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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Wozu die physische Kampffähigkeit verwendet werden soll, das tritt viel¬
leicht erst zu Tage, wenn von den "Forderungen auf dem Boden der heutigen
Gesellschaftsordnung" zur Durchführung des eigentlichen und reinen Programms
der sozialdemokratischen Arbeiterpartei übergegangen wird, ein Übergang, der
ganz uach den Verhältnissen vollzogen werden wird. Denn "die Partei wird
und muß sich in ihrer Taktik auch jeweilig uach den Verhältnissen, insbesondre
nach dem Verhalten der Gegner zu richten haben." Wenn nämlich diese
Gegner, sobald man die Mehrheit im Reichstage hat, sich willig den Anord¬
nungen der sozialdemokratischen Führer in der Herstellung der neuen Gesellschaft
fügen, dann wird uns versprochen, daß alles ohne Blutvergießen, ganz friedlich
vor sich gehen soll. Denn der Sozialdemokrat ist von Natur nicht mir ganz
gerecht, sondern auch ganz sanft. Von der Sorte dieser "sanften" versprach
das "Berliner Volksblatt" je einen neben einen "evangelischen Jüngling" zu
stellen, wenn es einmal diesen Jünglingen wieder einfallen sollte, bei der an¬
gekündigten Debatte über den Austritt aus der Landeskirche sich in die sozial-
demokratische Versammlung sogar mit Rednern einzuschleichen, die durch ihr
Auftreten solchen Lärm in der Versammlung hervorrufen, daß der wachthabende
Polizeileutuant die Versammlung auflösen muß. Der "sanfte Sozialdemokrat"
soll denn den ungestümen evangelischen Jüngling an Ungehörigkeiten hindern.
Vielleicht kommt es da recht bald in den sozinldemokratischeu Versammlungen
zu Proben der physischen Kampffähigkeit. Von ihrer geistigen Kampffähigkeit
aber können wir uns schon jetzt ungefähr eine Vorstellung machen. Denn bei
jeder Wahl für den deutschen Reichstag trat die Art der sozialdemokratischen
Führer und ihrer Heerscharen?, mit der "feigen, freiheits- und kulturfeindlichen
Bourgeoisie" zu kämpfen, sichtbar genng hervor. Der drohende Finger, mit
dem der "Genosse" Zigarrenhändler oder Kneipwirt oder Kommis Vvyageur
seine gut eingepaukte Agitativnsrede hielt, der tuiuultuarische Lärm, mit dem
sie die Versammlungen der Gegner zu unterbrechen versuchten, das Wutgebrüll,
womit jede Erwiderung niedergeschrieen wurde, kurz die vollständige Zucht-
losigkeit und Verrohung, die durch die Sozialdemokratie noch mehr als durch
den Freisinn in die öffentlichen Versammlungen eindrang, kann uns einen
Begriff davou geben, wie sich die Dinge voraussichtlich nach dem Aufhören
des Sozialistengesetzes entwickeln werden.

Von der Seite, die das Sozialistengesetz hat fallen lassen, ist vielfach die
Aufforderung an die bürgerlichen Parteien ergangen, sich in der Bekämpfung
der Sozialdemokratie mehr zu rühren und an Eifer der Agitation nicht hinter
den Sozialdemokraten selbst zurückzubleiben. Wenn die Hilfe so kommen soll,
so verrechnet man sich. In die Verscnumlnugen der bürgerlichen Parteien kommt
kein Sozialdemokrat, außer etwa mit der Absicht, sie durch wüstes Auftreten
zu stören. In die sozialdemokratischen Versammlungen selbst zu gehen und
dort dem sozialdemokratischen Redner Ange in Auge gegenüberzutreten, würde


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Wozu die physische Kampffähigkeit verwendet werden soll, das tritt viel¬
leicht erst zu Tage, wenn von den „Forderungen auf dem Boden der heutigen
Gesellschaftsordnung" zur Durchführung des eigentlichen und reinen Programms
der sozialdemokratischen Arbeiterpartei übergegangen wird, ein Übergang, der
ganz uach den Verhältnissen vollzogen werden wird. Denn „die Partei wird
und muß sich in ihrer Taktik auch jeweilig uach den Verhältnissen, insbesondre
nach dem Verhalten der Gegner zu richten haben." Wenn nämlich diese
Gegner, sobald man die Mehrheit im Reichstage hat, sich willig den Anord¬
nungen der sozialdemokratischen Führer in der Herstellung der neuen Gesellschaft
fügen, dann wird uns versprochen, daß alles ohne Blutvergießen, ganz friedlich
vor sich gehen soll. Denn der Sozialdemokrat ist von Natur nicht mir ganz
gerecht, sondern auch ganz sanft. Von der Sorte dieser „sanften" versprach
das „Berliner Volksblatt" je einen neben einen „evangelischen Jüngling" zu
stellen, wenn es einmal diesen Jünglingen wieder einfallen sollte, bei der an¬
gekündigten Debatte über den Austritt aus der Landeskirche sich in die sozial-
demokratische Versammlung sogar mit Rednern einzuschleichen, die durch ihr
Auftreten solchen Lärm in der Versammlung hervorrufen, daß der wachthabende
Polizeileutuant die Versammlung auflösen muß. Der „sanfte Sozialdemokrat"
soll denn den ungestümen evangelischen Jüngling an Ungehörigkeiten hindern.
Vielleicht kommt es da recht bald in den sozinldemokratischeu Versammlungen
zu Proben der physischen Kampffähigkeit. Von ihrer geistigen Kampffähigkeit
aber können wir uns schon jetzt ungefähr eine Vorstellung machen. Denn bei
jeder Wahl für den deutschen Reichstag trat die Art der sozialdemokratischen
Führer und ihrer Heerscharen?, mit der „feigen, freiheits- und kulturfeindlichen
Bourgeoisie" zu kämpfen, sichtbar genng hervor. Der drohende Finger, mit
dem der „Genosse" Zigarrenhändler oder Kneipwirt oder Kommis Vvyageur
seine gut eingepaukte Agitativnsrede hielt, der tuiuultuarische Lärm, mit dem
sie die Versammlungen der Gegner zu unterbrechen versuchten, das Wutgebrüll,
womit jede Erwiderung niedergeschrieen wurde, kurz die vollständige Zucht-
losigkeit und Verrohung, die durch die Sozialdemokratie noch mehr als durch
den Freisinn in die öffentlichen Versammlungen eindrang, kann uns einen
Begriff davou geben, wie sich die Dinge voraussichtlich nach dem Aufhören
des Sozialistengesetzes entwickeln werden.

