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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

Unwillen, daß der wenig bemittelte Neffe sich für die noch ärmere Waise zu
erwärmen scheint. Da sie noch viele Jahre zu leben gedenkt, so kann sie den
Gedanken an eine gefährliche Verbindung zwischen beiden nicht ertragen. Sie
droht dem Neffen mit Euterbuug und nimmt der eingeschüchterten Bentriee das
Versprechen ab, jeden Antrag des Neffen zurückzuweisen. Das thut sie denn
auch. Der Marquis fügt sich, aber sein ganzer Groll bricht hervor, als er
erfährt, daß sein Freund Fabrice, der Beatrice im Malen unterrichtet, von
ihr das Jawort erhalten hat. Auch die Baronin ist über diesen wenig aristo¬
kratischen Schritt Beatriees nicht sehr erfreut. "Niemand -- sagt sie zu
Fnbriee -- liebt und schätzt mehr als wir die Dichter und die Künstler. Wir
schmücken mit ihnen gern unsre Tische, sie sind das Interesse und die An¬
nehmlichkeit unsrer Salons, aber -- wir heiraten sie nicht!"

Dennoch vermählen sich Beatrice und Fabriee. Da erscheint der Marquis
wieder; die Tante ist gestorben und hat ihm das ungeheuere Vermögen hinter¬
lassen. Er führt ein wüstes verschwenderisches Leben, er sinkt in seinen
Genüssen immer tiefer und erweckt in Beatriceu zuerst Abscheu, daun aber
Mitleid und das ganze Aufwallen der Jugendliebe, als sie erfährt, daß er
ihretwegen ein verlorener Mensch geworden sei. Nach einer Reihe von Mi߬
verständnissen sinkt sie dem Marquis in die Arme, fortgerissen und betäubt
von einem jener leidenschaftlichen Ausbrüche, vor denen die Ehre des
Maunes und die Scham des Weibes in einen: Augenblicke dahinsterben: ^.prös
ig. laute Wut sse xerciu sxvövtv 1'a.urour.

Fabriee erfährt die Untreue seiner Frau; er spielt mit Pierrepont ums
Leben. Der Künstler verliert, und obgleich eine Wandlung in Beatrice vor
sich geht, obgleich Fabriee ein Kind hat, für das er leben könnte, obgleich
Pierrepout ihm das Wort zurückgiebt, erschießt sich der unglückliche Künstler
uach der festgesetzte:: Frist. "Beatrice -- schreibt er vor seineu: Tode --, ich
wollte dir das ersparen, aber ich habe gefürchtet, schwach zu werden. Ja, ich
glaube, daß sich dein Herz endlich mir geöffnet hat, ich glaube, daß du mich
liebst. Aber würdest du mich morgen lieben, mich, der ich von der Gnade
des Menschen leben soll, der mich tötlich beleidigt hat? Ich glaube es nicht
und sterbe."

Man legt den Roman mit geteilte:: Empfindungen aus der Hand. War
es wirklich notwendig, daß dieser geniale Künstler, dieser edle Charakter, dieser
völlig unschuldige Mensch zu Grunde ging, nur um seine Ehre zu retten?
Wenn er von seinen: Weibe, das uicht die geringste Rücksicht auf ihn nimmt,
das keine Spur von Pflichtgefühl kennt, schmählich hintergangen wird, wenn
er sieht, wie sich dieses Wesen, das ihm heilig war, aus freien Stücken einen:
Lüstling in die Arme wirft, so ist es ganz unmännliche Schlväche, darüber
sentimental zu werden, anstatt das Weib mit all seiner aristokratischen Fein-
thuerei rücksichtslos aus den: Hause zu jagen. Aber wunderbarerweise hat


Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

Unwillen, daß der wenig bemittelte Neffe sich für die noch ärmere Waise zu
erwärmen scheint. Da sie noch viele Jahre zu leben gedenkt, so kann sie den
Gedanken an eine gefährliche Verbindung zwischen beiden nicht ertragen. Sie
droht dem Neffen mit Euterbuug und nimmt der eingeschüchterten Bentriee das
Versprechen ab, jeden Antrag des Neffen zurückzuweisen. Das thut sie denn
auch. Der Marquis fügt sich, aber sein ganzer Groll bricht hervor, als er
erfährt, daß sein Freund Fabrice, der Beatrice im Malen unterrichtet, von
ihr das Jawort erhalten hat. Auch die Baronin ist über diesen wenig aristo¬
kratischen Schritt Beatriees nicht sehr erfreut. „Niemand — sagt sie zu
Fnbriee — liebt und schätzt mehr als wir die Dichter und die Künstler. Wir
schmücken mit ihnen gern unsre Tische, sie sind das Interesse und die An¬
nehmlichkeit unsrer Salons, aber — wir heiraten sie nicht!"

Dennoch vermählen sich Beatrice und Fabriee. Da erscheint der Marquis
wieder; die Tante ist gestorben und hat ihm das ungeheuere Vermögen hinter¬
lassen. Er führt ein wüstes verschwenderisches Leben, er sinkt in seinen
Genüssen immer tiefer und erweckt in Beatriceu zuerst Abscheu, daun aber
Mitleid und das ganze Aufwallen der Jugendliebe, als sie erfährt, daß er
ihretwegen ein verlorener Mensch geworden sei. Nach einer Reihe von Mi߬
verständnissen sinkt sie dem Marquis in die Arme, fortgerissen und betäubt
von einem jener leidenschaftlichen Ausbrüche, vor denen die Ehre des
Maunes und die Scham des Weibes in einen: Augenblicke dahinsterben: ^.prös
ig. laute Wut sse xerciu sxvövtv 1'a.urour.

