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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das allgemeine Wahlrecht

Beschlüssen nichts gemein. Auf Grund dieses beschränkten Wahlrechtes
fanden am 31. Januar 1850 in einer Anzahl deutscher Staaten die Wahlen
zum sogenannten Erfurter Reichstage statt, der am 23. April die ihm vor¬
gelegte Reichsverfassung -- mit den erwähnten Wahlbeschränknugen -- an¬
nahm.

Aber auch diese Verfassung war totgeboren, und die Tage von Warschau
und Olmütz fügten zum Unglück noch die Schmach hinzu. Im übrigen
Deutschland bildete sich die Anschauung, daß die preußische Monarchie der
Führung der Nation nicht gewachsen sei; immer geringer wurde die Zahl der
Freunde, immer größer der Widerwille gegen den "freiheitbedrvhenden, länder¬
gierigen" Hohenzollernstaat. Die bald nach dem Thronwechsel zwischen der
Regierung und der Volksvertretung beginnende Spannung und vollends
die infolge dessen ergangene Verufnng Bismarcks mußte allen Uneinge¬
weihten als der Anfang einer starken Reaktion erscheinen. Man erinnerte
sich der Haltung des Abgeordneten von Bismarck und lebte der Über¬
zeugung, daß der Minister seit jenen Jahren wenig gelernt und nichts ver¬
gessen habe.

So trat der größte Teil der Nation dem Manne entgegen, in dessen
Plan schon damals ein aus unmittelbarer Nolkswahl hervorgegangenes Parla¬
ment eine der Hauptstützen der künftigen Einheit bildete. Denn das war die
Forderung, mit der er im Januar 1863 den von Österreich und Sachsen
empfohlenen Delegatiousvorschlng über- und niedertrumpfte, jenen Vorschlag,
der die deutsche Nationalversammlung aus Abordnungen der einzelnen Landes¬
kammern zusammenflicken wollte. Die Beweggründe, die Bismarck zu der
Befürwortung einer allgemeinen Volksvertretung veranlaßten, sind an erster
Stelle in Erwägungen der Aktiouspolitik zu suchen, die er zur Lösung der
deutschen Frage und zur Abrechnung mit Österreich eingeschlagen hatte. Im
Beginn des Jahres 18"iK soll er dein König geradezu den Rat gegeben haben,
gegen Österreich die Bundesgenossenschaft des deutscheu Volkes zu suchen und
zu diesem Zwecke die Reichsverfassung des Jahres 184!" als sein Programm
zu verkündigen. Diesen kühnen Gedanken brachte er am !>. April in einem
wichtigen Punkte zur Ausführung, indem er beim Bundestage den Antrag
stellte, auf Grund allgemeiner Wahlen ein deutsches Parlament zur Mitwirkung
an einer neuen Bundesverfassung zu berufen.

Vergegenwärtigen wir uns die Feindseligkeit, mit der eine Anzahl
deutscher Höfe die Unionsbestrebungen Preußens verfolgte, so können wir
nicht umhin, einen Plan zu bewundern, der den Bau der Einheit in seinem
tiefsten Grunde, in dein Bewußtsein des Volkes zu festigen suchte. Von diesem
Standpunkt ans bedarf Bismarcks Forderung eines aus allgemeinen Wahlen
hervorgehenden Parlaments keiner Rechtfertigung. Aber allgemeine und un¬
beschränkte Wahlen sind nicht durchaus dasselbe, und die Ziele, die durch ein


Das allgemeine Wahlrecht

Beschlüssen nichts gemein. Auf Grund dieses beschränkten Wahlrechtes
fanden am 31. Januar 1850 in einer Anzahl deutscher Staaten die Wahlen
zum sogenannten Erfurter Reichstage statt, der am 23. April die ihm vor¬
gelegte Reichsverfassung — mit den erwähnten Wahlbeschränknugen — an¬
nahm.

Aber auch diese Verfassung war totgeboren, und die Tage von Warschau
und Olmütz fügten zum Unglück noch die Schmach hinzu. Im übrigen
Deutschland bildete sich die Anschauung, daß die preußische Monarchie der
Führung der Nation nicht gewachsen sei; immer geringer wurde die Zahl der
Freunde, immer größer der Widerwille gegen den „freiheitbedrvhenden, länder¬
gierigen" Hohenzollernstaat. Die bald nach dem Thronwechsel zwischen der
Regierung und der Volksvertretung beginnende Spannung und vollends
die infolge dessen ergangene Verufnng Bismarcks mußte allen Uneinge¬
weihten als der Anfang einer starken Reaktion erscheinen. Man erinnerte
sich der Haltung des Abgeordneten von Bismarck und lebte der Über¬
zeugung, daß der Minister seit jenen Jahren wenig gelernt und nichts ver¬
gessen habe.

