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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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den Arbeiter ist der beste Weg, vorwärts zu kommen, der, der ihn dazu führt,
daß er in den Besitz der gesamten Produktionsmittel kommt." So wird die
Einziehung aller Privatvermögen genannt, und die Heuchelei, die nirgends
stärker ist, als bei den sozialdemokratischen Aposteln, behauptet mit dieser Ein¬
ziehung sehr maßvoll zu sein gegenüber dem Kommunismus der "unwissen¬
schaftlichen Anarchie/' Das Blatt belehrt uns weiter, daß "damit, d. h. mit
der Besitzergreifung der gesamten Produktionsmittel durch die ganze arbeitende
Gesellschaft, die Ausbeutung durch andre wegfällt, und damit wird auch die
moderne kapitalistische Tugend der Strebsamkeit ihren Boden verlieren, eine
Tugend, die nur zum Vorteil des einen geübt werden kaun, wenn der andre
darunter leidet. Diese Tugend kann eben nur eine kapitalistische sein." (Ber¬
liner Volksblatt vom 2. September.)

Damit hat denn die sozialdemokratische Weisheit das abgethan, was die
Menschheit bisher Fleiß und Arbeitsamkeit, Tüchtigkeit und Streben, vorwärts
zu kommen, nannte, der neue sozialdemokratische Staat braucht alle die Tugenden,
die ein solches Vorwärtskommen ermöglichen, nicht. Nebenbei sei bemerkt, daß,
wenn vom "Staat" bei unsern dentschen Sozialdemokraten die Rede ist, man
natürlich nicht etwa an einen deutschen Staat denken darf; die Sozialdemokratie
reißt alle Grenzen nieder, sie ist international. Darum ist der Sedantag für
sie "platter Kultus der Blut- und Eisenbarbarei, und darum auch ziemlich viel
Kultus ihres zum Glück jetzt zerschmetterten Vertreters," wie Bismarck einmal
zur Abwechslung genannt wird; für gewöhnlich führt er jetzt bei den sozial-
demokratischen Zeitungsschreibern den Namen des "redseligen Greises in
Friedrichsruh." Diesen Zeitungsschreibern sind alle Bemühungen, die Kapital
und Arbeit versöhnen wollen, nur ein Beweis, daß "die herrschenden Interessen-
richtungen den Glauben an ihr Recht mehr und mehr verlieren." Wenn in
einem nicht sozialdemokratischen, etwa in einem nationallibernlen Schriftstück
die Pflicht der ausgleichenden Gerechtigkeit für die bürgerliche Gesellschaft
betont und verlangt wird, daß das Bestehende so gestaltet werde, daß möglichst
viele eine Quelle der Zufriedenheit darin finden, so ist der Ausdruck "möglichst
viele" dem sozialdemokratischen Wühler eine "schlan erdachte Wendung"; ,,wenn
man glaubt, mit solcher ausgleichenden Gerechtigkeit das Fortschreiten und
den Sieg der erlösenden Sozialgercchtigkeit verhindern zu können, so irrt man."
Alle Leitartikel dieser Presse, gleichviel, was sie behandeln, endigen mit dein
Refrain: Es wird nicht eher besser, als bis der jetzige Staat ein Ende hat;
das nennt man "Beseitigung der heute herrschende" sozialen Einrichtungen."
Um ein Beispiel von vielen anzuführen: das "Berliner Volksblatt" vom
5. September brachte einen Aufsatz über die "Schnnpspest." Darnach sind
alle Maßregeln, die man zur Bekämpfung des Schnapstenfels auch treffen mag,
lächerlich oder thöricht; wir stehen vielmehr auch hier vor der sozialen Frage.
"Höhere Lebenshaltung der arbeitenden Bevölkerung (d. h. höhere Lohne und


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den Arbeiter ist der beste Weg, vorwärts zu kommen, der, der ihn dazu führt,
daß er in den Besitz der gesamten Produktionsmittel kommt." So wird die
Einziehung aller Privatvermögen genannt, und die Heuchelei, die nirgends
stärker ist, als bei den sozialdemokratischen Aposteln, behauptet mit dieser Ein¬
ziehung sehr maßvoll zu sein gegenüber dem Kommunismus der „unwissen¬
schaftlichen Anarchie/' Das Blatt belehrt uns weiter, daß „damit, d. h. mit
der Besitzergreifung der gesamten Produktionsmittel durch die ganze arbeitende
Gesellschaft, die Ausbeutung durch andre wegfällt, und damit wird auch die
moderne kapitalistische Tugend der Strebsamkeit ihren Boden verlieren, eine
Tugend, die nur zum Vorteil des einen geübt werden kaun, wenn der andre
darunter leidet. Diese Tugend kann eben nur eine kapitalistische sein." (Ber¬
liner Volksblatt vom 2. September.)

Damit hat denn die sozialdemokratische Weisheit das abgethan, was die
Menschheit bisher Fleiß und Arbeitsamkeit, Tüchtigkeit und Streben, vorwärts
zu kommen, nannte, der neue sozialdemokratische Staat braucht alle die Tugenden,
die ein solches Vorwärtskommen ermöglichen, nicht. Nebenbei sei bemerkt, daß,
wenn vom „Staat" bei unsern dentschen Sozialdemokraten die Rede ist, man
natürlich nicht etwa an einen deutschen Staat denken darf; die Sozialdemokratie
reißt alle Grenzen nieder, sie ist international. Darum ist der Sedantag für
sie „platter Kultus der Blut- und Eisenbarbarei, und darum auch ziemlich viel
Kultus ihres zum Glück jetzt zerschmetterten Vertreters," wie Bismarck einmal
zur Abwechslung genannt wird; für gewöhnlich führt er jetzt bei den sozial-
demokratischen Zeitungsschreibern den Namen des „redseligen Greises in
Friedrichsruh." Diesen Zeitungsschreibern sind alle Bemühungen, die Kapital
und Arbeit versöhnen wollen, nur ein Beweis, daß „die herrschenden Interessen-
richtungen den Glauben an ihr Recht mehr und mehr verlieren." Wenn in
einem nicht sozialdemokratischen, etwa in einem nationallibernlen Schriftstück
die Pflicht der ausgleichenden Gerechtigkeit für die bürgerliche Gesellschaft
betont und verlangt wird, daß das Bestehende so gestaltet werde, daß möglichst
viele eine Quelle der Zufriedenheit darin finden, so ist der Ausdruck „möglichst
viele" dem sozialdemokratischen Wühler eine „schlan erdachte Wendung"; ,,wenn
man glaubt, mit solcher ausgleichenden Gerechtigkeit das Fortschreiten und
den Sieg der erlösenden Sozialgercchtigkeit verhindern zu können, so irrt man."
Alle Leitartikel dieser Presse, gleichviel, was sie behandeln, endigen mit dein
Refrain: Es wird nicht eher besser, als bis der jetzige Staat ein Ende hat;
das nennt man „Beseitigung der heute herrschende» sozialen Einrichtungen."
Um ein Beispiel von vielen anzuführen: das „Berliner Volksblatt" vom
5. September brachte einen Aufsatz über die „Schnnpspest." Darnach sind
alle Maßregeln, die man zur Bekämpfung des Schnapstenfels auch treffen mag,
lächerlich oder thöricht; wir stehen vielmehr auch hier vor der sozialen Frage.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/108>, abgerufen am 25.08.2024.