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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

Nachteil mit Stillschweigen Übergängen, der in unsern Augen am schwersten
wiegt: die bei einer solchen Steuer eintretenden zahllosen Hinterziehungen und
die damit unvermeidlich verbundene Entsittlichung des staatlichen Bewußtseins.

Nun wird man vielleicht sagen: Der Staat muß doch leben. Woher soll
er denn nun die Mittel für seinen Bedarf nehmen?

Es kann offenbar nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, ein völlig ge¬
rechtes und zuträgliches Steuersystem auszumalen. Aber wir können uns doch
einige Andeutungen in dieser Richtung nicht versagen. So weit es sich darum
handelt, die direkten Steuern einträglicher zu machen, würden wir jede Erhöhung
der Besteuerung des laufenden Einkommens, zumal des kapitalistisch begründeten,
für besser halten, als eine Erbschaftssteuer, durch die bei der zufälligen Ver¬
anlassung eines Todesfalles den nächsten Hinterbliebenen ein Stück des ererbten
Kapitals genommen wird. Wir stimmen aber anch mit der einstmals von dem
Fürsten Bismarck geäußerten Ansicht überein, daß eine Erweiterung der in¬
direkten Steuern, von denen nicht gerade die notwendigsten Lebensbedürfnisse
getroffen werden, und bei denen deshalb jeder das Maß, in dein er sich der
Steuer unterwerfen will, selbst in der Hand hat, besser wirken, als hohe direkte
Steuern, deren völlig gerechte Verteilung doch in menschlichen Verhältnissen
eine Uinnöglichkeit ist. Welche Gegenstände für die Erhöhung der indirekte"
Steuern noch nutzbar gemacht werden könnten, soll hier nicht in weiteren Um¬
fange erörtert werden. Aber wir können doch nicht umhin, wenigstens auf
einen Gegenstand hinzuweisen. Das ist das Vier. Nächst dem Tabak ist das
Bier der bei weitem geeignetste Gegenstand der Besteuerung. Es wird in
ungeheuern Massen genossen und ist doch nichts andres, als ein Genußmittel.
Oder will man vielleicht behaupten, daß es heute schon ganz unmöglich ge¬
worden sei, mit Wasser seinen Durst zu stillen? Gleichwohl ist bei uus das
Bier bis auf den heutigen Tag nur von einer lächerlich niedrigen Steuer ge¬
troffen. Vor einigen Jahren hat man den Branntwein, diesen Labetruuk des
armen Mannes, erheblich höher besteuert. Das Bier, das Getränk der wohl¬
habenden Klassen, ist frei geblieben. Man sagt: Der Branntwein ist ein
schädliches Getränk, er zerrüttet die Gesundheit. Mag sein. Aber in der
Masse, wie das Bier vo" vielen getrunken wird, ist es auch sicherlich der
Gesundheit nicht förderlich. Auf unsern zahlreichen Festen, bei Volksversamm¬
lungen, Landpartien n. s. w. fließt das Bier in Strömen durch die Kehlen.
Es wäre interessant, festzustellen, wie viel z. B. jüngst bei dem Schützenfeste
in Berlin und bei dem Sängerfeste in Wien an Bier genossen worden ist.
Dazu kommt die Verschwendung der Zeit, der kostbaren Zeit, die an unsern
ständigen Biertischen jahraus jahrein, früh und spät, von Alt und Jung
versimpelt wird. In Deutschland wird jährlich etwa für eine Milliarde Mark
Bier getrunken. Mit einer Steuer, die den Preis des Bieres nur um ein
Zehntel erhöhte, würden also um hundert Millionen gewonnen werden. Wäre


Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

Nachteil mit Stillschweigen Übergängen, der in unsern Augen am schwersten
wiegt: die bei einer solchen Steuer eintretenden zahllosen Hinterziehungen und
die damit unvermeidlich verbundene Entsittlichung des staatlichen Bewußtseins.

Nun wird man vielleicht sagen: Der Staat muß doch leben. Woher soll
er denn nun die Mittel für seinen Bedarf nehmen?

