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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Woher, wohin?

die Frage "Woher und wohin" mit Nachdruck auszuwerfen. Auf diese Frage,
glaube ich, geben diese Blätter eine Antwort."

Sie geben diese Antwort in dreifacher Weise, indem sie von dem Um¬
schwunge der öffentlichen Meinung und der Gesetzgebung erzählen, der sich in
den letzten zwanzig Jahren vollzogen hat, indem sie einen Überblick über die
Entwicklung des Wirtschaftslebens von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen¬
wart geben, und indem sie das Gesellschaftsideal zeigen, dem nach der Meinung
des Verfassers unsre Zeit zustrebt.

Die am 6. Oktober 1872 zur Eröffnung der Besprechung der sozialen
Frage in Eisenach gehaltene Rede, mit der die Sammlung beginnt, versetzt
uns in jene Zeit zurück, wo sich einige Männer, die mitten im lustigen
Gründer- und Sozialistentreiben den Ernst der Lage erfaßten, in dem Verein
für Sozialpolitik zum Kampfe gegen das herrschende Manchestertum zusammen¬
schlossen; eine erstorbene Zeit, die uns bellte schon fremdartig anmutet, wenn
uns ihr Gespenst in den Tiraden der Barth und Bamberger hin und wieder
einmal erscheint. Wie fremdartig wiederum die heute herrschende Richtung
dem damaligen Geschlecht, d. h. uns selbst, wie die meisten von uns damals waren,
vorgekommen sein muß, sehen wir aus einer Anmerkung zu Nummer 2: Die
soziale Frage und der preußische Staat. Der Verfasser erzählt da, wie dieser
Vortrag zwar in die Preußischen Jahrbücher (Band 33, Heft 4) aufgenommen
worden ist, wie aber der Herausgeber im Juli- und Septemberheft unter dem
Titel "Der Sozialismus und seine Gönner" seinen Anschauungen entgegen¬
getreten ist und ihn "vom Standpunkt der angeblich bedrohten höhern geistigen
und ästhetischen Kultur aus als thörichten Sozialisten abgekanzelt" hat. "Die
öffentliche Meinung -- sagt Schmoller in diesem Vortrage -- ist der Arbeiter¬
frage bei uns noch sehr wenig gerecht geworden. Hauptsächlich beeinflußt von
der Seite her, welcher die soziale Bewegung zunächst Unannehmlichkeiten für
den ruhigen, behaglichen Gang des Geschüftslebens macht, ist sie überwiegend
voreingenommen gegen den Arbeiterstalid; die Leute, von welchen die psycho¬
logisch ganz erklärliche Stimmung ausgeht, verhalten sich zur Arbeiterbewegung
gerade so, wie die Bureaukratie vor 1848 zu allen liberal konstitutionellen
Forderungen. Wer einem unbequem wird, den hält man gar zu leicht für
einen schlechten Kerl. Unsaubere Elemente giebt es überall. Um Beispiele
ist man nicht verlegen, und so kommt man dahin, Unglaubliches von der Roh¬
heit und Schlechtigkeit des Arbeiterstandes, von der Vortrefflichkeit seiner
Gegner zu reden." In der Abhandlung über die Natur des Arbeitsvertrages
und den Kontraktbruch erklärt Schmoller schon 1874 die erst seit vorigem
Jahre in vollem Umfange hervorgetretenen Übeln Folgen für unvermeidlich,
die die Sprengung -- man nannte das Neorgcmisirung -- der uralten Knapp¬
schaften durch die manchesterliche Gesetzgebung von 1851 bis 1865 in Preußen
nach sich zu ziehen begatt". "Das Ergebnis des zu unvermittelter Überganges


Woher, wohin?

die Frage „Woher und wohin" mit Nachdruck auszuwerfen. Auf diese Frage,
glaube ich, geben diese Blätter eine Antwort."

Sie geben diese Antwort in dreifacher Weise, indem sie von dem Um¬
schwunge der öffentlichen Meinung und der Gesetzgebung erzählen, der sich in
den letzten zwanzig Jahren vollzogen hat, indem sie einen Überblick über die
Entwicklung des Wirtschaftslebens von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen¬
wart geben, und indem sie das Gesellschaftsideal zeigen, dem nach der Meinung
des Verfassers unsre Zeit zustrebt.

Die am 6. Oktober 1872 zur Eröffnung der Besprechung der sozialen
Frage in Eisenach gehaltene Rede, mit der die Sammlung beginnt, versetzt
uns in jene Zeit zurück, wo sich einige Männer, die mitten im lustigen
Gründer- und Sozialistentreiben den Ernst der Lage erfaßten, in dem Verein
für Sozialpolitik zum Kampfe gegen das herrschende Manchestertum zusammen¬
schlossen; eine erstorbene Zeit, die uns bellte schon fremdartig anmutet, wenn
uns ihr Gespenst in den Tiraden der Barth und Bamberger hin und wieder
einmal erscheint. Wie fremdartig wiederum die heute herrschende Richtung
dem damaligen Geschlecht, d. h. uns selbst, wie die meisten von uns damals waren,
vorgekommen sein muß, sehen wir aus einer Anmerkung zu Nummer 2: Die
soziale Frage und der preußische Staat. Der Verfasser erzählt da, wie dieser
Vortrag zwar in die Preußischen Jahrbücher (Band 33, Heft 4) aufgenommen
worden ist, wie aber der Herausgeber im Juli- und Septemberheft unter dem
Titel „Der Sozialismus und seine Gönner" seinen Anschauungen entgegen¬
getreten ist und ihn „vom Standpunkt der angeblich bedrohten höhern geistigen
und ästhetischen Kultur aus als thörichten Sozialisten abgekanzelt" hat. „Die
öffentliche Meinung — sagt Schmoller in diesem Vortrage — ist der Arbeiter¬
frage bei uns noch sehr wenig gerecht geworden. Hauptsächlich beeinflußt von
der Seite her, welcher die soziale Bewegung zunächst Unannehmlichkeiten für
den ruhigen, behaglichen Gang des Geschüftslebens macht, ist sie überwiegend
voreingenommen gegen den Arbeiterstalid; die Leute, von welchen die psycho¬
logisch ganz erklärliche Stimmung ausgeht, verhalten sich zur Arbeiterbewegung
gerade so, wie die Bureaukratie vor 1848 zu allen liberal konstitutionellen
Forderungen. Wer einem unbequem wird, den hält man gar zu leicht für
einen schlechten Kerl. Unsaubere Elemente giebt es überall. Um Beispiele
ist man nicht verlegen, und so kommt man dahin, Unglaubliches von der Roh¬
heit und Schlechtigkeit des Arbeiterstandes, von der Vortrefflichkeit seiner
Gegner zu reden." In der Abhandlung über die Natur des Arbeitsvertrages
und den Kontraktbruch erklärt Schmoller schon 1874 die erst seit vorigem
Jahre in vollem Umfange hervorgetretenen Übeln Folgen für unvermeidlich,
die die Sprengung — man nannte das Neorgcmisirung — der uralten Knapp¬
schaften durch die manchesterliche Gesetzgebung von 1851 bis 1865 in Preußen
nach sich zu ziehen begatt». „Das Ergebnis des zu unvermittelter Überganges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/10>, abgerufen am 25.08.2024.