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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zunächst sind Bebels reformatorische Forderungen schon deshalb maßvoll,
weil sie ausführbar sind, und ausführbar sind sie, weil sie durchaus uicht
über das in zahlreiche" gut geleitete" Bäckereibetrieben bereits vorhandene
und gewährte hinausgehen. Bebel führt unter deu Nummern 40S. 597, 598
selbst solche Betriebe auf, die er als "ideale Bäckerwerkstätten" anerkennt, und
er schließt sich der Meinung eines Einzelberichterstatters an, der meint, daß solche
Werkstätten zeigen, "daß, wenn der gute Wille des Unternehmers vorhanden
ist, sehr viel für das Wohlbefinden der Arbeiter gethan werden kann."

Es ist in der That uicht abzusehen, warum, wenn viele Betriebe gute
Bezahlung, gute Kost, gute Wohnung und reinliche Verhältnisse bieten können,
warum dann konkurrirende Betriebe nur bei geringern Leistungen bestehen zu
können glauben. Insbesondre fragt man sich, warum der Lehrling in dem
einen Betriebe länger als der Geselle arbeiten muß, während in einem andern
Betriebe man ihn kürzere Zeit, besonders bei Nacht, arbeiten läßt, als den
Gesellen. Warum muß in vielen Betrieben über sechzehn, ja bis zwanzig
Stunden gearbeitet werden, während andre mit zwölf, ja sogar mit neun
Stunden täglicher Arbeitszeit auskommen? Warum können die einen Bäckereien
bis zu sechzig Ruhetagen das Jahr gewähren, während andre zahllose im
ganzen Jahre nicht einen einzigen freien Tag kennen? Die eine Meisterin giebt
jedem ihrer Gesellen ein eignes Bett, allmonatlich frische Wäsche und wöchentlich
zwei Handtücher, während eine andre genug zu thun glaubt, wenn drei Per¬
sonen auf ein Bett kommen, aller neun Monate die Wäsche gewechselt wird
und sieben Personen wöchentlich auf zwei Handtücher (in einer Bäckerei!) an¬
gewiesen sind. Also es geht, wenn man nur will. Gewiß sind weitergehende
Wohlfahrtseinrichtungen, als Badeeinrichtungen, Ferien u. s. w., wie Bebel
mit Recht bemerkt, nur bei größern Betrieben möglich. Aber er hat ebenfalls
Recht, wenn er den kleinen Betrieben, die das Einfachste nicht zu leisten ver¬
mögen, auch die Daseinsberechtigung abspricht.

Wenn es aber nun gut gehen könnte, warum geht es deun nicht überall
gut? In sozialdemokratischen Versammlungen pflegt diese Frage dahin beant¬
wortet zu werden, daß bei der kapitalistischen Produktion und den Gesinnungen
der herrschenden Klasse eine Besserung nicht möglich sei. Bebel aber bekennt,
was ja an sich nicht neu ist, daß die frühern Arbeiter, wenn sie sich zu Unter-
nehmern hinausarbeiten, oft die schlimmsten "Arbeitgeber" sind. "In keinem
Gewerbe, die Fleischerei vielleicht ausgenommen, spielt das emporgekommene,
oft der notwendigen Bildung ermangelnde Protzentum eine solche Rolle, wie
in der Bäckereiuuternehmerschaft."

Und wenn es sich uun endlich um die wichtigste Frage, die der Heilung
und Beseitigung der dargelegten Mißstände, handelt, dann ist es bemerkenswert,
daß Bebel kein Wort von der Notwendigkeit des Zusammenbruchs der jetzigen
Wirtschaftsordnung sagt, daß er vielmehr alle diese Mängel innerhalb unsrer


Zunächst sind Bebels reformatorische Forderungen schon deshalb maßvoll,
weil sie ausführbar sind, und ausführbar sind sie, weil sie durchaus uicht
über das in zahlreiche« gut geleitete» Bäckereibetrieben bereits vorhandene
und gewährte hinausgehen. Bebel führt unter deu Nummern 40S. 597, 598
selbst solche Betriebe auf, die er als „ideale Bäckerwerkstätten" anerkennt, und
er schließt sich der Meinung eines Einzelberichterstatters an, der meint, daß solche
Werkstätten zeigen, „daß, wenn der gute Wille des Unternehmers vorhanden
ist, sehr viel für das Wohlbefinden der Arbeiter gethan werden kann."

Es ist in der That uicht abzusehen, warum, wenn viele Betriebe gute
Bezahlung, gute Kost, gute Wohnung und reinliche Verhältnisse bieten können,
warum dann konkurrirende Betriebe nur bei geringern Leistungen bestehen zu
können glauben. Insbesondre fragt man sich, warum der Lehrling in dem
einen Betriebe länger als der Geselle arbeiten muß, während in einem andern
Betriebe man ihn kürzere Zeit, besonders bei Nacht, arbeiten läßt, als den
Gesellen. Warum muß in vielen Betrieben über sechzehn, ja bis zwanzig
Stunden gearbeitet werden, während andre mit zwölf, ja sogar mit neun
Stunden täglicher Arbeitszeit auskommen? Warum können die einen Bäckereien
bis zu sechzig Ruhetagen das Jahr gewähren, während andre zahllose im
ganzen Jahre nicht einen einzigen freien Tag kennen? Die eine Meisterin giebt
jedem ihrer Gesellen ein eignes Bett, allmonatlich frische Wäsche und wöchentlich
zwei Handtücher, während eine andre genug zu thun glaubt, wenn drei Per¬
sonen auf ein Bett kommen, aller neun Monate die Wäsche gewechselt wird
und sieben Personen wöchentlich auf zwei Handtücher (in einer Bäckerei!) an¬
gewiesen sind. Also es geht, wenn man nur will. Gewiß sind weitergehende
Wohlfahrtseinrichtungen, als Badeeinrichtungen, Ferien u. s. w., wie Bebel
mit Recht bemerkt, nur bei größern Betrieben möglich. Aber er hat ebenfalls
Recht, wenn er den kleinen Betrieben, die das Einfachste nicht zu leisten ver¬
mögen, auch die Daseinsberechtigung abspricht.