So trat der größte Teil der Nation dem Manne entgegen, in dessen
Plan schon damals ein aus unmittelbarer Nolkswahl hervorgegangenes Parla¬
ment eine der Hauptstützen der künftigen Einheit bildete. Denn das war die
Forderung, mit der er im Januar 1863 den von Österreich und Sachsen
empfohlenen Delegatiousvorschlng über- und niedertrumpfte, jenen Vorschlag,
der die deutsche Nationalversammlung aus Abordnungen der einzelnen Landes¬
kammern zusammenflicken wollte. Die Beweggründe, die Bismarck zu der
Befürwortung einer allgemeinen Volksvertretung veranlaßten, sind an erster
Stelle in Erwägungen der Aktiouspolitik zu suchen, die er zur Lösung der
deutschen Frage und zur Abrechnung mit Österreich eingeschlagen hatte. Im
Beginn des Jahres 18«iK soll er dein König geradezu den Rat gegeben haben,
gegen Österreich die Bundesgenossenschaft des deutscheu Volkes zu suchen und
zu diesem Zwecke die Reichsverfassung des Jahres 184!» als sein Programm
zu verkündigen. Diesen kühnen Gedanken brachte er am !>. April in einem
wichtigen Punkte zur Ausführung, indem er beim Bundestage den Antrag
stellte, auf Grund allgemeiner Wahlen ein deutsches Parlament zur Mitwirkung
an einer neuen Bundesverfassung zu berufen.

Vergegenwärtigen wir uns die Feindseligkeit, mit der eine Anzahl
deutscher Höfe die Unionsbestrebungen Preußens verfolgte, so können wir
nicht umhin, einen Plan zu bewundern, der den Bau der Einheit in seinem
tiefsten Grunde, in dein Bewußtsein des Volkes zu festigen suchte. Von diesem
Standpunkt ans bedarf Bismarcks Forderung eines aus allgemeinen Wahlen
hervorgehenden Parlaments keiner Rechtfertigung. Aber allgemeine und un¬
beschränkte Wahlen sind nicht durchaus dasselbe, und die Ziele, die durch ein


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[0216] Das allgemeine Wahlrecht Beschlüssen nichts gemein. Auf Grund dieses beschränkten Wahlrechtes fanden am 31. Januar 1850 in einer Anzahl deutscher Staaten die Wahlen zum sogenannten Erfurter Reichstage statt, der am 23. April die ihm vor¬ gelegte Reichsverfassung — mit den erwähnten Wahlbeschränknugen — an¬ nahm. Aber auch diese Verfassung war totgeboren, und die Tage von Warschau und Olmütz fügten zum Unglück noch die Schmach hinzu. Im übrigen Deutschland bildete sich die Anschauung, daß die preußische Monarchie der Führung der Nation nicht gewachsen sei; immer geringer wurde die Zahl der Freunde, immer größer der Widerwille gegen den „freiheitbedrvhenden, länder¬ gierigen" Hohenzollernstaat. Die bald nach dem Thronwechsel zwischen der Regierung und der Volksvertretung beginnende Spannung und vollends die infolge dessen ergangene Verufnng Bismarcks mußte allen Uneinge¬ weihten als der Anfang einer starken Reaktion erscheinen. Man erinnerte sich der Haltung des Abgeordneten von Bismarck und lebte der Über¬ zeugung, daß der Minister seit jenen Jahren wenig gelernt und nichts ver¬ gessen habe. So trat der größte Teil der Nation dem Manne entgegen, in dessen Plan schon damals ein aus unmittelbarer Nolkswahl hervorgegangenes Parla¬ ment eine der Hauptstützen der künftigen Einheit bildete. Denn das war die Forderung, mit der er im Januar 1863 den von Österreich und Sachsen empfohlenen Delegatiousvorschlng über- und niedertrumpfte, jenen Vorschlag, der die deutsche Nationalversammlung aus Abordnungen der einzelnen Landes¬ kammern zusammenflicken wollte. Die Beweggründe, die Bismarck zu der Befürwortung einer allgemeinen Volksvertretung veranlaßten, sind an erster Stelle in Erwägungen der Aktiouspolitik zu suchen, die er zur Lösung der deutschen Frage und zur Abrechnung mit Österreich eingeschlagen hatte. Im Beginn des Jahres 18«iK soll er dein König geradezu den Rat gegeben haben, gegen Österreich die Bundesgenossenschaft des deutscheu Volkes zu suchen und zu diesem Zwecke die Reichsverfassung des Jahres 184!» als sein Programm zu verkündigen. Diesen kühnen Gedanken brachte er am !>. April in einem wichtigen Punkte zur Ausführung, indem er beim Bundestage den Antrag stellte, auf Grund allgemeiner Wahlen ein deutsches Parlament zur Mitwirkung an einer neuen Bundesverfassung zu berufen. Vergegenwärtigen wir uns die Feindseligkeit, mit der eine Anzahl deutscher Höfe die Unionsbestrebungen Preußens verfolgte, so können wir nicht umhin, einen Plan zu bewundern, der den Bau der Einheit in seinem tiefsten Grunde, in dein Bewußtsein des Volkes zu festigen suchte. Von diesem Standpunkt ans bedarf Bismarcks Forderung eines aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Parlaments keiner Rechtfertigung. Aber allgemeine und un¬ beschränkte Wahlen sind nicht durchaus dasselbe, und die Ziele, die durch ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/216>, abgerufen am 23.07.2024.