Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches so wird man es auch hier thun, wie wir hoffen. Der Begriff des Sachverstän¬ Es war ferner auffallend, daß die Schrift Güßfeldts: "Erziehung der Maßgebliches und Unmaßgebliches so wird man es auch hier thun, wie wir hoffen. Der Begriff des Sachverstän¬ Es war ferner auffallend, daß die Schrift Güßfeldts: „Erziehung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208827"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700"> so wird man es auch hier thun, wie wir hoffen. Der Begriff des Sachverstän¬<lb/> digen läßt sich so wenig in der Erziehung, wie in der Heilkunst umgehen. Das<lb/> eine nur macht die Erziehung noch schwieriger, daß es sich hier auch um die<lb/> Historisch-Politische Tradition handelt, die in dem Schulwesen vorliegt und die nur<lb/> der Radikalismus gering schätzt. Man kann sie allerdings auch überschätzen und<lb/> allzu konservativ für das Bestehende kämpfen. Dies thut in sehr interessanter<lb/> Weise Professor Adolf Lasson in Berlin in seiner Schrift: Link ut sunt (Berlin,<lb/> Walter und Apvlant), „Für das alte Gymnasium wider die Neuerer." Er giebt<lb/> wohl zu verstehen, daß ihm hie und da noch ein Wunsch bleibt den alten Schulen<lb/> gegenüber, aber es ist verhältnismäßig so wenig und so nebensächlich, daß er es<lb/> schon ans taktischen Gründen gar nicht erwähnt. Eine Stelle wird besonders an¬<lb/> stößig, vielleicht auch spaßhaft erscheinen (S. 41), wo er über die Phrasen des<lb/> lateinischen Schüleraufsatzes spricht: „Wer nicht Phrasen machen gelernt hat, wird<lb/> niemals von der Phrasenmacherei sich befreien können, und über den wird die<lb/> Phrase, die andre machen, viel leichter ihre Gewalt behaupten. Die Phrase ist<lb/> das edle Vorrecht der Jugendlichkeit, und man soll es der Jugend nicht ver¬<lb/> kümmern. Man muß dieses Stadium geistiger Entwicklung hinter sich gelegt haben,<lb/> um davon frei zu werden." Lasson hat Anspruch darauf, daß wir seinen Worte»<lb/> den besten Sinn abzugewinnen suchen. Das Wort „Phrase" hat für deu Philo¬<lb/> logen einen ganz harmlosen Sinn, und es wird jedem aus Nägelsbachs Stilistik<lb/> noch erinnerlich sein, welches Bildungsmittel in stilistischen Vergleichungen vorliegt.<lb/> Die Erfahrung zeigt übrigens, daß Primaner der besten Art, die ihre deutschen<lb/> Arbeiten zu großer Befriedigung machten, in den lateinischen Aufsätzen gern der<lb/> rhetorischen Anlage der lateinischen Sprache folgten. Ein solcher Schüler lernte<lb/> zu gleicher Zeit deu Anfang von Schleiermachers „Reden über die Religion" aus¬<lb/> wendig, so sehr hatte er für eigentümliche Redeformen Interesse gewonnen. Das<lb/> ist doch ein nicht unwichtiges Ergebnis der Schulung. Aber daß der lateinische<lb/> Aufsatz dem „allgemeinen Unwillen" bald erliegen wird, ist auch wohl Lasson nicht<lb/> zweifelhaft. Vielleicht kommt er später einmal wieder zu Ehren, aber für jetzt<lb/> unterliegt er dem Fatum, das seine „kräftigen Irrtümer" durchsetzt. Es ist ganz<lb/> thöricht, sich darüber zu beschweren.</p><lb/> <p xml:id="ID_702" next="#ID_703"> Es war ferner auffallend, daß die Schrift Güßfeldts: „Erziehung der<lb/> dentschen Jugend" so lange glimpflich besprochen wurde; sogar Schreyer (Schul-<lb/> pforta) widmet ihr einen wohlwollenden Anhang. Nun aber begegnet sie großer<lb/> Feindschaft. Einmal Vonseiten des Professors de Lcigarde in Göttingen, eines<lb/> unsrer größten Gelehrten und ehemaligen Gymnasiallehrers, der etwas darauf hält,<lb/> originale Ansichten zu haben. Selbst der Stil seines Gegners mißfällt ihm vom<lb/> Standpunkte der Logik. Sodann zeigt ein aktiver Schulmann, Gymnasialdirektor<lb/> Cvnradt in Greifenberg, in seinein Schriftchen: „Dilettantentum, Lehrerschaft und<lb/> Verwaltung in unserm höhern Schulwesen" (Wiesbaden, Kunze), was Güßfeldts<lb/> Schrift wert ist, d. h. wie sie ein Beispiel von dem Dilettantentum ist, das sich<lb/> um die Sache selbst nie ernstlich gekümmert hat. Das wird denn in vorzüglicher,<lb/> frischer Darstellung überzeugend ausgeführt und nachgewiesen, wie der Herr Kritiker<lb/> weder die schon acht Jahre alten Ministerialverfügungen, noch die heutigen Zu¬<lb/> stände kennt, nicht einmal die heutigen Einrichtungen für Gesundheitspflege. Die<lb/> letzte Abteilung der Conradtschen Schrift ist äußerst praktisch und bespricht die<lb/> Gcchaltsverhältnisse der Lehrer, verglichen mit denen in andern Fächern und bei<lb/> den Subalternen. Diese Angelegenheit, die recht übel steht, verdient eine baldige<lb/> Reform, aber für einen weitern Leserkreis bietet sie keine Handhabe. Gerade der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
