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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das "illgemcine Ivahlrecht

vorgreifen, wem: jeder sonstigen Veränderung die Erteilung des höchsten poli¬
tischen Rechtes vorangehen sollte. Soll die junge Freiheit feste Wurzeln
schlagen, nud soll ein gesundes Staatsleben ans den neugelegten Grundlagen
erwachse", so sind einschränkende Bestinunungen notwendig zu treffen."

Diesem Bedenken gaben andre Mitglieder der Kommission nicht Raum,
sondern verlangten die Beseitigung der durch das Wort "selbständig" in 8 1
bewirkten Beschränkung. Die Rednerliste zeigte mehr als dreißig Redner gegen
den Entwurf und nnr neun dafür. Da unsre Darstellung nicht über Gebühr
anschwellen darf, so muß sie sich auf wenige Angaben beschränke".

Die Verhandlungen über die beiden Paragraphen kamen in der 174. Sitzung
zum Abschluß, nachdem die vcrschiediieu Meiuunge" mit ungewöhnlicher Heftigkeit
auf einander gestoßen waren. Wie sehr die Ansichten in diesem Punkte an?
einander strebten, beweist die Thatsache, daß nicht weniger als siebzig Ver-
besserungsvorschläge gemacht wurden. Die Verteidiger des Entwurfes stützten
sich wesentlich auf die schon im Kommissionsbericht enthaltenen Erwägungen,
während die Gegner der Kommission den Vorwurf machten, die "Grundsätze
des Jahres 1843 verraten und die unveräußerlichen, angebornen Rechte des
Volkes vergewaltigt zu haben."

Die Schlußabstinunuug hatte das überraschende Ergebnis, daß das Wort
"selbständig" im i; 1 des KommissiouSeutwurses mit 422 gegen 21 Stimmen
beseitigt wurde; damit war zugleich die im 8 2 beantragte Ausschließung der
Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner verworfen.
Zuletzt wurden die beiden Paragraphen in folgender Fassung angenommen:
^ 1. Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste
Lebensjahr zurückgelegt hat. H 2. Von der Berechtigung zum Wählen sind
ausgeschlossen: 1. Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen;
2. Personen, über deren Vermögen u. s. w. und 3. Personen, welche eine
Armenunterstützung n. s. w.

Diese Beschlüsse sind, wie wir später sehen werden, für das deutsche Volk
verhängnisvoll geworden, wenn sie auch vorläufig wie alles, was man in
Frankfurt beschlösse" hatte, nnr auf dein Papier standen. Umso nachdrücklicher
erhebe ich die Behauptung, daß die Mehrheit des Frankfurter Parlaments
den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes für gefährlich und verwerflich
ansah und nur dadurch der Minderheit einen Scheinsieg ermöglichte, daß sie
sich über die Frage, wie die Beschränkung geschehen sollte, nicht zu einigen
wußte. Ich habe nunmehr diese Behmiptung zu beweisen.

Der Abgeordnete Hofmann hatte während der^ Beratung den Antrag ein¬
gebracht: "Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfund-
zwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, entweder Grundbesitz oder eignen Haus¬
halt hat, oder endlich Staats-, Kirchen- oder Gemeindediener ist." Für diesen
Antrag ergaben sich 209, gegen ihn 239 Stimmen, sodaß ihm an der Mehr-


Das »illgemcine Ivahlrecht

vorgreifen, wem: jeder sonstigen Veränderung die Erteilung des höchsten poli¬
tischen Rechtes vorangehen sollte. Soll die junge Freiheit feste Wurzeln
schlagen, nud soll ein gesundes Staatsleben ans den neugelegten Grundlagen
erwachse», so sind einschränkende Bestinunungen notwendig zu treffen."

Diesem Bedenken gaben andre Mitglieder der Kommission nicht Raum,
sondern verlangten die Beseitigung der durch das Wort „selbständig" in 8 1
bewirkten Beschränkung. Die Rednerliste zeigte mehr als dreißig Redner gegen
den Entwurf und nnr neun dafür. Da unsre Darstellung nicht über Gebühr
anschwellen darf, so muß sie sich auf wenige Angaben beschränke».

Die Verhandlungen über die beiden Paragraphen kamen in der 174. Sitzung
zum Abschluß, nachdem die vcrschiediieu Meiuunge» mit ungewöhnlicher Heftigkeit
auf einander gestoßen waren. Wie sehr die Ansichten in diesem Punkte an?
einander strebten, beweist die Thatsache, daß nicht weniger als siebzig Ver-
besserungsvorschläge gemacht wurden. Die Verteidiger des Entwurfes stützten
sich wesentlich auf die schon im Kommissionsbericht enthaltenen Erwägungen,
während die Gegner der Kommission den Vorwurf machten, die „Grundsätze
des Jahres 1843 verraten und die unveräußerlichen, angebornen Rechte des
Volkes vergewaltigt zu haben."

