Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Und da wollen die Herren Lehrer sich eine Titulatur aufhalsen, deren
Falschheit und Widersinn in die Augen springt! Denn zu eines jungen Justiz¬
beamten Obliegenheiten gehört es zwar, zu referiren und beizusitzen, aber nicht
zu deuen eines junge" Lehrers. Und auch der Oberlehrertitel hat keinen Sinn,
wenn es keine Unterlehrer giebt und alle Kollegen ohne Ausnahme Oberlehrer
genannt werden. Selbst der Professortitel ist, als bloßer Titel, sprachlich
nicht zu rechtfertigen. Werden alle Lehrer höherer Lehranstalten ohne Aus¬
nahme Professoren genannt, wie es früher allgemein üblich war und in Süd-
deutschland heute noch der Fall ist, dann hat das Wort Sinn, denn es be¬
zeichnet dann den Beruf des akademisch gebildeten Lehrers. Wird aber der
Name nur einem Prozentsätze der Lehrer beigelegt, so hat er weder Sinn
noch Berechtigung, da ja der neuernannte Professor am Tage nach der Er¬
nennung nichts andres treibt als am Tage vorher, und beide, die "Professoren"
wie die "Oberlehrer," gleicherweise ist-i prolitöntur. Wenn die Gymnasiallehrer
auf den Geist der Klassiker, auf die echte Humanität, auf jene Schönheit der
Form, die im treuen Ausdruck eines schönen Inhalts besteht, auf strenge Wahr¬
haftigkeit, die sich in schlichter, knapper, vollkommen richtiger Sprache äußert,
wenn sie darauf verzichten, dann haben die Klassiker keinen Wert mehr. Ist
der Kern abhanden gekommen, wozu soll sich daun unsre Jugend noch an der
Schale die Zähne ausbeißeu? Laßt sie dann lieber Arabisch lind Suaheli
lernen statt Lateinisch und Griechisch.

Nun hat ja das Rang- und Titelweseu freilich außer der orientalischem
Seite noch eine andre: die preußische. Durch Preußen, und durch Preußen
allein -- denn die deutschen Kleinstaaten haben sich darin wie in andern
Stücken erst notgedrungen den preußischen Grundsätzen anbequemt --, hat das
deutsche Titelwesen nachträglich eine gewisse Berechtigung erlangt. Indem
Preußen nur den Würdigen zu einem Amte beförderte und strenge Pflicht¬
erfüllung von ihm verlangte, bewies hier der Amtstitel wirklich schon die
Tüchtigkeit des Mannes und wurde demnach zu einer Auszeichnung, die umso
höher geschätzt ward, als sie gar oft bei kargen Einkommen neben dein guten
Genüssen die einzige Entschädigung sur harte Arbeit und schweren Dienst
bildete. Aber die Lehrer irren, wenn sie sich einfach als Staatsbeamte be¬
trachten. Freilich sind sie anch Staatsbeamte, aber sie sind nicht bloß das, und
die andre Seite ihres Berufes, die pädagogische, ist die höhere. Der eigentliche
Staatsbeamte dient unmittelbar dem Staate, nur mittelbar denen, mit denen er
zu thun hat, und sehr häufig diesen überhaupt nicht; denu man kann doch nicht
gut sagen, daß der Gensdnrm dem Strolch, den er einfängt, einen Dienst er¬
weise. Der Lehrer aber dient unmittelbar den Personen, mit denen er zu thu"
hat, deu Schülern, und nur mittelbar dem Staate. Und der erstere Dienst
ist wichtiger als der zweite, zugleich auch höher und edler. Denn die Knaben
zu guten, tüchtigen und glücklichen Menschen erziehen, das ist doch gewiß mehr,


Und da wollen die Herren Lehrer sich eine Titulatur aufhalsen, deren
Falschheit und Widersinn in die Augen springt! Denn zu eines jungen Justiz¬
beamten Obliegenheiten gehört es zwar, zu referiren und beizusitzen, aber nicht
zu deuen eines junge» Lehrers. Und auch der Oberlehrertitel hat keinen Sinn,
wenn es keine Unterlehrer giebt und alle Kollegen ohne Ausnahme Oberlehrer
genannt werden. Selbst der Professortitel ist, als bloßer Titel, sprachlich
nicht zu rechtfertigen. Werden alle Lehrer höherer Lehranstalten ohne Aus¬
nahme Professoren genannt, wie es früher allgemein üblich war und in Süd-
deutschland heute noch der Fall ist, dann hat das Wort Sinn, denn es be¬
zeichnet dann den Beruf des akademisch gebildeten Lehrers. Wird aber der
Name nur einem Prozentsätze der Lehrer beigelegt, so hat er weder Sinn
noch Berechtigung, da ja der neuernannte Professor am Tage nach der Er¬
nennung nichts andres treibt als am Tage vorher, und beide, die „Professoren"
wie die „Oberlehrer," gleicherweise ist-i prolitöntur. Wenn die Gymnasiallehrer
auf den Geist der Klassiker, auf die echte Humanität, auf jene Schönheit der
Form, die im treuen Ausdruck eines schönen Inhalts besteht, auf strenge Wahr¬
haftigkeit, die sich in schlichter, knapper, vollkommen richtiger Sprache äußert,
wenn sie darauf verzichten, dann haben die Klassiker keinen Wert mehr. Ist
der Kern abhanden gekommen, wozu soll sich daun unsre Jugend noch an der
Schale die Zähne ausbeißeu? Laßt sie dann lieber Arabisch lind Suaheli
lernen statt Lateinisch und Griechisch.

