Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Litteratur getrieben worden. Er wollte wiedersehen, was ihm noch in freundlicher Erinnerung Nicht alles gefällt ihm in dem neuen Deutschland, und er hat dessen kein
Er hatte das Glück, im Reichstage die Haupthähne zu sehen, und auch einige In Varziu erkenne" sich Bismarck und der Verfasser als einstige Gegner ans In diesen Tagen thut es doppelt wohl, die Stimme eines Mannes zu ver¬ Verlaßt nicht Gott, so wird auch er Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur getrieben worden. Er wollte wiedersehen, was ihm noch in freundlicher Erinnerung Nicht alles gefällt ihm in dem neuen Deutschland, und er hat dessen kein
Er hatte das Glück, im Reichstage die Haupthähne zu sehen, und auch einige In Varziu erkenne» sich Bismarck und der Verfasser als einstige Gegner ans In diesen Tagen thut es doppelt wohl, die Stimme eines Mannes zu ver¬ Verlaßt nicht Gott, so wird auch er Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0536" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208473"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1657" prev="#ID_1656"> getrieben worden. Er wollte wiedersehen, was ihm noch in freundlicher Erinnerung<lb/> war. sich aber auch überzeugen, daß das Ziel, das den einstigen Hochverrätern<lb/> vorschwebte, auf audern Wegen wirklich erreicht worden sei. Er wollte „den Kaiser<lb/> sehen, von dein wir so manchmal gesungen, desgleichen den. Kanzler, den eisernen Mann,<lb/> des zerrissenen Landes Erretter"; und seine Frau schrieb ihm, er müsse bei der<lb/> Heinikehr den Marschall Moltke beschreiben, habe er den nicht gesehen, so sei das<lb/> ebenso, wie in Rom gewesen, zu sein, ohne den Papst gesehen zu, haben. Er nennt<lb/> sich gern einen Hinterwäldler, und zu der Bezeichnung Passer nicht allein die knorrigen<lb/> Verse, in denen er über Erlebnisse und Eindrücke berichtet, und gelegentlich recht<lb/> kräftige Ausdrücke; auch die ehrliche Gesinnung, die nüchterne Lebensansicht ent¬<lb/> spricht dem Bilde, das wir uns in, Europa von einem Hinterwäldler machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1658" next="#ID_1659"> Nicht alles gefällt ihm in dem neuen Deutschland, und er hat dessen kein<lb/> Hehl; doch verheimlicht er sich ebenso wenig, daß hie und da die Schuld wohl<lb/> uicht an deu neue» Zuständen, sondern an seinen alten Augen liege. Das Wider¬<lb/> wärtigste find ihm offenbar „die Drähnbnrtel mit flüssige« norddeutschen Gnaden,"<lb/> denn:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_55" type="poem"> <l> Es herrschen in Amerika<lb/> Die schwatzenden Advokaten,<lb/> Wer wills verdenken, daß ich drum<lb/> Borziehe die Männer der Thaten?</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1659" prev="#ID_1658"> Er hatte das Glück, im Reichstage die Haupthähne zu sehen, und auch einige<lb/> vou ihnen zu hören. Eugen Richter versicherte, die Rinderpest existire nur im<lb/> Kopfe des Kanzlers, der von der Sperre großen Gewinn habe, und Rickert klagte<lb/> über die Bedrückung der jüdischen Viehhändler, die die Bulle der deutschen Nation<lb/> bildeten; Meinrad hat ihnen kostenfrei die Titel, Neichsvberwaschfrau und Reichsober¬<lb/> lei ebend leder verlieh en.