Die Schlußabstinunuug hatte das überraschende Ergebnis, daß das Wort
„selbständig" im i; 1 des KommissiouSeutwurses mit 422 gegen 21 Stimmen
beseitigt wurde; damit war zugleich die im 8 2 beantragte Ausschließung der
Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner verworfen.
Zuletzt wurden die beiden Paragraphen in folgender Fassung angenommen:
^ 1. Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste
Lebensjahr zurückgelegt hat. H 2. Von der Berechtigung zum Wählen sind
ausgeschlossen: 1. Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen;
2. Personen, über deren Vermögen u. s. w. und 3. Personen, welche eine
Armenunterstützung n. s. w.

Diese Beschlüsse sind, wie wir später sehen werden, für das deutsche Volk
verhängnisvoll geworden, wenn sie auch vorläufig wie alles, was man in
Frankfurt beschlösse» hatte, nnr auf dein Papier standen. Umso nachdrücklicher
erhebe ich die Behauptung, daß die Mehrheit des Frankfurter Parlaments
den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes für gefährlich und verwerflich
ansah und nur dadurch der Minderheit einen Scheinsieg ermöglichte, daß sie
sich über die Frage, wie die Beschränkung geschehen sollte, nicht zu einigen
wußte. Ich habe nunmehr diese Behmiptung zu beweisen.

Der Abgeordnete Hofmann hatte während der^ Beratung den Antrag ein¬
gebracht: „Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfund-
zwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, entweder Grundbesitz oder eignen Haus¬
halt hat, oder endlich Staats-, Kirchen- oder Gemeindediener ist." Für diesen
Antrag ergaben sich 209, gegen ihn 239 Stimmen, sodaß ihm an der Mehr-


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[0214] Das »illgemcine Ivahlrecht vorgreifen, wem: jeder sonstigen Veränderung die Erteilung des höchsten poli¬ tischen Rechtes vorangehen sollte. Soll die junge Freiheit feste Wurzeln schlagen, nud soll ein gesundes Staatsleben ans den neugelegten Grundlagen erwachse», so sind einschränkende Bestinunungen notwendig zu treffen." Diesem Bedenken gaben andre Mitglieder der Kommission nicht Raum, sondern verlangten die Beseitigung der durch das Wort „selbständig" in 8 1 bewirkten Beschränkung. Die Rednerliste zeigte mehr als dreißig Redner gegen den Entwurf und nnr neun dafür. Da unsre Darstellung nicht über Gebühr anschwellen darf, so muß sie sich auf wenige Angaben beschränke». Die Verhandlungen über die beiden Paragraphen kamen in der 174. Sitzung zum Abschluß, nachdem die vcrschiediieu Meiuunge» mit ungewöhnlicher Heftigkeit auf einander gestoßen waren. Wie sehr die Ansichten in diesem Punkte an? einander strebten, beweist die Thatsache, daß nicht weniger als siebzig Ver- besserungsvorschläge gemacht wurden. Die Verteidiger des Entwurfes stützten sich wesentlich auf die schon im Kommissionsbericht enthaltenen Erwägungen, während die Gegner der Kommission den Vorwurf machten, die „Grundsätze des Jahres 1843 verraten und die unveräußerlichen, angebornen Rechte des Volkes vergewaltigt zu haben." Die Schlußabstinunuug hatte das überraschende Ergebnis, daß das Wort „selbständig" im i; 1 des KommissiouSeutwurses mit 422 gegen 21 Stimmen beseitigt wurde; damit war zugleich die im 8 2 beantragte Ausschließung der Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner verworfen. Zuletzt wurden die beiden Paragraphen in folgender Fassung angenommen: ^ 1. Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat. H 2. Von der Berechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen: 1. Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen; 2. Personen, über deren Vermögen u. s. w. und 3. Personen, welche eine Armenunterstützung n. s. w. Diese Beschlüsse sind, wie wir später sehen werden, für das deutsche Volk verhängnisvoll geworden, wenn sie auch vorläufig wie alles, was man in Frankfurt beschlösse» hatte, nnr auf dein Papier standen. Umso nachdrücklicher erhebe ich die Behauptung, daß die Mehrheit des Frankfurter Parlaments den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes für gefährlich und verwerflich ansah und nur dadurch der Minderheit einen Scheinsieg ermöglichte, daß sie sich über die Frage, wie die Beschränkung geschehen sollte, nicht zu einigen wußte. Ich habe nunmehr diese Behmiptung zu beweisen. Der Abgeordnete Hofmann hatte während der^ Beratung den Antrag ein¬ gebracht: „Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfund- zwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, entweder Grundbesitz oder eignen Haus¬ halt hat, oder endlich Staats-, Kirchen- oder Gemeindediener ist." Für diesen Antrag ergaben sich 209, gegen ihn 239 Stimmen, sodaß ihm an der Mehr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/214>, abgerufen am 23.07.2024.