Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart So entwickelt sich die Handlung in I^g. xstits eoirckesss, so in ,7rilig. 60 Feuillee sucht die Ansicht zu verfechten, daß dieser moderne Ehrbegriff, Louis de Camors hat von feinem leichtsinnigen Vater weiter nichts geerbt Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart So entwickelt sich die Handlung in I^g. xstits eoirckesss, so in ,7rilig. 60 Feuillee sucht die Ansicht zu verfechten, daß dieser moderne Ehrbegriff, Louis de Camors hat von feinem leichtsinnigen Vater weiter nichts geerbt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208766"/> <fw type="header" place="top"> Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_516"> So entwickelt sich die Handlung in I^g. xstits eoirckesss, so in ,7rilig. 60<lb/> ^rvoamr und in IlÄ Uol'es, so in Nonsisur <I<z Lwnors und vor allem in<lb/> dem neuesten Roman Horreur et'arkitjtö. Wie Feuillee in Li8tvirs as LivMv<lb/> und in I^Ä North religiöse Motive hineinspielen läßt, so behandelt er in den<lb/> beiden zuletzt genannten Romanen den Wert des modernen Ehrbegriffs, und zwar<lb/> des falschen Ehrbegriffs, der Ersatz bieten soll für alle andern verloren ge¬<lb/> gangenen sittlichen Grundsätze im Gegensatz zu dem wahren, der ohne reli¬<lb/> giöse Denkungsart, ohne gesteigertes Pflichtgefühl, ohne sittliche Lebensweise<lb/> und ehrenhafte Gesinnung unmöglich ist. Der Edelmann mit falschem Ehr¬<lb/> begriff darf alles thun; er darf prasselt und Schlemmen, er darf Verkehr mit<lb/> feilen Frauenzimmern unterhalten, er darf den Freund hintergehen, betrügen,<lb/> verraten, er darf selbst die Frau seines Freundes verführen, er darf handeln<lb/> wie ein Feigling — aber er darf sich niemals Feigling nennen lasse»; darauf<lb/> kommt alles an! Geschieht das doch, und noch obendrein von einer Frau, an<lb/> der er nicht Rache nehmen kann, so ist es mit seiner Ehre aus, und er geht<lb/> elend zu Grnnde, wie Louis de Camors.</p><lb/> <p xml:id="ID_517"> Feuillee sucht die Ansicht zu verfechten, daß dieser moderne Ehrbegriff,<lb/> der auf eiuer stumpfsinnigen materialistischen Weltanschauung, aus Egoismus<lb/> und nichtigen Äußerlichkeiten beruhe, völlig haltlos sei, vor allem haltlos in<lb/> unserm Zeitalter mit seinen verwickelten Ansprüchen und Kämpfen, mit feinen<lb/> unzähligen Versuchungen und gefährlichen Übeln; er sucht nachzuweisen, daß<lb/> dieser konventionelle und fadenscheinige Ehrbegriff für unsre Zeit ein ganz un¬<lb/> zuverlässiger Wegweiser sei, daß er nicht die geringste Schutzwehr gegen auf¬<lb/> steigende unehrenhafte Gelüste, gegen anstürmende Leidenschaften und sittenlose<lb/> Lebensführung zu bieten vermöge.</p><lb/> <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Louis de Camors hat von feinem leichtsinnigen Vater weiter nichts geerbt<lb/> als ein Testament, worin der alte Aristokrat die Quintessenz seines Lebens<lb/> niedergelegt hat. Das Schriftstück ist auch kulturgeschichtlich zu merkwürdig,<lb/> als daß wir uicht einige Stellen daraus anführen sollten. „Mein Sohn,<lb/> schreibt der Vater, das Leben langweilt mich, ich verlasse es. Ich sterbe im<lb/> Glauben an mein Jahrhundert. Ich glaube an die unerschaffene, fruchtbare,<lb/> ewige Materie — das ist die letzte Religion der Menschheit. Sie hat etwas<lb/> Trauriges, sie macht den Menschen einsam; aber sie hat auch etwas Gro߬<lb/> artiges, denn sie macht ihn frei, sie macht ihn zum Gott. Was kann ein<lb/> Mensch unsrer Zeit sein , der den Verstand und die Willenskraft besitzt, sein<lb/> Leben nach jenem Glauben einzurichten? Der Materialismus ist nur für<lb/> Dummköpfe und Schwächlinge eine brutale Lehre. Gewiß, ich lese in seinem<lb/> Kodex nichts von den Vorschriften einer landläufigen Moral, nichts davon,<lb/> was unsre Väter Tugend nannten, aber ich lese darin ein großes Wort, das<lb/> viele andre aufwiegt: die Ehre, d. h. die Achtung vor sich selbst. Es ist klar,<lb/> daß ein Materialist kein Heiliger sein kann; aber er kann ein Edelmann sein,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart
So entwickelt sich die Handlung in I^g. xstits eoirckesss, so in ,7rilig. 60
^rvoamr und in IlÄ Uol'es, so in Nonsisur <I<z Lwnors und vor allem in
dem neuesten Roman Horreur et'arkitjtö. Wie Feuillee in Li8tvirs as LivMv
und in I^Ä North religiöse Motive hineinspielen läßt, so behandelt er in den
beiden zuletzt genannten Romanen den Wert des modernen Ehrbegriffs, und zwar
des falschen Ehrbegriffs, der Ersatz bieten soll für alle andern verloren ge¬
gangenen sittlichen Grundsätze im Gegensatz zu dem wahren, der ohne reli¬
giöse Denkungsart, ohne gesteigertes Pflichtgefühl, ohne sittliche Lebensweise
und ehrenhafte Gesinnung unmöglich ist. Der Edelmann mit falschem Ehr¬
begriff darf alles thun; er darf prasselt und Schlemmen, er darf Verkehr mit
feilen Frauenzimmern unterhalten, er darf den Freund hintergehen, betrügen,
verraten, er darf selbst die Frau seines Freundes verführen, er darf handeln
wie ein Feigling — aber er darf sich niemals Feigling nennen lasse»; darauf
kommt alles an! Geschieht das doch, und noch obendrein von einer Frau, an
der er nicht Rache nehmen kann, so ist es mit seiner Ehre aus, und er geht
elend zu Grnnde, wie Louis de Camors.
Feuillee sucht die Ansicht zu verfechten, daß dieser moderne Ehrbegriff,
der auf eiuer stumpfsinnigen materialistischen Weltanschauung, aus Egoismus
und nichtigen Äußerlichkeiten beruhe, völlig haltlos sei, vor allem haltlos in
unserm Zeitalter mit seinen verwickelten Ansprüchen und Kämpfen, mit feinen
unzähligen Versuchungen und gefährlichen Übeln; er sucht nachzuweisen, daß
dieser konventionelle und fadenscheinige Ehrbegriff für unsre Zeit ein ganz un¬
zuverlässiger Wegweiser sei, daß er nicht die geringste Schutzwehr gegen auf¬
steigende unehrenhafte Gelüste, gegen anstürmende Leidenschaften und sittenlose
Lebensführung zu bieten vermöge.
Louis de Camors hat von feinem leichtsinnigen Vater weiter nichts geerbt
als ein Testament, worin der alte Aristokrat die Quintessenz seines Lebens
niedergelegt hat. Das Schriftstück ist auch kulturgeschichtlich zu merkwürdig,
als daß wir uicht einige Stellen daraus anführen sollten. „Mein Sohn,
schreibt der Vater, das Leben langweilt mich, ich verlasse es. Ich sterbe im
Glauben an mein Jahrhundert. Ich glaube an die unerschaffene, fruchtbare,
ewige Materie — das ist die letzte Religion der Menschheit. Sie hat etwas
Trauriges, sie macht den Menschen einsam; aber sie hat auch etwas Gro߬
artiges, denn sie macht ihn frei, sie macht ihn zum Gott. Was kann ein
Mensch unsrer Zeit sein , der den Verstand und die Willenskraft besitzt, sein
Leben nach jenem Glauben einzurichten? Der Materialismus ist nur für
Dummköpfe und Schwächlinge eine brutale Lehre. Gewiß, ich lese in seinem
Kodex nichts von den Vorschriften einer landläufigen Moral, nichts davon,
was unsre Väter Tugend nannten, aber ich lese darin ein großes Wort, das
viele andre aufwiegt: die Ehre, d. h. die Achtung vor sich selbst. Es ist klar,
daß ein Materialist kein Heiliger sein kann; aber er kann ein Edelmann sein,
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