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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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vernichtet werde. Wir fanden sie dieser Tage wieder in einem Artikel der
"Freisinnigen Zeitung/' den vollständig zu zerpflücken, so angenehm es auch
wäre, doch zu viel Raum beanspruchen würde, aus dem wir aber wenigstens
etliche Sätze zu einiger Beleuchtung herausheben wollen. "Das vorhandene
Kapital kann man durch einen brutalen Gewaltakt allerdings seinen Eigen¬
tümern konfisziren und zum Staatseigentum erklären, nicht aber kann neues
Kapital durch einen formalen Akt geschaffen werden." Als ob durch die Ver¬
staatlichung der bebauten Äcker auch nnr eine Drainage rückgängig gemacht,
durch Verstaatlichung der Fabriken auch nur ein Ziegel ausgebrochen oder ein
Dampfkolben zerbrochen würde, sodaß diese Dinge wieder hergestellt werden
müßten! Als ob bei der Verstaatlichung der Privatbahnen in Preußen auch
nur eine Schwelle oder Schiene verloren gegangen wäre! Als ob bei einer
Verstaatlichung der Bergwerke, die voriges Jahr nach dem großen Aufstande
von vielen konservativen Politikern gefordert wurde, auch nur ein Stollen ein¬
fallen würde! "Dieses sdas Kapitals muß erst >von neuem wiederum? das
meint Richter doch wohl^ produzirt und erspart werden." Unsinn, doppelter
Unsinn! Das Kapital ist da und bleibt nach der Besitzübertragung, was es
vorher war. Vermehrt aber wird es auch in Zukunft auf keine andre Weise,
als wie es geschaffen ist, nämlich durch Arbeit, durch nichts als durch Arbeit;
nicht durch "Produziren," sofern das was andres bedeuten soll als arbeiten,
und noch weit weniger durch Sparen; denn kein Verschwender verspeist Kapital¬
güter: Frnchtäcker, Pflüge, Eisenbahnschienen, Dampfkolben, Ziegelsteine und
Vrettnägel, sodaß diese Dinge vor der Verschwendung durch Sparen gerettet
werden müßten. Was der Verschwender verzehrt, das sind eben zum Ver¬
zehren bestimmte Güter, und je mehr davon vertilgt werden, desto besser ist
es für die Produzenten, desto mehr werden sie in den Stand gesetzt, ihre An¬
lagen zu erweitern, d. h. ihr Kapital zu vergrößern, desto stärker wächst das
Nationalkapital, gleichviel, ob der Staat oder die Gesamtheit der Privaten
Besitzer davon ist. Verzehrt werden nicht Stücke des Kapitals, sondern Be¬
standteile des Einkommens; Nahrungs- und Genußmittel gehören nicht zum
Kapital, sondern zum Einkommen. Was im sozialistischen Staate das Kapital
gefährden könnte, das wäre der Wegfall des zur Arbeit treibenden Stachels
der Not. Weil unser Volk noch nicht reif genug sei, ohne diesen Stachel zu
arbeite,?, meint Rvdbertns, darum sei die Zeit für den sozialistischen Staat
noch nicht gekommen.

Was Richter mit dem neuzuschaffenden Kapital eigentlich meint, würden
wir gar nicht zu erraten vermögen, wenn er es nicht an einem Beispiele einiger¬
maßen veranschaulichte. "Der preußische Staatshaushaltsetat hat für 1890/91
einmalige Ausgaben vorgesehen zur Ergänzung und Vervollkommnung des
Staatseisenbahnnetzes im Betrage von 200 Millionen Mark. Die dazu er¬
forderlichen Geldmittel sollen durch Anleihe aufgebracht werden. Diese Auf-


vernichtet werde. Wir fanden sie dieser Tage wieder in einem Artikel der
„Freisinnigen Zeitung/' den vollständig zu zerpflücken, so angenehm es auch
wäre, doch zu viel Raum beanspruchen würde, aus dem wir aber wenigstens
etliche Sätze zu einiger Beleuchtung herausheben wollen. „Das vorhandene
Kapital kann man durch einen brutalen Gewaltakt allerdings seinen Eigen¬
tümern konfisziren und zum Staatseigentum erklären, nicht aber kann neues
Kapital durch einen formalen Akt geschaffen werden." Als ob durch die Ver¬
staatlichung der bebauten Äcker auch nnr eine Drainage rückgängig gemacht,
durch Verstaatlichung der Fabriken auch nur ein Ziegel ausgebrochen oder ein
Dampfkolben zerbrochen würde, sodaß diese Dinge wieder hergestellt werden
müßten! Als ob bei der Verstaatlichung der Privatbahnen in Preußen auch
nur eine Schwelle oder Schiene verloren gegangen wäre! Als ob bei einer
Verstaatlichung der Bergwerke, die voriges Jahr nach dem großen Aufstande
von vielen konservativen Politikern gefordert wurde, auch nur ein Stollen ein¬
fallen würde! „Dieses sdas Kapitals muß erst >von neuem wiederum? das
meint Richter doch wohl^ produzirt und erspart werden." Unsinn, doppelter
Unsinn! Das Kapital ist da und bleibt nach der Besitzübertragung, was es
vorher war. Vermehrt aber wird es auch in Zukunft auf keine andre Weise,
als wie es geschaffen ist, nämlich durch Arbeit, durch nichts als durch Arbeit;
nicht durch „Produziren," sofern das was andres bedeuten soll als arbeiten,
und noch weit weniger durch Sparen; denn kein Verschwender verspeist Kapital¬
güter: Frnchtäcker, Pflüge, Eisenbahnschienen, Dampfkolben, Ziegelsteine und
Vrettnägel, sodaß diese Dinge vor der Verschwendung durch Sparen gerettet
werden müßten. Was der Verschwender verzehrt, das sind eben zum Ver¬
zehren bestimmte Güter, und je mehr davon vertilgt werden, desto besser ist
es für die Produzenten, desto mehr werden sie in den Stand gesetzt, ihre An¬
lagen zu erweitern, d. h. ihr Kapital zu vergrößern, desto stärker wächst das
Nationalkapital, gleichviel, ob der Staat oder die Gesamtheit der Privaten
Besitzer davon ist. Verzehrt werden nicht Stücke des Kapitals, sondern Be¬
standteile des Einkommens; Nahrungs- und Genußmittel gehören nicht zum
Kapital, sondern zum Einkommen. Was im sozialistischen Staate das Kapital
gefährden könnte, das wäre der Wegfall des zur Arbeit treibenden Stachels
der Not. Weil unser Volk noch nicht reif genug sei, ohne diesen Stachel zu
arbeite,?, meint Rvdbertns, darum sei die Zeit für den sozialistischen Staat
noch nicht gekommen.

