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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das allgemeine Wahlrecht

von Köln sprach sich noch an demselben Tage in einer außerordentliche"
Sitzung dafür aus, ,,daß die UrWahlen zur Wahl der Volksvertretung, die
über die künftige Verfassung zu beraten habe, nach dem allgemeinen Wahlrecht
ohne Rücksicht auf einen Zensus und unter Zuziehung aller unbescholtenen
Bürger von einundzwanzig Jahren" stattfinden möchten.

Einige Tage vorher hatten der Magistrat lind die Stadtverordneten von
Breslau dem König die Bitte vorgetragen, ,,das Wahlgesetz über die UrWahlen
zur konstituircnden Volksvertretung sofort und ohne Beirat des Vereinigten
Landtages zu erlassen." Hierauf antwortete der König am 22. März: ,.Nach¬
dem Ich eine konstitutionelle Verfassung auf deu breitesten Grundlagen ver¬
heiße" habe, ist es Mein Wille, ein volkstümliches Wahlgesetz zu erlassen . . .
und dieses Gesetz vorher dem Vereinigten Landtag vorzulegen, dessen schleunige
Berufung Ich nach allen bisher Mir zugegangenen Anträge" für den allge¬
meinen Wunsch des Landes halten muß." Mit diesen: Bescheide waren die
Antragsteller nicht zufrieden, und dn sie wußten, daß es gegenüber einem
kräftig geäußerten "Wunsche" des Volkes an der höchsten Stelle keinen Wider¬
stand mehr gab, so gingen sie dazu über, in der Tagespresse "das gesamte
Land dringend aufzufordern, durch schleunige am Thron niederzulegende Er¬
klärungen" ihren Antrag zu unterstützen. Aber diesmal hielt die Regierung
an ihrem Entschlüsse fest und überreichte dem am 2. April eröffneten Landtag
den "Entwurf eines Wahlgesetzes für die zur Vereinbarung der preußischen
Staatsverfassung zu berufende Versammlung." Dieser Entwurf erlitt' im
Landtage einige Abänderungen und wurde alsdann am 3. April als Gesetz ver¬
öffentlicht. Die wichtigsten Bestimmungen desselben waren folgende: "Z 1. Jeder
Preuße, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und nicht den
Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Erkennt¬
nisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechs Monaten seinen
Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter UrWähler, insofern er nicht
aus öffentlichen Mitteln Armenunterstützung bezieht. 8 4- Die Wahl der
Wahlmänner erfolgt durch Stimmzettel. § 5. Jeder Preuße, der das dreißigste
Lebensjahr vollendet und deu Vollbesitz der bürgerlichen Rechte nicht verwirkt
hat, ist im ganzen Vereich des Staates zum Abgeordneten wählbar."

Dieses neue preußische Wahlgesetz ließ, von der abweichenden Festsetzung
der Altersgrenze abgesehen, die Bestimmungen der französischen .Konstitution
vom Jahre 1791 in wesentlichen Punkten hinter sich zurück, denn es hob den
dort verlangten niedrigen Zensus auf und gestand auch den Dienstboten das
Wahlrecht zu, sodaß es nach dieser Richtung sogar die Kvnventswahlen über¬
holte. Allerdings hatte der ursprüngliche Entwurf der Regierung die Klasse
der unselbständigen Bürger, die ,,in einem dienenden Verhältnis Lohn und
Kost beziehen," ausschließe" wollen, aber der Landtag hielt es für zeitgemäß,
die darauf bezüglichen Worte des 8 1 zu streichen.


Das allgemeine Wahlrecht

von Köln sprach sich noch an demselben Tage in einer außerordentliche»
Sitzung dafür aus, ,,daß die UrWahlen zur Wahl der Volksvertretung, die
über die künftige Verfassung zu beraten habe, nach dem allgemeinen Wahlrecht
ohne Rücksicht auf einen Zensus und unter Zuziehung aller unbescholtenen
Bürger von einundzwanzig Jahren" stattfinden möchten.

Einige Tage vorher hatten der Magistrat lind die Stadtverordneten von
Breslau dem König die Bitte vorgetragen, ,,das Wahlgesetz über die UrWahlen
zur konstituircnden Volksvertretung sofort und ohne Beirat des Vereinigten
Landtages zu erlassen." Hierauf antwortete der König am 22. März: ,.Nach¬
dem Ich eine konstitutionelle Verfassung auf deu breitesten Grundlagen ver¬
heiße» habe, ist es Mein Wille, ein volkstümliches Wahlgesetz zu erlassen . . .
und dieses Gesetz vorher dem Vereinigten Landtag vorzulegen, dessen schleunige
Berufung Ich nach allen bisher Mir zugegangenen Anträge» für den allge¬
meinen Wunsch des Landes halten muß." Mit diesen: Bescheide waren die
Antragsteller nicht zufrieden, und dn sie wußten, daß es gegenüber einem
kräftig geäußerten „Wunsche" des Volkes an der höchsten Stelle keinen Wider¬
stand mehr gab, so gingen sie dazu über, in der Tagespresse „das gesamte
Land dringend aufzufordern, durch schleunige am Thron niederzulegende Er¬
klärungen" ihren Antrag zu unterstützen. Aber diesmal hielt die Regierung
an ihrem Entschlüsse fest und überreichte dem am 2. April eröffneten Landtag
den „Entwurf eines Wahlgesetzes für die zur Vereinbarung der preußischen
Staatsverfassung zu berufende Versammlung." Dieser Entwurf erlitt' im
Landtage einige Abänderungen und wurde alsdann am 3. April als Gesetz ver¬
öffentlicht. Die wichtigsten Bestimmungen desselben waren folgende: „Z 1. Jeder
Preuße, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und nicht den
Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Erkennt¬
nisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechs Monaten seinen
Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter UrWähler, insofern er nicht
aus öffentlichen Mitteln Armenunterstützung bezieht. 8 4- Die Wahl der
Wahlmänner erfolgt durch Stimmzettel. § 5. Jeder Preuße, der das dreißigste
Lebensjahr vollendet und deu Vollbesitz der bürgerlichen Rechte nicht verwirkt
hat, ist im ganzen Vereich des Staates zum Abgeordneten wählbar."

