
wenn er die Pflicht als die höchste Norm männlicher Lebensführung in einer
Zeit hinstellt, wo der Bestand des Vaterlandes eben nur auf diesem Pflicht-


Der eiserne Rittmeister

mir die Lehre von der Pflicht (und auch diese schief) gemerkt, alles andre, was
Kant gelehrt hat, glaubt er ihm rein dogmatisch aufs Wort ohne die Fähigkeit,
sich klar und wissenschaftlich darüber Rechenschaft zu geben. Ja, die Natur
im Jageteufel ist stärker als sein Verstand, dieser müßte eigentlich unbewußt
jeuer ursprünglichen Gewalt gehorchen. Seine Natur ist größer als seine
Philosophie, sein Herz gütiger und erhabener als sein Verstand und dessen
Grundsätze, und nur begreifen sehr gut, wie dieses große Herz zu einer so
wunderlichen Lehre gekommen ist. Die Liebe zum Vaterlande, der Stolz des
Preußen auf seine Heimat, sie sitzen im Mittelpunkte dieses starrköpfigen Ori¬
ginals. Die Not des Vaterlandes, die furchtbare Demütigung Preußens durch
Napoleon Bonaparte sind dem braven Rittmeister zu nahe gegangen. Im
Geiste Kants glaubt er an eine vernünftige Weltordnung, aber stehe da: das
Teuerste und Liebste, was er besitzt, Preußen liegt zu Tode getroffen darnieder,
die Königin Luise ist gestorben. Kann da der Mensch noch an Glück glauben?
kann er glauben, daß die Tugend hienieden zum Glück bestimmt sei, wenn
Preußen selbst so unglücklich ist? Liebe zum Vaterlande und Mannestugend
fallen dem Rittmeister in einen Begriff zusammen; darum schließen sich ihm
im Unglück des Vaterlandes Glück und Tugend, Genuß und Sittlichkeit aus.
Und so wie er trotz der furchtbaren Niederlagen von Jena und Eylau, trotz
Tilsit und trotz der größten Schmach, der Gefolgschaft Preußens nach Ru߬
land, nicht am Vaterlande verzweifelt, sondern an die Auferstehung Preußens
glaubt zum Heile aller Deutschen, so hält er fest an der Lehre von der Pflicht
um ihrer selbst willen. Denn eins bei ihm hängt mit dem andern zusammen:
Politik und Ethik vermischen sich in seinem Geiste unentwirrbar. „Durchge¬
schüttelt werde» sollen sie bis ins Mark — ruft er —, bis sie erkennen, daß
sie allesamt krank sind an der Glücksrade und keine Ahnung haben von der
heiligen Strenge des kategorischen Imperativs. Und das ists eben: Kant
hatte uns längst den Weg gewiesen, aber wir hatten uns nicht darum ge¬
kümmert: darum ist Jena über uns gekommen und Friedland und Tilsit und
mit die andre Schmach, bis zu der letzten scheußlichsten, dem. offenbaren
Bündnis mit Bonapnrte, das unsre Gewissen verwirrt und in noch unbekannte
Unruhen stürzt. Das ist aber darum auf uns gelegt, daß wir lernen sollen,
uns inbrünstig zurückzusehnen nach unsrer klaren Pflicht und nach nichts
anderm. Und dann erst, wenn wir diese herbe Pflicht ganz allein, ohne Ueber¬
blicke ins Auge fassen, dann kann Preußen wieder auferstehen. Und Preußen
muß wieder auferstehen, denn es ist der Welt so notwendig wie die Lehre
Kants." Indem wir so den Grund der Leidenschaft Jageteufels für den Pflicht¬
begriff erfassen, steigt uns die volle Größe dieses seltsamem Originals auf:
der Narr wird im Handumdrehen zum Helden. Denn wohl hat er Recht,
wenn er die Pflicht als die höchste Norm männlicher Lebensführung in einer
Zeit hinstellt, wo der Bestand des Vaterlandes eben nur auf diesem Pflicht-


