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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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in andre Kreise versetzen kann, sondern dabei stets Gefahr läuft, sein Glück
und sein innerstes Wesen zu schädigen. Und die, durch die er das lernt, ist
eben die "Haubenlerche." "Herr August" ist noch unverheiratet, obwohl er
schon vierunddreißig Jahre alt und in den besten Verhältnissen ist; es fehlt
ihm die leichte Art des Verkehrs, die den Frauen so angenehm ist, er wurde
wohl auch sehr hohe Ansprüche an seine Frau machen, und vor allem: die
Sorge für das Wohl seiner Arbeiter hat sein Herz bisher ganz ausgefüllt.
Wie jeder andre, hat auch er seine Freude an dem sonnigen Wesen der
"Haubenlerche"; ihm fehlt etwas, wenn er sie nicht jeden Tag sehen und
ihren fröhlichen Gesaug hören kann. Aber erst ein Streit mit seinem Halb¬
bruder bringt ihn zu der Überzeugung, daß er sie liebe. Er beschließt sie zu
seinem Stande emporzuheben, sie zu seiner Frau zu machen; das ist ja zugleich
das beste Mittel, sie vor jeder weitern Belästigung dnrch Hermann zu sichern.
Daß er sie dadurch glücklich machen werde, erscheint ihm umso selbstverständ¬
licher, weil er nicht ahnt, daß sie und Ilefeld sich lieben. Lenes Mutter, an
die er sich zunächst wendet, nimmt den Antrag als "große Ehre" mit über¬
strömender Dankbarkeit an: "Herr August" will sie ja auch ins Bad schicken,
und da wird sie ganz gesund werden. Der alte Ale hat natürlich erst recht
nichts einzuwenden und kommt nun plötzlich -- in einer köstlich entworfenen
Szene -- zu einer ganz andern Ansicht vom Reichtum und vom "Herrn August":
er sieht sich schon als des letztern Geschäftsteilhaber. Und Lene -- auch sie
nimmt, allerdings mit blutendem Herzen, die Werbung an. Der "Herr Angust"
ist ja ein so guter Herr/ und -- so hat ihr Ale eingeredet -- diese Heirat ist
das einzige Mittel, ihrer Mutter die Badereise zu verschaffen und sie gesund
zu machen. Aber von Stund an hat sie ihre Heiterkeit verloren, höchstens
ans Augenblicke bricht sie wieder durch. Juliane bietet all ihre edle Liebens¬
würdigkeit auf, sie in Längenthals Hause heimisch zu mache", ihr das Gefühl
der Scheu zu nehmen, sie an die äußern Formen des geselligen Verkehrs in
dem neuen Lebenskreise zu gewöhne"; Lene merkt Wohl, wie gut die Dame es
mit ihr meint, aber sie fühlt auch, je näher der Hochzeitstag kommt, immer
deutlicher, daß sie nie Längenthals Frau werden kau". Ihr geliebter Ilefeld
hat gekündigt ^ den wahren Grund verschweigt er edelmütig --, Lene
meint, er wolle nichts mehr von ihr wisse". Sie ist völlig verwandelt;
nur ein Gedanke erfüllt sie noch: sie will der unglückseligen Heirat entfliehen,
mag dann werden, was da will. Diese Stimmung benutzt Hermann; er bringt
sie mit dem äußersten Aufgebote seiner gefährlichen Beredsamkeit (natürlich
wird er auch die Badereise der Mutter bezahlen) zu denn Verspreche", mit ihm
in der nächsten Nacht nach Berlin zu fliehen; ja er überredet sie schließlich,
da sie doch nicht stundenlang draußen warten könne, ihn in seinein Zimmer
dazu abzuholen.

Entspricht das letzte den Gesetzen psychologischer Wahrscheinlichkeit? Gewiß


in andre Kreise versetzen kann, sondern dabei stets Gefahr läuft, sein Glück
und sein innerstes Wesen zu schädigen. Und die, durch die er das lernt, ist
eben die „Haubenlerche." „Herr August" ist noch unverheiratet, obwohl er
schon vierunddreißig Jahre alt und in den besten Verhältnissen ist; es fehlt
ihm die leichte Art des Verkehrs, die den Frauen so angenehm ist, er wurde
wohl auch sehr hohe Ansprüche an seine Frau machen, und vor allem: die
Sorge für das Wohl seiner Arbeiter hat sein Herz bisher ganz ausgefüllt.
Wie jeder andre, hat auch er seine Freude an dem sonnigen Wesen der
„Haubenlerche"; ihm fehlt etwas, wenn er sie nicht jeden Tag sehen und
ihren fröhlichen Gesaug hören kann. Aber erst ein Streit mit seinem Halb¬
bruder bringt ihn zu der Überzeugung, daß er sie liebe. Er beschließt sie zu
seinem Stande emporzuheben, sie zu seiner Frau zu machen; das ist ja zugleich
das beste Mittel, sie vor jeder weitern Belästigung dnrch Hermann zu sichern.
Daß er sie dadurch glücklich machen werde, erscheint ihm umso selbstverständ¬
licher, weil er nicht ahnt, daß sie und Ilefeld sich lieben. Lenes Mutter, an
die er sich zunächst wendet, nimmt den Antrag als „große Ehre" mit über¬
strömender Dankbarkeit an: „Herr August" will sie ja auch ins Bad schicken,
und da wird sie ganz gesund werden. Der alte Ale hat natürlich erst recht
nichts einzuwenden und kommt nun plötzlich — in einer köstlich entworfenen
Szene — zu einer ganz andern Ansicht vom Reichtum und vom „Herrn August":
er sieht sich schon als des letztern Geschäftsteilhaber. Und Lene — auch sie
nimmt, allerdings mit blutendem Herzen, die Werbung an. Der „Herr Angust"
ist ja ein so guter Herr/ und — so hat ihr Ale eingeredet — diese Heirat ist
das einzige Mittel, ihrer Mutter die Badereise zu verschaffen und sie gesund
zu machen. Aber von Stund an hat sie ihre Heiterkeit verloren, höchstens
ans Augenblicke bricht sie wieder durch. Juliane bietet all ihre edle Liebens¬
würdigkeit auf, sie in Längenthals Hause heimisch zu mache», ihr das Gefühl
der Scheu zu nehmen, sie an die äußern Formen des geselligen Verkehrs in
dem neuen Lebenskreise zu gewöhne»; Lene merkt Wohl, wie gut die Dame es
mit ihr meint, aber sie fühlt auch, je näher der Hochzeitstag kommt, immer
deutlicher, daß sie nie Längenthals Frau werden kau». Ihr geliebter Ilefeld
hat gekündigt ^ den wahren Grund verschweigt er edelmütig —, Lene
meint, er wolle nichts mehr von ihr wisse». Sie ist völlig verwandelt;
nur ein Gedanke erfüllt sie noch: sie will der unglückseligen Heirat entfliehen,
mag dann werden, was da will. Diese Stimmung benutzt Hermann; er bringt
sie mit dem äußersten Aufgebote seiner gefährlichen Beredsamkeit (natürlich
wird er auch die Badereise der Mutter bezahlen) zu denn Verspreche», mit ihm
in der nächsten Nacht nach Berlin zu fliehen; ja er überredet sie schließlich,
da sie doch nicht stundenlang draußen warten könne, ihn in seinein Zimmer
dazu abzuholen.

Entspricht das letzte den Gesetzen psychologischer Wahrscheinlichkeit? Gewiß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/286>, abgerufen am 25.08.2024.