so wird man es auch hier thun, wie wir hoffen. Der Begriff des Sachverstän¬
digen läßt sich so wenig in der Erziehung, wie in der Heilkunst umgehen. Das
eine nur macht die Erziehung noch schwieriger, daß es sich hier auch um die
Historisch-Politische Tradition handelt, die in dem Schulwesen vorliegt und die nur
der Radikalismus gering schätzt. Man kann sie allerdings auch überschätzen und
allzu konservativ für das Bestehende kämpfen. Dies thut in sehr interessanter
Weise Professor Adolf Lasson in Berlin in seiner Schrift: Link ut sunt (Berlin,
Walter und Apvlant), „Für das alte Gymnasium wider die Neuerer." Er giebt
wohl zu verstehen, daß ihm hie und da noch ein Wunsch bleibt den alten Schulen
gegenüber, aber es ist verhältnismäßig so wenig und so nebensächlich, daß er es
schon ans taktischen Gründen gar nicht erwähnt. Eine Stelle wird besonders an¬
stößig, vielleicht auch spaßhaft erscheinen (S. 41), wo er über die Phrasen des
lateinischen Schüleraufsatzes spricht: „Wer nicht Phrasen machen gelernt hat, wird
niemals von der Phrasenmacherei sich befreien können, und über den wird die
Phrase, die andre machen, viel leichter ihre Gewalt behaupten. Die Phrase ist
das edle Vorrecht der Jugendlichkeit, und man soll es der Jugend nicht ver¬
kümmern. Man muß dieses Stadium geistiger Entwicklung hinter sich gelegt haben,
um davon frei zu werden." Lasson hat Anspruch darauf, daß wir seinen Worte»
den besten Sinn abzugewinnen suchen. Das Wort „Phrase" hat für deu Philo¬
logen einen ganz harmlosen Sinn, und es wird jedem aus Nägelsbachs Stilistik
noch erinnerlich sein, welches Bildungsmittel in stilistischen Vergleichungen vorliegt.
Die Erfahrung zeigt übrigens, daß Primaner der besten Art, die ihre deutschen
Arbeiten zu großer Befriedigung machten, in den lateinischen Aufsätzen gern der
rhetorischen Anlage der lateinischen Sprache folgten. Ein solcher Schüler lernte
zu gleicher Zeit deu Anfang von Schleiermachers „Reden über die Religion" aus¬
wendig, so sehr hatte er für eigentümliche Redeformen Interesse gewonnen. Das
ist doch ein nicht unwichtiges Ergebnis der Schulung. Aber daß der lateinische
Aufsatz dem „allgemeinen Unwillen" bald erliegen wird, ist auch wohl Lasson nicht
zweifelhaft. Vielleicht kommt er später einmal wieder zu Ehren, aber für jetzt
unterliegt er dem Fatum, das seine „kräftigen Irrtümer" durchsetzt. Es ist ganz
thöricht, sich darüber zu beschweren.
Es war ferner auffallend, daß die Schrift Güßfeldts: „Erziehung der
dentschen Jugend" so lange glimpflich besprochen wurde; sogar Schreyer (Schul-
pforta) widmet ihr einen wohlwollenden Anhang. Nun aber begegnet sie großer
Feindschaft. Einmal Vonseiten des Professors de Lcigarde in Göttingen, eines
unsrer größten Gelehrten und ehemaligen Gymnasiallehrers, der etwas darauf hält,
originale Ansichten zu haben. Selbst der Stil seines Gegners mißfällt ihm vom
Standpunkte der Logik. Sodann zeigt ein aktiver Schulmann, Gymnasialdirektor
Cvnradt in Greifenberg, in seinein Schriftchen: „Dilettantentum, Lehrerschaft und
Verwaltung in unserm höhern Schulwesen" (Wiesbaden, Kunze), was Güßfeldts
Schrift wert ist, d. h. wie sie ein Beispiel von dem Dilettantentum ist, das sich
um die Sache selbst nie ernstlich gekümmert hat. Das wird denn in vorzüglicher,
frischer Darstellung überzeugend ausgeführt und nachgewiesen, wie der Herr Kritiker
weder die schon acht Jahre alten Ministerialverfügungen, noch die heutigen Zu¬
stände kennt, nicht einmal die heutigen Einrichtungen für Gesundheitspflege. Die
letzte Abteilung der Conradtschen Schrift ist äußerst praktisch und bespricht die
Gcchaltsverhältnisse der Lehrer, verglichen mit denen in andern Fächern und bei
den Subalternen. Diese Angelegenheit, die recht übel steht, verdient eine baldige
Reform, aber für einen weitern Leserkreis bietet sie keine Handhabe. Gerade der
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