Fabriee erfährt die Untreue seiner Frau; er spielt mit Pierrepont ums
Leben. Der Künstler verliert, und obgleich eine Wandlung in Beatrice vor
sich geht, obgleich Fabriee ein Kind hat, für das er leben könnte, obgleich
Pierrepout ihm das Wort zurückgiebt, erschießt sich der unglückliche Künstler
uach der festgesetzte:: Frist. „Beatrice — schreibt er vor seineu: Tode —, ich
wollte dir das ersparen, aber ich habe gefürchtet, schwach zu werden. Ja, ich
glaube, daß sich dein Herz endlich mir geöffnet hat, ich glaube, daß du mich
liebst. Aber würdest du mich morgen lieben, mich, der ich von der Gnade
des Menschen leben soll, der mich tötlich beleidigt hat? Ich glaube es nicht
und sterbe."

Man legt den Roman mit geteilte:: Empfindungen aus der Hand. War
es wirklich notwendig, daß dieser geniale Künstler, dieser edle Charakter, dieser
völlig unschuldige Mensch zu Grunde ging, nur um seine Ehre zu retten?
Wenn er von seinen: Weibe, das uicht die geringste Rücksicht auf ihn nimmt,
das keine Spur von Pflichtgefühl kennt, schmählich hintergangen wird, wenn
er sieht, wie sich dieses Wesen, das ihm heilig war, aus freien Stücken einen:
Lüstling in die Arme wirft, so ist es ganz unmännliche Schlväche, darüber
sentimental zu werden, anstatt das Weib mit all seiner aristokratischen Fein-
thuerei rücksichtslos aus den: Hause zu jagen. Aber wunderbarerweise hat


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[0190] Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart Unwillen, daß der wenig bemittelte Neffe sich für die noch ärmere Waise zu erwärmen scheint. Da sie noch viele Jahre zu leben gedenkt, so kann sie den Gedanken an eine gefährliche Verbindung zwischen beiden nicht ertragen. Sie droht dem Neffen mit Euterbuug und nimmt der eingeschüchterten Bentriee das Versprechen ab, jeden Antrag des Neffen zurückzuweisen. Das thut sie denn auch. Der Marquis fügt sich, aber sein ganzer Groll bricht hervor, als er erfährt, daß sein Freund Fabrice, der Beatrice im Malen unterrichtet, von ihr das Jawort erhalten hat. Auch die Baronin ist über diesen wenig aristo¬ kratischen Schritt Beatriees nicht sehr erfreut. „Niemand — sagt sie zu Fnbriee — liebt und schätzt mehr als wir die Dichter und die Künstler. Wir schmücken mit ihnen gern unsre Tische, sie sind das Interesse und die An¬ nehmlichkeit unsrer Salons, aber — wir heiraten sie nicht!" Dennoch vermählen sich Beatrice und Fabriee. Da erscheint der Marquis wieder; die Tante ist gestorben und hat ihm das ungeheuere Vermögen hinter¬ lassen. Er führt ein wüstes verschwenderisches Leben, er sinkt in seinen Genüssen immer tiefer und erweckt in Beatriceu zuerst Abscheu, daun aber Mitleid und das ganze Aufwallen der Jugendliebe, als sie erfährt, daß er ihretwegen ein verlorener Mensch geworden sei. Nach einer Reihe von Mi߬ verständnissen sinkt sie dem Marquis in die Arme, fortgerissen und betäubt von einem jener leidenschaftlichen Ausbrüche, vor denen die Ehre des Maunes und die Scham des Weibes in einen: Augenblicke dahinsterben: ^.prös ig. laute Wut sse xerciu sxvövtv 1'a.urour. Fabriee erfährt die Untreue seiner Frau; er spielt mit Pierrepont ums Leben. Der Künstler verliert, und obgleich eine Wandlung in Beatrice vor sich geht, obgleich Fabriee ein Kind hat, für das er leben könnte, obgleich Pierrepout ihm das Wort zurückgiebt, erschießt sich der unglückliche Künstler uach der festgesetzte:: Frist. „Beatrice — schreibt er vor seineu: Tode —, ich wollte dir das ersparen, aber ich habe gefürchtet, schwach zu werden. Ja, ich glaube, daß sich dein Herz endlich mir geöffnet hat, ich glaube, daß du mich liebst. Aber würdest du mich morgen lieben, mich, der ich von der Gnade des Menschen leben soll, der mich tötlich beleidigt hat? Ich glaube es nicht und sterbe." Man legt den Roman mit geteilte:: Empfindungen aus der Hand. War es wirklich notwendig, daß dieser geniale Künstler, dieser edle Charakter, dieser völlig unschuldige Mensch zu Grunde ging, nur um seine Ehre zu retten? Wenn er von seinen: Weibe, das uicht die geringste Rücksicht auf ihn nimmt, das keine Spur von Pflichtgefühl kennt, schmählich hintergangen wird, wenn er sieht, wie sich dieses Wesen, das ihm heilig war, aus freien Stücken einen: Lüstling in die Arme wirft, so ist es ganz unmännliche Schlväche, darüber sentimental zu werden, anstatt das Weib mit all seiner aristokratischen Fein- thuerei rücksichtslos aus den: Hause zu jagen. Aber wunderbarerweise hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/190>, abgerufen am 25.08.2024.