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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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wir hier, sobald wir die Absicht des Verfassers verstanden haben, eine solche
Folgerichtigkeit, eine so fesselnde Entwicklung der Handlungen, eine so wirkungs¬
volle und dabei zarte Darstellung der Leidenschaften, eine solche Fülle über¬
raschender Szenen, fein erdachter Abwechslungen und Sprachschönheiten, daß
wir nicht anstehen, NoirÄöur 6v O-Mors nicht allein für Fenillets besten
Roman, sondern für eins der besten Werke aus der idealistischen Schule zu
erklären. Wir entschuldigen den Helden nicht, der durch den Maugel an sitt¬
lichen Grundsätzen sein Leben und das vieler edeln Menschen zerstört; aber wir
fühlen diesem vom falschen Ehrbegriff geleiteten Edelmann lebhaft nach. Welche
Verwirrung das unselige Testament des Vaters in diesem Menschen hervor¬
gerufen hat, ersehen wir am besten aus einer Szene, worin er der soeben von
ihm verführten Frau seines Freundes Lescandes Moral predigt, einer Szene,
in der sich die ganze dramatische Kraft des Verfassers offenbart. "Nachdem
ich dir großes Leid zugefügt habe, sagt er zu ihr, giebt es einen Dienst, nur
eiuen, deu ich dir erweisen kann, und ich erweise ihn dir -- ich sage dir die
Wahrheit! Die Frauen, die fallen -- merke wohl --, haben keine schärfern
Richter als ihre Mitschuldigen Und was willst du nun, daß ich von dir
denke? Ich kenne deinen Gatten seit meiner Kindheit -- zu seinein Unglück
und zu meiner Schande! Es giebt in seinen Adern keinen Blutstropfen, der
nicht dir gehörte; es giebt kein Tagewerk, keine Nachtwache, die er nicht deinet¬
wegen thäte. Dein ganzes Wohlbefinden ruht auf seinem Opfermut. Alle
deine Freuden sind die Frucht seiner Mühen -- das ist er, er für dich! --
Und ich? Du hast mein Bild in einem Journal gesehen, dir hast mich um
deinem Fenster vorbeireiten sehen -- nichts mehr, wirklich ^ und das ist genng,
und dn lieferst mir in einer Minute sein und dein ganzes Leben aus, sein
ganzes Glück, seine ganze Ehre und deine dazu! So ists -- jeder Taugenichts,
jeder Wüstling von meinem Schlage, der deine Eitelkeit, deine Schwachheit
wie ich mißbraucht und dann zu dir sagt, er habe Achtung vor dir,
der lügt!"

In seinem jüngst erschienenen Roman Uonnönr ä'artisw (Paris, Calmann
Levy, 1890) hat Feuillee das Problem der Ehre uoch von einer andern Seite
beleuchtet. Der Marquis von Pierrepont, der von seinem Vater als Erbteil
nnr eine jährliche Rente von funfzehntausend Franks erhalten hat, ist das
Muster eines vollendeten Kavaliers. Er liebt die Frauen, den Sport und
die Kunst und hat das Glück, in dem Maler Jacques Fabriee el" bedeutendes
Genie zu entdecken. Er hebt ihn aus seineu dürftigen Verhältnissen heraus
und legt den Grund zu der beständig wachsenden Berühmtheit des Künstlers.
Der Marquis reicht selbstverständlich mit seiner Rente nicht und sieht sich
daher gezwungen, um die Gunst seiner reichen Tante, der Baronin von Mvn-
taurvn, zu buhlen. Diese hat, trotz ihres geizigen Wesens, eine entfernte
Verwandte, Beatrice von Sorbonne, ins Haus genommen, bemerkt aber mit


wir hier, sobald wir die Absicht des Verfassers verstanden haben, eine solche
Folgerichtigkeit, eine so fesselnde Entwicklung der Handlungen, eine so wirkungs¬
volle und dabei zarte Darstellung der Leidenschaften, eine solche Fülle über¬
raschender Szenen, fein erdachter Abwechslungen und Sprachschönheiten, daß
wir nicht anstehen, NoirÄöur 6v O-Mors nicht allein für Fenillets besten
Roman, sondern für eins der besten Werke aus der idealistischen Schule zu
erklären. Wir entschuldigen den Helden nicht, der durch den Maugel an sitt¬
lichen Grundsätzen sein Leben und das vieler edeln Menschen zerstört; aber wir
fühlen diesem vom falschen Ehrbegriff geleiteten Edelmann lebhaft nach. Welche
Verwirrung das unselige Testament des Vaters in diesem Menschen hervor¬
gerufen hat, ersehen wir am besten aus einer Szene, worin er der soeben von
ihm verführten Frau seines Freundes Lescandes Moral predigt, einer Szene,
in der sich die ganze dramatische Kraft des Verfassers offenbart. „Nachdem
ich dir großes Leid zugefügt habe, sagt er zu ihr, giebt es einen Dienst, nur
eiuen, deu ich dir erweisen kann, und ich erweise ihn dir — ich sage dir die
Wahrheit! Die Frauen, die fallen — merke wohl —, haben keine schärfern
Richter als ihre Mitschuldigen Und was willst du nun, daß ich von dir
denke? Ich kenne deinen Gatten seit meiner Kindheit — zu seinein Unglück
und zu meiner Schande! Es giebt in seinen Adern keinen Blutstropfen, der
nicht dir gehörte; es giebt kein Tagewerk, keine Nachtwache, die er nicht deinet¬
wegen thäte. Dein ganzes Wohlbefinden ruht auf seinem Opfermut. Alle
deine Freuden sind die Frucht seiner Mühen — das ist er, er für dich! —
Und ich? Du hast mein Bild in einem Journal gesehen, dir hast mich um
deinem Fenster vorbeireiten sehen — nichts mehr, wirklich ^ und das ist genng,
und dn lieferst mir in einer Minute sein und dein ganzes Leben aus, sein
ganzes Glück, seine ganze Ehre und deine dazu! So ists — jeder Taugenichts,
jeder Wüstling von meinem Schlage, der deine Eitelkeit, deine Schwachheit
wie ich mißbraucht und dann zu dir sagt, er habe Achtung vor dir,
der lügt!"

In seinem jüngst erschienenen Roman Uonnönr ä'artisw (Paris, Calmann
Levy, 1890) hat Feuillee das Problem der Ehre uoch von einer andern Seite
beleuchtet. Der Marquis von Pierrepont, der von seinem Vater als Erbteil
nnr eine jährliche Rente von funfzehntausend Franks erhalten hat, ist das
Muster eines vollendeten Kavaliers. Er liebt die Frauen, den Sport und
die Kunst und hat das Glück, in dem Maler Jacques Fabriee el» bedeutendes
Genie zu entdecken. Er hebt ihn aus seineu dürftigen Verhältnissen heraus
und legt den Grund zu der beständig wachsenden Berühmtheit des Künstlers.
Der Marquis reicht selbstverständlich mit seiner Rente nicht und sieht sich
daher gezwungen, um die Gunst seiner reichen Tante, der Baronin von Mvn-
taurvn, zu buhlen. Diese hat, trotz ihres geizigen Wesens, eine entfernte
Verwandte, Beatrice von Sorbonne, ins Haus genommen, bemerkt aber mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/189>, abgerufen am 25.08.2024.