Nun hat ja das Rang- und Titelweseu freilich außer der orientalischem
Seite noch eine andre: die preußische. Durch Preußen, und durch Preußen
allein — denn die deutschen Kleinstaaten haben sich darin wie in andern
Stücken erst notgedrungen den preußischen Grundsätzen anbequemt —, hat das
deutsche Titelwesen nachträglich eine gewisse Berechtigung erlangt. Indem
Preußen nur den Würdigen zu einem Amte beförderte und strenge Pflicht¬
erfüllung von ihm verlangte, bewies hier der Amtstitel wirklich schon die
Tüchtigkeit des Mannes und wurde demnach zu einer Auszeichnung, die umso
höher geschätzt ward, als sie gar oft bei kargen Einkommen neben dein guten
Genüssen die einzige Entschädigung sur harte Arbeit und schweren Dienst
bildete. Aber die Lehrer irren, wenn sie sich einfach als Staatsbeamte be¬
trachten. Freilich sind sie anch Staatsbeamte, aber sie sind nicht bloß das, und
die andre Seite ihres Berufes, die pädagogische, ist die höhere. Der eigentliche
Staatsbeamte dient unmittelbar dem Staate, nur mittelbar denen, mit denen er
zu thun hat, und sehr häufig diesen überhaupt nicht; denu man kann doch nicht
gut sagen, daß der Gensdnrm dem Strolch, den er einfängt, einen Dienst er¬
weise. Der Lehrer aber dient unmittelbar den Personen, mit denen er zu thu»
hat, deu Schülern, und nur mittelbar dem Staate. Und der erstere Dienst
ist wichtiger als der zweite, zugleich auch höher und edler. Denn die Knaben
zu guten, tüchtigen und glücklichen Menschen erziehen, das ist doch gewiß mehr,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208757"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_492"> Und da wollen die Herren Lehrer sich eine Titulatur aufhalsen, deren<lb/>
Falschheit und Widersinn in die Augen springt! Denn zu eines jungen Justiz¬<lb/>
beamten Obliegenheiten gehört es zwar, zu referiren und beizusitzen, aber nicht<lb/>
zu deuen eines junge» Lehrers. Und auch der Oberlehrertitel hat keinen Sinn,<lb/>
wenn es keine Unterlehrer giebt und alle Kollegen ohne Ausnahme Oberlehrer<lb/>
genannt werden. Selbst der Professortitel ist, als bloßer Titel, sprachlich<lb/>
nicht zu rechtfertigen. Werden alle Lehrer höherer Lehranstalten ohne Aus¬<lb/>
nahme Professoren genannt, wie es früher allgemein üblich war und in Süd-<lb/>
deutschland heute noch der Fall ist, dann hat das Wort Sinn, denn es be¬<lb/>
zeichnet dann den Beruf des akademisch gebildeten Lehrers. Wird aber der<lb/>
Name nur einem Prozentsätze der Lehrer beigelegt, so hat er weder Sinn<lb/>
noch Berechtigung, da ja der neuernannte Professor am Tage nach der Er¬<lb/>
nennung nichts andres treibt als am Tage vorher, und beide, die &#x201E;Professoren"<lb/>
wie die &#x201E;Oberlehrer," gleicherweise ist-i prolitöntur. Wenn die Gymnasiallehrer<lb/>
auf den Geist der Klassiker, auf die echte Humanität, auf jene Schönheit der<lb/>
Form, die im treuen Ausdruck eines schönen Inhalts besteht, auf strenge Wahr¬<lb/>
haftigkeit, die sich in schlichter, knapper, vollkommen richtiger Sprache äußert,<lb/>
wenn sie darauf verzichten, dann haben die Klassiker keinen Wert mehr. Ist<lb/>
der Kern abhanden gekommen, wozu soll sich daun unsre Jugend noch an der<lb/>
Schale die Zähne ausbeißeu? Laßt sie dann lieber Arabisch lind Suaheli<lb/>
lernen statt Lateinisch und Griechisch.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_493" next="#ID_494"> Nun hat ja das Rang- und Titelweseu freilich außer der orientalischem<lb/>
Seite noch eine andre: die preußische. Durch Preußen, und durch Preußen<lb/>
allein &#x2014; denn die deutschen Kleinstaaten haben sich darin wie in andern<lb/>
Stücken erst notgedrungen den preußischen Grundsätzen anbequemt &#x2014;, hat das<lb/>
deutsche Titelwesen nachträglich eine gewisse Berechtigung erlangt. Indem<lb/>
Preußen nur den Würdigen zu einem Amte beförderte und strenge Pflicht¬<lb/>
erfüllung von ihm verlangte, bewies hier der Amtstitel wirklich schon die<lb/>
Tüchtigkeit des Mannes und wurde demnach zu einer Auszeichnung, die umso<lb/>
höher geschätzt ward, als sie gar oft bei kargen Einkommen neben dein guten<lb/>
