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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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MÄdchenerziehnng in Frankreich

allgemeinen noch Mangel; doch hoffe man solche später aus Sekundär-
fchülerinnen, die sich der Lehrerinnenprüfung unterzogen, gewinnen zu können.
Als Unterrichtsgegenstände seien festgesetzt: Grammatik mit Aufsatz, Litteratur¬
geschichte, Geographie und Geschichte von Frankreich, Mathematik und Astro¬
nomie, Physik, Chemie und Naturbeschreibung.

Duruy, der die in den Schriften der Frau von RÄnusat und der Frau
Necker de Saussure zum Ausdruck gebrachten Anschauungen über Frauen¬
erziehung in die Praxis einführen wollte, versprach sich von dem Sekundär¬
unterricht sehr viel. Er hoffte, dieser Unterricht werde die Würde der Gattin,
sowie das Ansehen der Mutter gegenüber den Kindern erhöhen und den recht¬
müßigen Einfluß der ehrbaren Frau in der Gesellschaft fördern. Er fand
den heftigsten Widerstand bei dem Klerus, der den durch seine zahlreichen
Pensionate bisher uneingeschränkt geltend gemachten Einfluß auf die Erziehung
der Töchter höherer Stände zu verlieren fürchtete. Nach Veröffentlichung der
Lehrgegenstände für die Sekundürkurse erhob sich dieser angeblich zum Schutze
der Religion und der moralischen Interessen gegen Duruy, indem er dessen
Reformpläne auch auf andern Gebieten bekämpfte. Die Angriffe genügten, um
Duruys Bestrebungen unfruchtbar zu machen; denn die Regierung, die es mit der
Geistlichkeit nicht verderben wollte, unterstützte ihn nicht genügend. Nur in
den Großstädten des Landes, wo früher schon ähnliche Einrichtungen bestanden
hatten, erhielt sich eine Art weiblichen Sekundärnnterrichts.

So blieb der dritten Republik die wichtige Aufgabe, den öffentlichen
Müdchenunterricht, insbesondre den der Sekundärstnfe, von Grund aus zu
regeln, und sie unterzog sich und unterzieht sich dieser Aufgabe uoch in rühm¬
licher Weise und mit gutem Erfolge..

Der öffentliche Primärunterricht für Mädchen krankte bei Begründung der
dritten Republik wie der Primäruuterricht überhaupt an Gebrechen, die man durch
die drei Heilmittel ^rg.to.no, oI)I>Ag.t,inen, lA'lenkt, in den siebziger Jahren viel¬
gebrauchte Schlagwörter der Schulfreunde, zu beseitigen hoffte und auch be¬
seitigt hat. Nach langem Kampfe der Parteien begann Ferry bei seinem
Eintritt ins Unterrichtsministerium Ende 1879 sofort, den Zauber der Priester
zu brechen. Während schon das Gesetz vom 9. August 1879 die Begründung
eines Seminars für Laienlehrerinnen in jedem Departement angeordnet hatte,
forderte das Gesetz vom 16. Juni 1881 unter Aufhebung der löttrös (l'odvcliönvs
von alleu neu anzustellenden Lehrerinnen ein Zeugnis auf Grund einer vor
einer staatlich autorisirten Prüfungskommission abgelegten Prüfung. Durch
das Gesetz vom 16. Juni 1881, das die Beseitigung des Schulgeldes vor¬
schreibt, bereitete man das Gesetz vom 28. März 1882 über den Schulzwang
vor, das das Recht der Unwissenheit auch bei dein weiblichen Geschlecht be¬
seitigte. Weiter begünstigte man die Neueinrichtung von höhern Primärschulen,
die unter dem zweiten Kaiserreich von der Geistlichkeit bekämpft und unterdrückt


Grenzboten IV 18S0 41
MÄdchenerziehnng in Frankreich

allgemeinen noch Mangel; doch hoffe man solche später aus Sekundär-
fchülerinnen, die sich der Lehrerinnenprüfung unterzogen, gewinnen zu können.
Als Unterrichtsgegenstände seien festgesetzt: Grammatik mit Aufsatz, Litteratur¬
geschichte, Geographie und Geschichte von Frankreich, Mathematik und Astro¬
nomie, Physik, Chemie und Naturbeschreibung.

Duruy, der die in den Schriften der Frau von RÄnusat und der Frau
Necker de Saussure zum Ausdruck gebrachten Anschauungen über Frauen¬
erziehung in die Praxis einführen wollte, versprach sich von dem Sekundär¬
unterricht sehr viel. Er hoffte, dieser Unterricht werde die Würde der Gattin,
sowie das Ansehen der Mutter gegenüber den Kindern erhöhen und den recht¬
müßigen Einfluß der ehrbaren Frau in der Gesellschaft fördern. Er fand
den heftigsten Widerstand bei dem Klerus, der den durch seine zahlreichen
Pensionate bisher uneingeschränkt geltend gemachten Einfluß auf die Erziehung
der Töchter höherer Stände zu verlieren fürchtete. Nach Veröffentlichung der
Lehrgegenstände für die Sekundürkurse erhob sich dieser angeblich zum Schutze
der Religion und der moralischen Interessen gegen Duruy, indem er dessen
Reformpläne auch auf andern Gebieten bekämpfte. Die Angriffe genügten, um
Duruys Bestrebungen unfruchtbar zu machen; denn die Regierung, die es mit der
Geistlichkeit nicht verderben wollte, unterstützte ihn nicht genügend. Nur in
den Großstädten des Landes, wo früher schon ähnliche Einrichtungen bestanden
hatten, erhielt sich eine Art weiblichen Sekundärnnterrichts.