Es kann offenbar nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, ein völlig ge¬
rechtes und zuträgliches Steuersystem auszumalen. Aber wir können uns doch
einige Andeutungen in dieser Richtung nicht versagen. So weit es sich darum
handelt, die direkten Steuern einträglicher zu machen, würden wir jede Erhöhung
der Besteuerung des laufenden Einkommens, zumal des kapitalistisch begründeten,
für besser halten, als eine Erbschaftssteuer, durch die bei der zufälligen Ver¬
anlassung eines Todesfalles den nächsten Hinterbliebenen ein Stück des ererbten
Kapitals genommen wird. Wir stimmen aber anch mit der einstmals von dem
Fürsten Bismarck geäußerten Ansicht überein, daß eine Erweiterung der in¬
direkten Steuern, von denen nicht gerade die notwendigsten Lebensbedürfnisse
getroffen werden, und bei denen deshalb jeder das Maß, in dein er sich der
Steuer unterwerfen will, selbst in der Hand hat, besser wirken, als hohe direkte
Steuern, deren völlig gerechte Verteilung doch in menschlichen Verhältnissen
eine Uinnöglichkeit ist. Welche Gegenstände für die Erhöhung der indirekte»
Steuern noch nutzbar gemacht werden könnten, soll hier nicht in weiteren Um¬
fange erörtert werden. Aber wir können doch nicht umhin, wenigstens auf
einen Gegenstand hinzuweisen. Das ist das Vier. Nächst dem Tabak ist das
Bier der bei weitem geeignetste Gegenstand der Besteuerung. Es wird in
ungeheuern Massen genossen und ist doch nichts andres, als ein Genußmittel.
Oder will man vielleicht behaupten, daß es heute schon ganz unmöglich ge¬
worden sei, mit Wasser seinen Durst zu stillen? Gleichwohl ist bei uus das
Bier bis auf den heutigen Tag nur von einer lächerlich niedrigen Steuer ge¬
troffen. Vor einigen Jahren hat man den Branntwein, diesen Labetruuk des
armen Mannes, erheblich höher besteuert. Das Bier, das Getränk der wohl¬
habenden Klassen, ist frei geblieben. Man sagt: Der Branntwein ist ein
schädliches Getränk, er zerrüttet die Gesundheit. Mag sein. Aber in der
Masse, wie das Bier vo» vielen getrunken wird, ist es auch sicherlich der
Gesundheit nicht förderlich. Auf unsern zahlreichen Festen, bei Volksversamm¬
lungen, Landpartien n. s. w. fließt das Bier in Strömen durch die Kehlen.
Es wäre interessant, festzustellen, wie viel z. B. jüngst bei dem Schützenfeste
in Berlin und bei dem Sängerfeste in Wien an Bier genossen worden ist.
Dazu kommt die Verschwendung der Zeit, der kostbaren Zeit, die an unsern
ständigen Biertischen jahraus jahrein, früh und spät, von Alt und Jung
versimpelt wird. In Deutschland wird jährlich etwa für eine Milliarde Mark
Bier getrunken. Mit einer Steuer, die den Preis des Bieres nur um ein
Zehntel erhöhte, würden also um hundert Millionen gewonnen werden. Wäre


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[0494] Die Erweiterung der Erbschaftssteuer Nachteil mit Stillschweigen Übergängen, der in unsern Augen am schwersten wiegt: die bei einer solchen Steuer eintretenden zahllosen Hinterziehungen und die damit unvermeidlich verbundene Entsittlichung des staatlichen Bewußtseins. Nun wird man vielleicht sagen: Der Staat muß doch leben. Woher soll er denn nun die Mittel für seinen Bedarf nehmen? Es kann offenbar nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, ein völlig ge¬ rechtes und zuträgliches Steuersystem auszumalen. Aber wir können uns doch einige Andeutungen in dieser Richtung nicht versagen. So weit es sich darum handelt, die direkten Steuern einträglicher zu machen, würden wir jede Erhöhung der Besteuerung des laufenden Einkommens, zumal des kapitalistisch begründeten, für besser halten, als eine Erbschaftssteuer, durch die bei der zufälligen Ver¬ anlassung eines Todesfalles den nächsten Hinterbliebenen ein Stück des ererbten Kapitals genommen wird. Wir stimmen aber anch mit der einstmals von dem Fürsten Bismarck geäußerten Ansicht überein, daß eine Erweiterung der in¬ direkten Steuern, von denen nicht gerade die notwendigsten Lebensbedürfnisse getroffen werden, und bei denen deshalb jeder das Maß, in dein er sich der Steuer unterwerfen will, selbst in der Hand hat, besser wirken, als hohe direkte Steuern, deren völlig gerechte Verteilung doch in menschlichen Verhältnissen eine Uinnöglichkeit ist. Welche Gegenstände für die Erhöhung der indirekte» Steuern noch nutzbar gemacht werden könnten, soll hier nicht in weiteren Um¬ fange erörtert werden. Aber wir können doch nicht umhin, wenigstens auf einen Gegenstand hinzuweisen. Das ist das Vier. Nächst dem Tabak ist das Bier der bei weitem geeignetste Gegenstand der Besteuerung. Es wird in ungeheuern Massen genossen und ist doch nichts andres, als ein Genußmittel. Oder will man vielleicht behaupten, daß es heute schon ganz unmöglich ge¬ worden sei, mit Wasser seinen Durst zu stillen? Gleichwohl ist bei uus das Bier bis auf den heutigen Tag nur von einer lächerlich niedrigen Steuer ge¬ troffen. Vor einigen Jahren hat man den Branntwein, diesen Labetruuk des armen Mannes, erheblich höher besteuert. Das Bier, das Getränk der wohl¬ habenden Klassen, ist frei geblieben. Man sagt: Der Branntwein ist ein schädliches Getränk, er zerrüttet die Gesundheit. Mag sein. Aber in der Masse, wie das Bier vo» vielen getrunken wird, ist es auch sicherlich der Gesundheit nicht förderlich. Auf unsern zahlreichen Festen, bei Volksversamm¬ lungen, Landpartien n. s. w. fließt das Bier in Strömen durch die Kehlen. Es wäre interessant, festzustellen, wie viel z. B. jüngst bei dem Schützenfeste in Berlin und bei dem Sängerfeste in Wien an Bier genossen worden ist. Dazu kommt die Verschwendung der Zeit, der kostbaren Zeit, die an unsern ständigen Biertischen jahraus jahrein, früh und spät, von Alt und Jung versimpelt wird. In Deutschland wird jährlich etwa für eine Milliarde Mark Bier getrunken. Mit einer Steuer, die den Preis des Bieres nur um ein Zehntel erhöhte, würden also um hundert Millionen gewonnen werden. Wäre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/494>, abgerufen am 25.07.2024.