Dieses neue preußische Wahlgesetz ließ, von der abweichenden Festsetzung
der Altersgrenze abgesehen, die Bestimmungen der französischen .Konstitution
vom Jahre 1791 in wesentlichen Punkten hinter sich zurück, denn es hob den
dort verlangten niedrigen Zensus auf und gestand auch den Dienstboten das
Wahlrecht zu, sodaß es nach dieser Richtung sogar die Kvnventswahlen über¬
holte. Allerdings hatte der ursprüngliche Entwurf der Regierung die Klasse
der unselbständigen Bürger, die ,,in einem dienenden Verhältnis Lohn und
Kost beziehen," ausschließe« wollen, aber der Landtag hielt es für zeitgemäß,
die darauf bezüglichen Worte des 8 1 zu streichen.


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[0210] Das allgemeine Wahlrecht von Köln sprach sich noch an demselben Tage in einer außerordentliche» Sitzung dafür aus, ,,daß die UrWahlen zur Wahl der Volksvertretung, die über die künftige Verfassung zu beraten habe, nach dem allgemeinen Wahlrecht ohne Rücksicht auf einen Zensus und unter Zuziehung aller unbescholtenen Bürger von einundzwanzig Jahren" stattfinden möchten. Einige Tage vorher hatten der Magistrat lind die Stadtverordneten von Breslau dem König die Bitte vorgetragen, ,,das Wahlgesetz über die UrWahlen zur konstituircnden Volksvertretung sofort und ohne Beirat des Vereinigten Landtages zu erlassen." Hierauf antwortete der König am 22. März: ,.Nach¬ dem Ich eine konstitutionelle Verfassung auf deu breitesten Grundlagen ver¬ heiße» habe, ist es Mein Wille, ein volkstümliches Wahlgesetz zu erlassen . . . und dieses Gesetz vorher dem Vereinigten Landtag vorzulegen, dessen schleunige Berufung Ich nach allen bisher Mir zugegangenen Anträge» für den allge¬ meinen Wunsch des Landes halten muß." Mit diesen: Bescheide waren die Antragsteller nicht zufrieden, und dn sie wußten, daß es gegenüber einem kräftig geäußerten „Wunsche" des Volkes an der höchsten Stelle keinen Wider¬ stand mehr gab, so gingen sie dazu über, in der Tagespresse „das gesamte Land dringend aufzufordern, durch schleunige am Thron niederzulegende Er¬ klärungen" ihren Antrag zu unterstützen. Aber diesmal hielt die Regierung an ihrem Entschlüsse fest und überreichte dem am 2. April eröffneten Landtag den „Entwurf eines Wahlgesetzes für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung." Dieser Entwurf erlitt' im Landtage einige Abänderungen und wurde alsdann am 3. April als Gesetz ver¬ öffentlicht. Die wichtigsten Bestimmungen desselben waren folgende: „Z 1. Jeder Preuße, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Erkennt¬ nisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechs Monaten seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter UrWähler, insofern er nicht aus öffentlichen Mitteln Armenunterstützung bezieht. 8 4- Die Wahl der Wahlmänner erfolgt durch Stimmzettel. § 5. Jeder Preuße, der das dreißigste Lebensjahr vollendet und deu Vollbesitz der bürgerlichen Rechte nicht verwirkt hat, ist im ganzen Vereich des Staates zum Abgeordneten wählbar." Dieses neue preußische Wahlgesetz ließ, von der abweichenden Festsetzung der Altersgrenze abgesehen, die Bestimmungen der französischen .Konstitution vom Jahre 1791 in wesentlichen Punkten hinter sich zurück, denn es hob den dort verlangten niedrigen Zensus auf und gestand auch den Dienstboten das Wahlrecht zu, sodaß es nach dieser Richtung sogar die Kvnventswahlen über¬ holte. Allerdings hatte der ursprüngliche Entwurf der Regierung die Klasse der unselbständigen Bürger, die ,,in einem dienenden Verhältnis Lohn und Kost beziehen," ausschließe« wollen, aber der Landtag hielt es für zeitgemäß, die darauf bezüglichen Worte des 8 1 zu streichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/210>, abgerufen am 25.08.2024.