So blieb der dritten Republik die wichtige Aufgabe, den öffentlichen
Müdchenunterricht, insbesondre den der Sekundärstnfe, von Grund aus zu
regeln, und sie unterzog sich und unterzieht sich dieser Aufgabe uoch in rühm¬
licher Weise und mit gutem Erfolge..

Der öffentliche Primärunterricht für Mädchen krankte bei Begründung der
dritten Republik wie der Primäruuterricht überhaupt an Gebrechen, die man durch
die drei Heilmittel ^rg.to.no, oI)I>Ag.t,inen, lA'lenkt, in den siebziger Jahren viel¬
gebrauchte Schlagwörter der Schulfreunde, zu beseitigen hoffte und auch be¬
seitigt hat. Nach langem Kampfe der Parteien begann Ferry bei seinem
Eintritt ins Unterrichtsministerium Ende 1879 sofort, den Zauber der Priester
zu brechen. Während schon das Gesetz vom 9. August 1879 die Begründung
eines Seminars für Laienlehrerinnen in jedem Departement angeordnet hatte,
forderte das Gesetz vom 16. Juni 1881 unter Aufhebung der löttrös (l'odvcliönvs
von alleu neu anzustellenden Lehrerinnen ein Zeugnis auf Grund einer vor
einer staatlich autorisirten Prüfungskommission abgelegten Prüfung. Durch
das Gesetz vom 16. Juni 1881, das die Beseitigung des Schulgeldes vor¬
schreibt, bereitete man das Gesetz vom 28. März 1882 über den Schulzwang
vor, das das Recht der Unwissenheit auch bei dein weiblichen Geschlecht be¬
seitigte. Weiter begünstigte man die Neueinrichtung von höhern Primärschulen,
die unter dem zweiten Kaiserreich von der Geistlichkeit bekämpft und unterdrückt


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[0329] MÄdchenerziehnng in Frankreich allgemeinen noch Mangel; doch hoffe man solche später aus Sekundär- fchülerinnen, die sich der Lehrerinnenprüfung unterzogen, gewinnen zu können. Als Unterrichtsgegenstände seien festgesetzt: Grammatik mit Aufsatz, Litteratur¬ geschichte, Geographie und Geschichte von Frankreich, Mathematik und Astro¬ nomie, Physik, Chemie und Naturbeschreibung. Duruy, der die in den Schriften der Frau von RÄnusat und der Frau Necker de Saussure zum Ausdruck gebrachten Anschauungen über Frauen¬ erziehung in die Praxis einführen wollte, versprach sich von dem Sekundär¬ unterricht sehr viel. Er hoffte, dieser Unterricht werde die Würde der Gattin, sowie das Ansehen der Mutter gegenüber den Kindern erhöhen und den recht¬ müßigen Einfluß der ehrbaren Frau in der Gesellschaft fördern. Er fand den heftigsten Widerstand bei dem Klerus, der den durch seine zahlreichen Pensionate bisher uneingeschränkt geltend gemachten Einfluß auf die Erziehung der Töchter höherer Stände zu verlieren fürchtete. Nach Veröffentlichung der Lehrgegenstände für die Sekundürkurse erhob sich dieser angeblich zum Schutze der Religion und der moralischen Interessen gegen Duruy, indem er dessen Reformpläne auch auf andern Gebieten bekämpfte. Die Angriffe genügten, um Duruys Bestrebungen unfruchtbar zu machen; denn die Regierung, die es mit der Geistlichkeit nicht verderben wollte, unterstützte ihn nicht genügend. Nur in den Großstädten des Landes, wo früher schon ähnliche Einrichtungen bestanden hatten, erhielt sich eine Art weiblichen Sekundärnnterrichts. So blieb der dritten Republik die wichtige Aufgabe, den öffentlichen Müdchenunterricht, insbesondre den der Sekundärstnfe, von Grund aus zu regeln, und sie unterzog sich und unterzieht sich dieser Aufgabe uoch in rühm¬ licher Weise und mit gutem Erfolge.. Der öffentliche Primärunterricht für Mädchen krankte bei Begründung der dritten Republik wie der Primäruuterricht überhaupt an Gebrechen, die man durch die drei Heilmittel ^rg.to.no, oI)I>Ag.t,inen, lA'lenkt, in den siebziger Jahren viel¬ gebrauchte Schlagwörter der Schulfreunde, zu beseitigen hoffte und auch be¬ seitigt hat. Nach langem Kampfe der Parteien begann Ferry bei seinem Eintritt ins Unterrichtsministerium Ende 1879 sofort, den Zauber der Priester zu brechen. Während schon das Gesetz vom 9. August 1879 die Begründung eines Seminars für Laienlehrerinnen in jedem Departement angeordnet hatte, forderte das Gesetz vom 16. Juni 1881 unter Aufhebung der löttrös (l'odvcliönvs von alleu neu anzustellenden Lehrerinnen ein Zeugnis auf Grund einer vor einer staatlich autorisirten Prüfungskommission abgelegten Prüfung. Durch das Gesetz vom 16. Juni 1881, das die Beseitigung des Schulgeldes vor¬ schreibt, bereitete man das Gesetz vom 28. März 1882 über den Schulzwang vor, das das Recht der Unwissenheit auch bei dein weiblichen Geschlecht be¬ seitigte. Weiter begünstigte man die Neueinrichtung von höhern Primärschulen, die unter dem zweiten Kaiserreich von der Geistlichkeit bekämpft und unterdrückt Grenzboten IV 18S0 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/329>, abgerufen am 23.07.2024.