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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Bettler und Landstreicher

Strafgesetzbuches). Wie will man diesen Zwang aber ausüben, wenn kein
Mittel besteht, den Unterstützten in der Gemeinde festzuhalte", und man mit
verschränkten Armen zusehen mich, wie der Arme zu einer Zeit, wo ihm gerade
keine Arbeit aufgetragen ist, in die Fremde zieht?

Und ähnliche Mängel finden sich dem gefunden und arbeitsfähigen Fan¬
lenzer gegenüber. 10 des Paßgesetzes vom 12. Oktober 1867 läßt die
Zwangspässe und Reiserouten bestehen. Infolge dessen sind noch jetzt die Ein¬
richtungen in Kraft, wonach fern von der Heimat festgenommene Personen die
Weisung erhalten, sich zur Vermeidung von Strafe auf einem bestimmten Wege
in ihre Heimat zu begeben und dort bei der Polizeibehörde zu melden. Der
Zweck dieser Einrichtung ist augenscheinlich der, die betreffende Person zu ver¬
anlassen, in dein heimischen Verhältnis Arbeit und Erwerb zu erlangen. Dieser
Zweck kaun aber nicht erreicht werden, so lange kein Mittel vorhanden ist, die
Vagabunden nach ihrer Nückmeldnng bei der Heimatsbehörde auch dort fest¬
zuhalten, und sie ohne weiteres sofort wieder in die Fremde ziehen. Es wäre
daher das beste, als Nebenstrafe für gewohnheitsmäßige Müssiggänger und
Landstreicher eine polizeiliche Aufsicht einzuführen, die sich von der schon jetzt
nach 39 des Reichsstrafgesetzbuches in Geltung befindlichen dadurch unter¬
schiede, daß nicht der Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt, sondern unter
genauerer Kontrolle geboten werden könnte. Eine derartige Freiheitsbeschränkung
wäre nicht annähernd so drückend, als die Unterbringung in ein Arbeitshaus.
Findet sich außerhalb des Bezirks, wo der Bestrafte eingesperrt ist, für ihn
lohnender Erwerb, so ließe sich durch seine Überweisung in den andern Bezirk
Abhilfe schaffen. Alle diese Maßregeln wären allerdings vorläufig nur in
großen Armenverbänden mit gehöriger Organisation der Gemeinde- und Armen¬
verwaltung möglich. Zu ihrer vollständigen Durchführung müßten die kleinen
städtischen und Landgemeinden zu großer" Armenverbänden verschmolzen werden,
was auch aus vielen ander" Gründen wünschenswert wäre.

Zum Schluß noch einiges über die Ausländer. Nach dein wiederholt
angeführten 362 kann der Ausländer, wenn gegen ihn auf Überweisung
erkannt ist, statt in ein Arbeitshaus gesteckt zu werden, aus dem Bundesgebiet
verwiesen werden. Wie es scheint, wird von dieser Erlaubnis regelmäßig
Gebrauch gemacht. Kehrt der ansgewieseue Ausländer in das Bundesgebiet
zurück, so wird er mit Haft ohne Arbeitszwang bestraft.

Die wegen Vettelns und Landstreichers ausgewiesenen Allsländer kehren
aber vielfach zu uns zurück, ein Zeichen, daß es ihnen im deutschen Reiche
besser gefällt, als im eignen Heimatsstaat. So schön nun auch Gastfreundschaft
zwischen Staaten und Völkern ist, den ausländischen Müßiggängern gegenüber
wäre es wohl angemessen, ihnen den Aufenthalt bei uus zu verleiden, und zwar
durch Einführung kurzer, aber empfindlicher (z. V. durch Dunkelhaft, Ent¬
ziehung warmer Kost und weichen Lagers verschärfter) Freiheitsstrafen.


Bettler und Landstreicher

Strafgesetzbuches). Wie will man diesen Zwang aber ausüben, wenn kein
Mittel besteht, den Unterstützten in der Gemeinde festzuhalte», und man mit
verschränkten Armen zusehen mich, wie der Arme zu einer Zeit, wo ihm gerade
keine Arbeit aufgetragen ist, in die Fremde zieht?

