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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Es ist eine interessante Erscheinung, daß in demselben Jahre 1857, wo
Feuillee seinen ersten Roman I^es ümnim et'un ^'fünf Iwinnis pauvrs ver¬
öffentlichte, der Realismus schon auf allen Gebieten der Litteratur die Ober¬
hand zu gewinnen suchte. Dumas der Jüngere war Herr der Bühne geworden,
Baudelaire schrieb seiue ?1<zur" cku mal, Taine arbeitete um seinen positivistischen
Kritiken, und Flaubert gab den Roman NacKuno Lovarx heraus, der durch
die vollständige Neutralität oder Objektivität des Verfassers und durch den
Respekt vor den Gesetzen des künstlerischen Stils geradezu epochemachend wirkte
und noch heute als das Meisterwerk der realistischen Schule angesehen wird.
Bezeichnend ist es für die durch einander flutenden Geschmacksrichtungen nnter
der Leserwelt jener Zeit, daß Feuillets Roman trotz jener litterarischen Um¬
wälzung einen großen Erfolg errang, obgleich er, ein Ich-Roman in Tagebuch¬
form, alle von den Realisten eifrig bekämpften Eigenschaften aufwies.

Maxime Odiot von Hnuterive, der arme Jüngling, ist der Typus eines
echten Romanhelden aus der idealistischen Schule. Mit allen Vorzügen des
Körpers und Geistes ausgestattet, vereinigt er außerdem in sich die Merkmale
eines vollendeten Edelmannes: vornehmes Wesen, ritterliche Manieren, Un-
eigennützigkeit, Mut, Ehrgefühl, Und diese Tugenden treten noch deutlicher
hervor, als er erfährt, daß ihm sein Vater kein Erbe hinterlassen hat, und daß
er arbeiten muß, um sich und seine Schwester zu unterhalten. Er wird unter
Annahme eines bürgerlichen Namens Verwalter eines Landgutes und verliebt
sich in Marguerite, die Tochter der Besitzerin. Marguerite ist eine herbe
Schönheit voll Argwohn gegen die Männer und insbesondre gegen Maxime,
von dem sie glaubt, daß er mehr nach ihrem Vermögen als nach ihrer Person
trachte. Vergebens giebt der arme Held ihr Beweise seiner Liebe, seines Mutes,
seiner Verzweiflung; schließlich schwört er, sich nur dann mit ihr zu vermählen,
wenn sie ebenso arm oder ebenso reich wie er selbst sei. Marguerite willigt
ein und ist im Begriff ihre Güter einem religiösen Orden zu überlassen, als
Gott sei Dank eine alte Tante des Jünglings eine rätselhafte Erbschaft in
Spanien macht, aus Freude darüber stirbt und dein glücklichen Helden alles
hinterläßt. Der Ausspruch: lumröux esux, cM n'ont xg-s ä'llistoirö! womit das
Tagebuch schließt, paßt nicht recht zu der Geschichte des Helden. Denn das
Geschick konnte ihm eigentlich nicht günstiger sein. Er hat nach seiner Mei¬
nung eine bewegte Lebensgeschichte gehabt und ist trotzdem glücklich geworden.
Der Roman ist nicht frei von UnWahrscheinlichkeiten und Widersprüchen, aber
die kunstvolle Darstellung, die gewühlte Sprache und die vornehme Ruhe
sichern ihm noch jetzt den Beifall unbefangener Leser.

Fünf Jahre später erschien Feuillets ebenso idealistisch gehaltener Roman
Hist-olre als LidMv, worin dasselbe Thema behandelt wird, das nenerdings
die englische Schriftstellerin Mrs. Ward in ihrem Buche liobsrt Msinerö aus¬
geführt hat: den Seelenkampf eines religiös gläubigem Weibes, das in ihrem


Es ist eine interessante Erscheinung, daß in demselben Jahre 1857, wo
Feuillee seinen ersten Roman I^es ümnim et'un ^'fünf Iwinnis pauvrs ver¬
öffentlichte, der Realismus schon auf allen Gebieten der Litteratur die Ober¬
hand zu gewinnen suchte. Dumas der Jüngere war Herr der Bühne geworden,
Baudelaire schrieb seiue ?1<zur« cku mal, Taine arbeitete um seinen positivistischen
Kritiken, und Flaubert gab den Roman NacKuno Lovarx heraus, der durch
die vollständige Neutralität oder Objektivität des Verfassers und durch den
Respekt vor den Gesetzen des künstlerischen Stils geradezu epochemachend wirkte
und noch heute als das Meisterwerk der realistischen Schule angesehen wird.
Bezeichnend ist es für die durch einander flutenden Geschmacksrichtungen nnter
der Leserwelt jener Zeit, daß Feuillets Roman trotz jener litterarischen Um¬
wälzung einen großen Erfolg errang, obgleich er, ein Ich-Roman in Tagebuch¬
form, alle von den Realisten eifrig bekämpften Eigenschaften aufwies.

Maxime Odiot von Hnuterive, der arme Jüngling, ist der Typus eines
echten Romanhelden aus der idealistischen Schule. Mit allen Vorzügen des
Körpers und Geistes ausgestattet, vereinigt er außerdem in sich die Merkmale
eines vollendeten Edelmannes: vornehmes Wesen, ritterliche Manieren, Un-
eigennützigkeit, Mut, Ehrgefühl, Und diese Tugenden treten noch deutlicher
hervor, als er erfährt, daß ihm sein Vater kein Erbe hinterlassen hat, und daß
er arbeiten muß, um sich und seine Schwester zu unterhalten. Er wird unter
Annahme eines bürgerlichen Namens Verwalter eines Landgutes und verliebt
sich in Marguerite, die Tochter der Besitzerin. Marguerite ist eine herbe
Schönheit voll Argwohn gegen die Männer und insbesondre gegen Maxime,
von dem sie glaubt, daß er mehr nach ihrem Vermögen als nach ihrer Person
trachte. Vergebens giebt der arme Held ihr Beweise seiner Liebe, seines Mutes,
seiner Verzweiflung; schließlich schwört er, sich nur dann mit ihr zu vermählen,
wenn sie ebenso arm oder ebenso reich wie er selbst sei. Marguerite willigt
ein und ist im Begriff ihre Güter einem religiösen Orden zu überlassen, als
Gott sei Dank eine alte Tante des Jünglings eine rätselhafte Erbschaft in
Spanien macht, aus Freude darüber stirbt und dein glücklichen Helden alles
hinterläßt. Der Ausspruch: lumröux esux, cM n'ont xg-s ä'llistoirö! womit das
Tagebuch schließt, paßt nicht recht zu der Geschichte des Helden. Denn das
Geschick konnte ihm eigentlich nicht günstiger sein. Er hat nach seiner Mei¬
nung eine bewegte Lebensgeschichte gehabt und ist trotzdem glücklich geworden.
Der Roman ist nicht frei von UnWahrscheinlichkeiten und Widersprüchen, aber
die kunstvolle Darstellung, die gewühlte Sprache und die vornehme Ruhe
sichern ihm noch jetzt den Beifall unbefangener Leser.

Fünf Jahre später erschien Feuillets ebenso idealistisch gehaltener Roman
Hist-olre als LidMv, worin dasselbe Thema behandelt wird, das nenerdings
die englische Schriftstellerin Mrs. Ward in ihrem Buche liobsrt Msinerö aus¬
geführt hat: den Seelenkampf eines religiös gläubigem Weibes, das in ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/184>, abgerufen am 25.08.2024.