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[0335] Der eiserne Rittmeister mir die Lehre von der Pflicht (und auch diese schief) gemerkt, alles andre, was Kant gelehrt hat, glaubt er ihm rein dogmatisch aufs Wort ohne die Fähigkeit, sich klar und wissenschaftlich darüber Rechenschaft zu geben. Ja, die Natur im Jageteufel ist stärker als sein Verstand, dieser müßte eigentlich unbewußt jeuer ursprünglichen Gewalt gehorchen. Seine Natur ist größer als seine Philosophie, sein Herz gütiger und erhabener als sein Verstand und dessen Grundsätze, und nur begreifen sehr gut, wie dieses große Herz zu einer so wunderlichen Lehre gekommen ist. Die Liebe zum Vaterlande, der Stolz des Preußen auf seine Heimat, sie sitzen im Mittelpunkte dieses starrköpfigen Ori¬ ginals. Die Not des Vaterlandes, die furchtbare Demütigung Preußens durch Napoleon Bonaparte sind dem braven Rittmeister zu nahe gegangen. Im Geiste Kants glaubt er an eine vernünftige Weltordnung, aber stehe da: das Teuerste und Liebste, was er besitzt, Preußen liegt zu Tode getroffen darnieder, die Königin Luise ist gestorben. Kann da der Mensch noch an Glück glauben? kann er glauben, daß die Tugend hienieden zum Glück bestimmt sei, wenn Preußen selbst so unglücklich ist? Liebe zum Vaterlande und Mannestugend fallen dem Rittmeister in einen Begriff zusammen; darum schließen sich ihm im Unglück des Vaterlandes Glück und Tugend, Genuß und Sittlichkeit aus. Und so wie er trotz der furchtbaren Niederlagen von Jena und Eylau, trotz Tilsit und trotz der größten Schmach, der Gefolgschaft Preußens nach Ru߬ land, nicht am Vaterlande verzweifelt, sondern an die Auferstehung Preußens glaubt zum Heile aller Deutschen, so hält er fest an der Lehre von der Pflicht um ihrer selbst willen. Denn eins bei ihm hängt mit dem andern zusammen: Politik und Ethik vermischen sich in seinem Geiste unentwirrbar. „Durchge¬ schüttelt werde» sollen sie bis ins Mark — ruft er —, bis sie erkennen, daß sie allesamt krank sind an der Glücksrade und keine Ahnung haben von der heiligen Strenge des kategorischen Imperativs. Und das ists eben: Kant hatte uns längst den Weg gewiesen, aber wir hatten uns nicht darum ge¬ kümmert: darum ist Jena über uns gekommen und Friedland und Tilsit und mit die andre Schmach, bis zu der letzten scheußlichsten, dem. offenbaren Bündnis mit Bonapnrte, das unsre Gewissen verwirrt und in noch unbekannte Unruhen stürzt. Das ist aber darum auf uns gelegt, daß wir lernen sollen, uns inbrünstig zurückzusehnen nach unsrer klaren Pflicht und nach nichts anderm. Und dann erst, wenn wir diese herbe Pflicht ganz allein, ohne Ueber¬ blicke ins Auge fassen, dann kann Preußen wieder auferstehen. Und Preußen muß wieder auferstehen, denn es ist der Welt so notwendig wie die Lehre Kants." Indem wir so den Grund der Leidenschaft Jageteufels für den Pflicht¬ begriff erfassen, steigt uns die volle Größe dieses seltsamem Originals auf: der Narr wird im Handumdrehen zum Helden. Denn wohl hat er Recht, wenn er die Pflicht als die höchste Norm männlicher Lebensführung in einer Zeit hinstellt, wo der Bestand des Vaterlandes eben nur auf diesem Pflicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/335>, abgerufen am 23.07.2024.