Genüssen die einzige Entschädigung sur harte Arbeit und schweren Dienst<lb/>
bildete. Aber die Lehrer irren, wenn sie sich einfach als Staatsbeamte be¬<lb/>
trachten. Freilich sind sie anch Staatsbeamte, aber sie sind nicht bloß das, und<lb/>
die andre Seite ihres Berufes, die pädagogische, ist die höhere. Der eigentliche<lb/>
Staatsbeamte dient unmittelbar dem Staate, nur mittelbar denen, mit denen er<lb/>
zu thun hat, und sehr häufig diesen überhaupt nicht; denu man kann doch nicht<lb/>
gut sagen, daß der Gensdnrm dem Strolch, den er einfängt, einen Dienst er¬<lb/>
weise. Der Lehrer aber dient unmittelbar den Personen, mit denen er zu thu»<lb/>
hat, deu Schülern, und nur mittelbar dem Staate. Und der erstere Dienst<lb/>
ist wichtiger als der zweite, zugleich auch höher und edler. Denn die Knaben<lb/>
zu guten, tüchtigen und glücklichen Menschen erziehen, das ist doch gewiß mehr,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] Und da wollen die Herren Lehrer sich eine Titulatur aufhalsen, deren Falschheit und Widersinn in die Augen springt! Denn zu eines jungen Justiz¬ beamten Obliegenheiten gehört es zwar, zu referiren und beizusitzen, aber nicht zu deuen eines junge» Lehrers. Und auch der Oberlehrertitel hat keinen Sinn, wenn es keine Unterlehrer giebt und alle Kollegen ohne Ausnahme Oberlehrer genannt werden. Selbst der Professortitel ist, als bloßer Titel, sprachlich nicht zu rechtfertigen. Werden alle Lehrer höherer Lehranstalten ohne Aus¬ nahme Professoren genannt, wie es früher allgemein üblich war und in Süd- deutschland heute noch der Fall ist, dann hat das Wort Sinn, denn es be¬ zeichnet dann den Beruf des akademisch gebildeten Lehrers. Wird aber der Name nur einem Prozentsätze der Lehrer beigelegt, so hat er weder Sinn noch Berechtigung, da ja der neuernannte Professor am Tage nach der Er¬ nennung nichts andres treibt als am Tage vorher, und beide, die „Professoren" wie die „Oberlehrer," gleicherweise ist-i prolitöntur. Wenn die Gymnasiallehrer auf den Geist der Klassiker, auf die echte Humanität, auf jene Schönheit der Form, die im treuen Ausdruck eines schönen Inhalts besteht, auf strenge Wahr¬ haftigkeit, die sich in schlichter, knapper, vollkommen richtiger Sprache äußert, wenn sie darauf verzichten, dann haben die Klassiker keinen Wert mehr. Ist der Kern abhanden gekommen, wozu soll sich daun unsre Jugend noch an der Schale die Zähne ausbeißeu? Laßt sie dann lieber Arabisch lind Suaheli lernen statt Lateinisch und Griechisch. Nun hat ja das Rang- und Titelweseu freilich außer der orientalischem Seite noch eine andre: die preußische. Durch Preußen, und durch Preußen allein — denn die deutschen Kleinstaaten haben sich darin wie in andern Stücken erst notgedrungen den preußischen Grundsätzen anbequemt —, hat das deutsche Titelwesen nachträglich eine gewisse Berechtigung erlangt. Indem Preußen nur den Würdigen zu einem Amte beförderte und strenge Pflicht¬ erfüllung von ihm verlangte, bewies hier der Amtstitel wirklich schon die Tüchtigkeit des Mannes und wurde demnach zu einer Auszeichnung, die umso höher geschätzt ward, als sie gar oft bei kargen Einkommen neben dein guten Genüssen die einzige Entschädigung sur harte Arbeit und schweren Dienst bildete. Aber die Lehrer irren, wenn sie sich einfach als Staatsbeamte be¬ trachten. Freilich sind sie anch Staatsbeamte, aber sie sind nicht bloß das, und die andre Seite ihres Berufes, die pädagogische, ist die höhere. Der eigentliche Staatsbeamte dient unmittelbar dem Staate, nur mittelbar denen, mit denen er zu thun hat, und sehr häufig diesen überhaupt nicht; denu man kann doch nicht gut sagen, daß der Gensdnrm dem Strolch, den er einfängt, einen Dienst er¬ weise. Der Lehrer aber dient unmittelbar den Personen, mit denen er zu thu» hat, deu Schülern, und nur mittelbar dem Staate. Und der erstere Dienst ist wichtiger als der zweite, zugleich auch höher und edler. Denn die Knaben zu guten, tüchtigen und glücklichen Menschen erziehen, das ist doch gewiß mehr,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/178>, abgerufen am 23.07.2024.