Von der Seite, die das Sozialistengesetz hat fallen lassen, ist vielfach die
Aufforderung an die bürgerlichen Parteien ergangen, sich in der Bekämpfung
der Sozialdemokratie mehr zu rühren und an Eifer der Agitation nicht hinter
den Sozialdemokraten selbst zurückzubleiben. Wenn die Hilfe so kommen soll,
so verrechnet man sich. In die Verscnumlnugen der bürgerlichen Parteien kommt
kein Sozialdemokrat, außer etwa mit der Absicht, sie durch wüstes Auftreten
zu stören. In die sozialdemokratischen Versammlungen selbst zu gehen und
dort dem sozialdemokratischen Redner Ange in Auge gegenüberzutreten, würde


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[0110] ^-x ne^un Wozu die physische Kampffähigkeit verwendet werden soll, das tritt viel¬ leicht erst zu Tage, wenn von den „Forderungen auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung" zur Durchführung des eigentlichen und reinen Programms der sozialdemokratischen Arbeiterpartei übergegangen wird, ein Übergang, der ganz uach den Verhältnissen vollzogen werden wird. Denn „die Partei wird und muß sich in ihrer Taktik auch jeweilig uach den Verhältnissen, insbesondre nach dem Verhalten der Gegner zu richten haben." Wenn nämlich diese Gegner, sobald man die Mehrheit im Reichstage hat, sich willig den Anord¬ nungen der sozialdemokratischen Führer in der Herstellung der neuen Gesellschaft fügen, dann wird uns versprochen, daß alles ohne Blutvergießen, ganz friedlich vor sich gehen soll. Denn der Sozialdemokrat ist von Natur nicht mir ganz gerecht, sondern auch ganz sanft. Von der Sorte dieser „sanften" versprach das „Berliner Volksblatt" je einen neben einen „evangelischen Jüngling" zu stellen, wenn es einmal diesen Jünglingen wieder einfallen sollte, bei der an¬ gekündigten Debatte über den Austritt aus der Landeskirche sich in die sozial- demokratische Versammlung sogar mit Rednern einzuschleichen, die durch ihr Auftreten solchen Lärm in der Versammlung hervorrufen, daß der wachthabende Polizeileutuant die Versammlung auflösen muß. Der „sanfte Sozialdemokrat" soll denn den ungestümen evangelischen Jüngling an Ungehörigkeiten hindern. Vielleicht kommt es da recht bald in den sozinldemokratischeu Versammlungen zu Proben der physischen Kampffähigkeit. Von ihrer geistigen Kampffähigkeit aber können wir uns schon jetzt ungefähr eine Vorstellung machen. Denn bei jeder Wahl für den deutschen Reichstag trat die Art der sozialdemokratischen Führer und ihrer Heerscharen?, mit der „feigen, freiheits- und kulturfeindlichen Bourgeoisie" zu kämpfen, sichtbar genng hervor. Der drohende Finger, mit dem der „Genosse" Zigarrenhändler oder Kneipwirt oder Kommis Vvyageur seine gut eingepaukte Agitativnsrede hielt, der tuiuultuarische Lärm, mit dem sie die Versammlungen der Gegner zu unterbrechen versuchten, das Wutgebrüll, womit jede Erwiderung niedergeschrieen wurde, kurz die vollständige Zucht- losigkeit und Verrohung, die durch die Sozialdemokratie noch mehr als durch den Freisinn in die öffentlichen Versammlungen eindrang, kann uns einen Begriff davou geben, wie sich die Dinge voraussichtlich nach dem Aufhören des Sozialistengesetzes entwickeln werden. Von der Seite, die das Sozialistengesetz hat fallen lassen, ist vielfach die Aufforderung an die bürgerlichen Parteien ergangen, sich in der Bekämpfung der Sozialdemokratie mehr zu rühren und an Eifer der Agitation nicht hinter den Sozialdemokraten selbst zurückzubleiben. Wenn die Hilfe so kommen soll, so verrechnet man sich. In die Verscnumlnugen der bürgerlichen Parteien kommt kein Sozialdemokrat, außer etwa mit der Absicht, sie durch wüstes Auftreten zu stören. In die sozialdemokratischen Versammlungen selbst zu gehen und dort dem sozialdemokratischen Redner Ange in Auge gegenüberzutreten, würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/110>, abgerufen am 25.08.2024.