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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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mis dem Staate die erforderliche Anzahl tauglicher sudssotii, wie es noch vor
achtzig Jahren hieß, für Richter- und Postsekretärstellen zu liefern. Und mit
dieser höhern innern Würde des Berufes ist eine Befriedigung verbunden, die
dem Juristen, auf den die Herren Lehrer in Verkennung ihrer eignen Würde
neidisch zu fein scheinen, versagt bleibt. Im Verwaltungsfache hat es der
Jurist mit toten Akten, im Richteramte zwar mit Menschen, aber mit dem Ab¬
schaum der Menschheit, und mit den achtungswerten meistens nnr in Fällen
zu thun, wo sie sich von der unvorteilhaftesten Seite zeigen. Der Lehrer da¬
gegen hat es mit dem edelsten Teile der Menschheit zu thun, mit unverdorbenen,
hoffnungsvollen Knaben, an denen er, wenn er sie zu behandeln weiß, seine
Freude hat. Auch ist dem Richter und dem Verwaltungsbeamten für seine
Thätigkeit kein einzelner Mensch dankbar. Der verurteilte Verbrecher empfindet
das Gegenteil von Dank gegen den Strnfrichter, und wenn die ehrlichen Leute
auch einsichtig genug sind, was nicht immer der Fall ist, den Wert jener
Staatseinrichtungen, die Leben und Eigentum schützen, zu würdigen, so fühlen
sie sich doch nicht dein einzelnen Beamten verbunden, der sie handhabt. Wer
einen Prozeß gewinnt, dankt allenfalls seinein Anwalt, aber nicht dem Richter,
den Landrat sieht der Bauer sehr oft nicht mis seinen Wohlthäter, sondern als
seinen Feind an, und der Regierungsrat ist ein aller Welt gleichgiltiges, in
der UnPersönlichkeit seiner kollegialen Amtsthätigkeit verschwindendes Wesen.
Man darf es diesen Männern wohl gönnen, daß sie für ihre teils wenig an¬
ziehende, teils geradezu unerfreuliche Arbeit durch Rang und Titel einigermaßen
entschädigt werden, und daß der Staat den Bürgern durch solche Auszeichnungen
sagt: "Keiner von euch ist in der Lage, die Thätigkeit dieses Mannes für das
Gemeinwohl abzuschätzen, keiner von euch fühlt sich ihm persönlich verbunden;
nun, so erkläre ich euch denn, der Mann hat sich um mich, den Staat, und
dadurch auch um euch verdient gemacht, und ihr werdet wohl daran thun, vor
ihm den Hut zu ziehen!"

Wie anders steht der Lehrer im Volke da! Ehrfurchtsvoll grüßen ihn die
dreihundert oder sechshundert Schüler der Anstalt, an der er wirkt, und deren
Eltern, ohne daß es der Vermittlung des Staates bedürfte. Und wie so gar
nichts hat damit der Titel zu schaffe"! Unser Herr H. war uns Jungen an
der höhern Bürgerschule zu L. um Nuuo 1847 der liebste Lehrer, und er
wurde uns um kein Gran lieber, als ihn die hohe Behörde zum "Herrn
Korrektor" machte. Ja, das war vor fünfundvierzig Jahren! wird mancher
Herr Oberlehrer einwenden. Eben darum hat der Fall umso mehr Beweis¬
kraft; denn der Zug des modernen Lebens geht nicht auf Vermehrung, sondern
auf Verminderung des Titelwescns. Der bedeutendste der lebenden englischen
Staatsmänner heißt ,,Herr Gladstone," das französische Staatsoberhaupt heißt
"Herr Carnot," und der gebietende Minister Italiens "Herr Crispi"; anch
wird niemand zu behaupten wagen, daß Goethe durch die "Exzellenz" und


mis dem Staate die erforderliche Anzahl tauglicher sudssotii, wie es noch vor
achtzig Jahren hieß, für Richter- und Postsekretärstellen zu liefern. Und mit
dieser höhern innern Würde des Berufes ist eine Befriedigung verbunden, die
dem Juristen, auf den die Herren Lehrer in Verkennung ihrer eignen Würde
neidisch zu fein scheinen, versagt bleibt. Im Verwaltungsfache hat es der
Jurist mit toten Akten, im Richteramte zwar mit Menschen, aber mit dem Ab¬
schaum der Menschheit, und mit den achtungswerten meistens nnr in Fällen
zu thun, wo sie sich von der unvorteilhaftesten Seite zeigen. Der Lehrer da¬
gegen hat es mit dem edelsten Teile der Menschheit zu thun, mit unverdorbenen,
hoffnungsvollen Knaben, an denen er, wenn er sie zu behandeln weiß, seine
Freude hat. Auch ist dem Richter und dem Verwaltungsbeamten für seine
Thätigkeit kein einzelner Mensch dankbar. Der verurteilte Verbrecher empfindet
das Gegenteil von Dank gegen den Strnfrichter, und wenn die ehrlichen Leute
auch einsichtig genug sind, was nicht immer der Fall ist, den Wert jener
Staatseinrichtungen, die Leben und Eigentum schützen, zu würdigen, so fühlen
sie sich doch nicht dein einzelnen Beamten verbunden, der sie handhabt. Wer
einen Prozeß gewinnt, dankt allenfalls seinein Anwalt, aber nicht dem Richter,
den Landrat sieht der Bauer sehr oft nicht mis seinen Wohlthäter, sondern als
seinen Feind an, und der Regierungsrat ist ein aller Welt gleichgiltiges, in
der UnPersönlichkeit seiner kollegialen Amtsthätigkeit verschwindendes Wesen.
Man darf es diesen Männern wohl gönnen, daß sie für ihre teils wenig an¬
ziehende, teils geradezu unerfreuliche Arbeit durch Rang und Titel einigermaßen
entschädigt werden, und daß der Staat den Bürgern durch solche Auszeichnungen
sagt: „Keiner von euch ist in der Lage, die Thätigkeit dieses Mannes für das
Gemeinwohl abzuschätzen, keiner von euch fühlt sich ihm persönlich verbunden;
nun, so erkläre ich euch denn, der Mann hat sich um mich, den Staat, und
dadurch auch um euch verdient gemacht, und ihr werdet wohl daran thun, vor
ihm den Hut zu ziehen!"

Wie anders steht der Lehrer im Volke da! Ehrfurchtsvoll grüßen ihn die
dreihundert oder sechshundert Schüler der Anstalt, an der er wirkt, und deren
Eltern, ohne daß es der Vermittlung des Staates bedürfte. Und wie so gar
nichts hat damit der Titel zu schaffe»! Unser Herr H. war uns Jungen an
der höhern Bürgerschule zu L. um Nuuo 1847 der liebste Lehrer, und er
wurde uns um kein Gran lieber, als ihn die hohe Behörde zum „Herrn
Korrektor" machte. Ja, das war vor fünfundvierzig Jahren! wird mancher
Herr Oberlehrer einwenden. Eben darum hat der Fall umso mehr Beweis¬
kraft; denn der Zug des modernen Lebens geht nicht auf Vermehrung, sondern
auf Verminderung des Titelwescns. Der bedeutendste der lebenden englischen
Staatsmänner heißt ,,Herr Gladstone," das französische Staatsoberhaupt heißt
„Herr Carnot," und der gebietende Minister Italiens „Herr Crispi"; anch
wird niemand zu behaupten wagen, daß Goethe durch die „Exzellenz" und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/179>, abgerufen am 23.07.2024.