</p><lb/> <p xml:id="ID_1660"> In Varziu erkenne» sich Bismarck und der Verfasser als einstige Gegner ans<lb/> der Mensur, in Creisau führt der Verfasser ein Gespräch über amerikanische<lb/> Blumenzucht mit einem alten Herrn, den er für den Pastor des Ortes hält, der<lb/> sich aber schließlich als der große Feldherr zu erkennen giebt. In Berlin und<lb/> Frankfurt stellt er Vergleiche zwischen dein Einst und Jetzt dieser Städte an (daß<lb/> Berlin nur durch die Freisinnigen groß geworden ist, scheint ihm nicht verraten<lb/> worden zu sein!), und auf dem Niederwald vollends geht ihm das Herz auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1661"> In diesen Tagen thut es doppelt wohl, die Stimme eines Mannes zu ver¬<lb/> nehmen, der drüben eine gute politische Schule durchgemacht und sein National¬<lb/> gefühl so treu bewahrt hat, daß die Freisinnigen ihn wohl für ein „Reptil" hallen<lb/> werden. Ist doch der alte Burschenschafter so beschränkt, am Schlüsse den Deutschen<lb/> znznrufein</p><lb/> <quote> Verlaßt nicht Gott, so wird auch er<lb/> Sein deutsches Volk nicht verlassen!</quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0536]
Litteratur
getrieben worden. Er wollte wiedersehen, was ihm noch in freundlicher Erinnerung
war. sich aber auch überzeugen, daß das Ziel, das den einstigen Hochverrätern
vorschwebte, auf audern Wegen wirklich erreicht worden sei. Er wollte „den Kaiser
sehen, von dein wir so manchmal gesungen, desgleichen den. Kanzler, den eisernen Mann,
des zerrissenen Landes Erretter"; und seine Frau schrieb ihm, er müsse bei der
Heinikehr den Marschall Moltke beschreiben, habe er den nicht gesehen, so sei das
ebenso, wie in Rom gewesen, zu sein, ohne den Papst gesehen zu, haben. Er nennt
sich gern einen Hinterwäldler, und zu der Bezeichnung Passer nicht allein die knorrigen
Verse, in denen er über Erlebnisse und Eindrücke berichtet, und gelegentlich recht
kräftige Ausdrücke; auch die ehrliche Gesinnung, die nüchterne Lebensansicht ent¬
spricht dem Bilde, das wir uns in, Europa von einem Hinterwäldler machen.
Nicht alles gefällt ihm in dem neuen Deutschland, und er hat dessen kein
Hehl; doch verheimlicht er sich ebenso wenig, daß hie und da die Schuld wohl
uicht an deu neue» Zuständen, sondern an seinen alten Augen liege. Das Wider¬
wärtigste find ihm offenbar „die Drähnbnrtel mit flüssige« norddeutschen Gnaden,"
denn:
Es herrschen in Amerika
Die schwatzenden Advokaten,
Wer wills verdenken, daß ich drum
Borziehe die Männer der Thaten?
Er hatte das Glück, im Reichstage die Haupthähne zu sehen, und auch einige
vou ihnen zu hören. Eugen Richter versicherte, die Rinderpest existire nur im
Kopfe des Kanzlers, der von der Sperre großen Gewinn habe, und Rickert klagte
über die Bedrückung der jüdischen Viehhändler, die die Bulle der deutschen Nation
bildeten; Meinrad hat ihnen kostenfrei die Titel, Neichsvberwaschfrau und Reichsober¬
lei ebend leder verlieh en.
In Varziu erkenne» sich Bismarck und der Verfasser als einstige Gegner ans
der Mensur, in Creisau führt der Verfasser ein Gespräch über amerikanische
Blumenzucht mit einem alten Herrn, den er für den Pastor des Ortes hält, der
sich aber schließlich als der große Feldherr zu erkennen giebt. In Berlin und
Frankfurt stellt er Vergleiche zwischen dein Einst und Jetzt dieser Städte an (daß
Berlin nur durch die Freisinnigen groß geworden ist, scheint ihm nicht verraten
worden zu sein!), und auf dem Niederwald vollends geht ihm das Herz auf.
In diesen Tagen thut es doppelt wohl, die Stimme eines Mannes zu ver¬
nehmen, der drüben eine gute politische Schule durchgemacht und sein National¬
gefühl so treu bewahrt hat, daß die Freisinnigen ihn wohl für ein „Reptil" hallen
werden. Ist doch der alte Burschenschafter so beschränkt, am Schlüsse den Deutschen
znznrufein
Verlaßt nicht Gott, so wird auch er
Sein deutsches Volk nicht verlassen!
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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