Was Richter mit dem neuzuschaffenden Kapital eigentlich meint, würden
wir gar nicht zu erraten vermögen, wenn er es nicht an einem Beispiele einiger¬
maßen veranschaulichte. „Der preußische Staatshaushaltsetat hat für 1890/91
einmalige Ausgaben vorgesehen zur Ergänzung und Vervollkommnung des
Staatseisenbahnnetzes im Betrage von 200 Millionen Mark. Die dazu er¬
forderlichen Geldmittel sollen durch Anleihe aufgebracht werden. Diese Auf-


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[0263] vernichtet werde. Wir fanden sie dieser Tage wieder in einem Artikel der „Freisinnigen Zeitung/' den vollständig zu zerpflücken, so angenehm es auch wäre, doch zu viel Raum beanspruchen würde, aus dem wir aber wenigstens etliche Sätze zu einiger Beleuchtung herausheben wollen. „Das vorhandene Kapital kann man durch einen brutalen Gewaltakt allerdings seinen Eigen¬ tümern konfisziren und zum Staatseigentum erklären, nicht aber kann neues Kapital durch einen formalen Akt geschaffen werden." Als ob durch die Ver¬ staatlichung der bebauten Äcker auch nnr eine Drainage rückgängig gemacht, durch Verstaatlichung der Fabriken auch nur ein Ziegel ausgebrochen oder ein Dampfkolben zerbrochen würde, sodaß diese Dinge wieder hergestellt werden müßten! Als ob bei der Verstaatlichung der Privatbahnen in Preußen auch nur eine Schwelle oder Schiene verloren gegangen wäre! Als ob bei einer Verstaatlichung der Bergwerke, die voriges Jahr nach dem großen Aufstande von vielen konservativen Politikern gefordert wurde, auch nur ein Stollen ein¬ fallen würde! „Dieses sdas Kapitals muß erst >von neuem wiederum? das meint Richter doch wohl^ produzirt und erspart werden." Unsinn, doppelter Unsinn! Das Kapital ist da und bleibt nach der Besitzübertragung, was es vorher war. Vermehrt aber wird es auch in Zukunft auf keine andre Weise, als wie es geschaffen ist, nämlich durch Arbeit, durch nichts als durch Arbeit; nicht durch „Produziren," sofern das was andres bedeuten soll als arbeiten, und noch weit weniger durch Sparen; denn kein Verschwender verspeist Kapital¬ güter: Frnchtäcker, Pflüge, Eisenbahnschienen, Dampfkolben, Ziegelsteine und Vrettnägel, sodaß diese Dinge vor der Verschwendung durch Sparen gerettet werden müßten. Was der Verschwender verzehrt, das sind eben zum Ver¬ zehren bestimmte Güter, und je mehr davon vertilgt werden, desto besser ist es für die Produzenten, desto mehr werden sie in den Stand gesetzt, ihre An¬ lagen zu erweitern, d. h. ihr Kapital zu vergrößern, desto stärker wächst das Nationalkapital, gleichviel, ob der Staat oder die Gesamtheit der Privaten Besitzer davon ist. Verzehrt werden nicht Stücke des Kapitals, sondern Be¬ standteile des Einkommens; Nahrungs- und Genußmittel gehören nicht zum Kapital, sondern zum Einkommen. Was im sozialistischen Staate das Kapital gefährden könnte, das wäre der Wegfall des zur Arbeit treibenden Stachels der Not. Weil unser Volk noch nicht reif genug sei, ohne diesen Stachel zu arbeite,?, meint Rvdbertns, darum sei die Zeit für den sozialistischen Staat noch nicht gekommen. Was Richter mit dem neuzuschaffenden Kapital eigentlich meint, würden wir gar nicht zu erraten vermögen, wenn er es nicht an einem Beispiele einiger¬ maßen veranschaulichte. „Der preußische Staatshaushaltsetat hat für 1890/91 einmalige Ausgaben vorgesehen zur Ergänzung und Vervollkommnung des Staatseisenbahnnetzes im Betrage von 200 Millionen Mark. Die dazu er¬ forderlichen Geldmittel sollen durch Anleihe aufgebracht werden. Diese Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/263>, abgerufen am 23.07.2024.