Wenn es aber nun gut gehen könnte, warum geht es deun nicht überall
gut? In sozialdemokratischen Versammlungen pflegt diese Frage dahin beant¬
wortet zu werden, daß bei der kapitalistischen Produktion und den Gesinnungen
der herrschenden Klasse eine Besserung nicht möglich sei. Bebel aber bekennt,
was ja an sich nicht neu ist, daß die frühern Arbeiter, wenn sie sich zu Unter-
nehmern hinausarbeiten, oft die schlimmsten „Arbeitgeber" sind. „In keinem
Gewerbe, die Fleischerei vielleicht ausgenommen, spielt das emporgekommene,
oft der notwendigen Bildung ermangelnde Protzentum eine solche Rolle, wie
in der Bäckereiuuternehmerschaft."

Und wenn es sich uun endlich um die wichtigste Frage, die der Heilung
und Beseitigung der dargelegten Mißstände, handelt, dann ist es bemerkenswert,
daß Bebel kein Wort von der Notwendigkeit des Zusammenbruchs der jetzigen
Wirtschaftsordnung sagt, daß er vielmehr alle diese Mängel innerhalb unsrer


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[0234] Zunächst sind Bebels reformatorische Forderungen schon deshalb maßvoll, weil sie ausführbar sind, und ausführbar sind sie, weil sie durchaus uicht über das in zahlreiche« gut geleitete» Bäckereibetrieben bereits vorhandene und gewährte hinausgehen. Bebel führt unter deu Nummern 40S. 597, 598 selbst solche Betriebe auf, die er als „ideale Bäckerwerkstätten" anerkennt, und er schließt sich der Meinung eines Einzelberichterstatters an, der meint, daß solche Werkstätten zeigen, „daß, wenn der gute Wille des Unternehmers vorhanden ist, sehr viel für das Wohlbefinden der Arbeiter gethan werden kann." Es ist in der That uicht abzusehen, warum, wenn viele Betriebe gute Bezahlung, gute Kost, gute Wohnung und reinliche Verhältnisse bieten können, warum dann konkurrirende Betriebe nur bei geringern Leistungen bestehen zu können glauben. Insbesondre fragt man sich, warum der Lehrling in dem einen Betriebe länger als der Geselle arbeiten muß, während in einem andern Betriebe man ihn kürzere Zeit, besonders bei Nacht, arbeiten läßt, als den Gesellen. Warum muß in vielen Betrieben über sechzehn, ja bis zwanzig Stunden gearbeitet werden, während andre mit zwölf, ja sogar mit neun Stunden täglicher Arbeitszeit auskommen? Warum können die einen Bäckereien bis zu sechzig Ruhetagen das Jahr gewähren, während andre zahllose im ganzen Jahre nicht einen einzigen freien Tag kennen? Die eine Meisterin giebt jedem ihrer Gesellen ein eignes Bett, allmonatlich frische Wäsche und wöchentlich zwei Handtücher, während eine andre genug zu thun glaubt, wenn drei Per¬ sonen auf ein Bett kommen, aller neun Monate die Wäsche gewechselt wird und sieben Personen wöchentlich auf zwei Handtücher (in einer Bäckerei!) an¬ gewiesen sind. Also es geht, wenn man nur will. Gewiß sind weitergehende Wohlfahrtseinrichtungen, als Badeeinrichtungen, Ferien u. s. w., wie Bebel mit Recht bemerkt, nur bei größern Betrieben möglich. Aber er hat ebenfalls Recht, wenn er den kleinen Betrieben, die das Einfachste nicht zu leisten ver¬ mögen, auch die Daseinsberechtigung abspricht. Wenn es aber nun gut gehen könnte, warum geht es deun nicht überall gut? In sozialdemokratischen Versammlungen pflegt diese Frage dahin beant¬ wortet zu werden, daß bei der kapitalistischen Produktion und den Gesinnungen der herrschenden Klasse eine Besserung nicht möglich sei. Bebel aber bekennt, was ja an sich nicht neu ist, daß die frühern Arbeiter, wenn sie sich zu Unter- nehmern hinausarbeiten, oft die schlimmsten „Arbeitgeber" sind. „In keinem Gewerbe, die Fleischerei vielleicht ausgenommen, spielt das emporgekommene, oft der notwendigen Bildung ermangelnde Protzentum eine solche Rolle, wie in der Bäckereiuuternehmerschaft." Und wenn es sich uun endlich um die wichtigste Frage, die der Heilung und Beseitigung der dargelegten Mißstände, handelt, dann ist es bemerkenswert, daß Bebel kein Wort von der Notwendigkeit des Zusammenbruchs der jetzigen Wirtschaftsordnung sagt, daß er vielmehr alle diese Mängel innerhalb unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/234>, abgerufen am 25.08.2024.