Und ähnliche Mängel finden sich dem gefunden und arbeitsfähigen Fan¬
lenzer gegenüber. 10 des Paßgesetzes vom 12. Oktober 1867 läßt die
Zwangspässe und Reiserouten bestehen. Infolge dessen sind noch jetzt die Ein¬
richtungen in Kraft, wonach fern von der Heimat festgenommene Personen die
Weisung erhalten, sich zur Vermeidung von Strafe auf einem bestimmten Wege
in ihre Heimat zu begeben und dort bei der Polizeibehörde zu melden. Der
Zweck dieser Einrichtung ist augenscheinlich der, die betreffende Person zu ver¬
anlassen, in dein heimischen Verhältnis Arbeit und Erwerb zu erlangen. Dieser
Zweck kaun aber nicht erreicht werden, so lange kein Mittel vorhanden ist, die
Vagabunden nach ihrer Nückmeldnng bei der Heimatsbehörde auch dort fest¬
zuhalten, und sie ohne weiteres sofort wieder in die Fremde ziehen. Es wäre
daher das beste, als Nebenstrafe für gewohnheitsmäßige Müssiggänger und
Landstreicher eine polizeiliche Aufsicht einzuführen, die sich von der schon jetzt
nach 39 des Reichsstrafgesetzbuches in Geltung befindlichen dadurch unter¬
schiede, daß nicht der Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt, sondern unter
genauerer Kontrolle geboten werden könnte. Eine derartige Freiheitsbeschränkung
wäre nicht annähernd so drückend, als die Unterbringung in ein Arbeitshaus.
Findet sich außerhalb des Bezirks, wo der Bestrafte eingesperrt ist, für ihn
lohnender Erwerb, so ließe sich durch seine Überweisung in den andern Bezirk
Abhilfe schaffen. Alle diese Maßregeln wären allerdings vorläufig nur in
großen Armenverbänden mit gehöriger Organisation der Gemeinde- und Armen¬
verwaltung möglich. Zu ihrer vollständigen Durchführung müßten die kleinen
städtischen und Landgemeinden zu großer» Armenverbänden verschmolzen werden,
was auch aus vielen ander» Gründen wünschenswert wäre.

Zum Schluß noch einiges über die Ausländer. Nach dein wiederholt
angeführten 362 kann der Ausländer, wenn gegen ihn auf Überweisung
erkannt ist, statt in ein Arbeitshaus gesteckt zu werden, aus dem Bundesgebiet
verwiesen werden. Wie es scheint, wird von dieser Erlaubnis regelmäßig
Gebrauch gemacht. Kehrt der ansgewieseue Ausländer in das Bundesgebiet
zurück, so wird er mit Haft ohne Arbeitszwang bestraft.

Die wegen Vettelns und Landstreichers ausgewiesenen Allsländer kehren
aber vielfach zu uns zurück, ein Zeichen, daß es ihnen im deutschen Reiche
besser gefällt, als im eignen Heimatsstaat. So schön nun auch Gastfreundschaft
zwischen Staaten und Völkern ist, den ausländischen Müßiggängern gegenüber
wäre es wohl angemessen, ihnen den Aufenthalt bei uus zu verleiden, und zwar
durch Einführung kurzer, aber empfindlicher (z. V. durch Dunkelhaft, Ent¬
ziehung warmer Kost und weichen Lagers verschärfter) Freiheitsstrafen.


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[0044] Bettler und Landstreicher Strafgesetzbuches). Wie will man diesen Zwang aber ausüben, wenn kein Mittel besteht, den Unterstützten in der Gemeinde festzuhalte», und man mit verschränkten Armen zusehen mich, wie der Arme zu einer Zeit, wo ihm gerade keine Arbeit aufgetragen ist, in die Fremde zieht? Und ähnliche Mängel finden sich dem gefunden und arbeitsfähigen Fan¬ lenzer gegenüber. 10 des Paßgesetzes vom 12. Oktober 1867 läßt die Zwangspässe und Reiserouten bestehen. Infolge dessen sind noch jetzt die Ein¬ richtungen in Kraft, wonach fern von der Heimat festgenommene Personen die Weisung erhalten, sich zur Vermeidung von Strafe auf einem bestimmten Wege in ihre Heimat zu begeben und dort bei der Polizeibehörde zu melden. Der Zweck dieser Einrichtung ist augenscheinlich der, die betreffende Person zu ver¬ anlassen, in dein heimischen Verhältnis Arbeit und Erwerb zu erlangen. Dieser Zweck kaun aber nicht erreicht werden, so lange kein Mittel vorhanden ist, die Vagabunden nach ihrer Nückmeldnng bei der Heimatsbehörde auch dort fest¬ zuhalten, und sie ohne weiteres sofort wieder in die Fremde ziehen. Es wäre daher das beste, als Nebenstrafe für gewohnheitsmäßige Müssiggänger und Landstreicher eine polizeiliche Aufsicht einzuführen, die sich von der schon jetzt nach 39 des Reichsstrafgesetzbuches in Geltung befindlichen dadurch unter¬ schiede, daß nicht der Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt, sondern unter genauerer Kontrolle geboten werden könnte. Eine derartige Freiheitsbeschränkung wäre nicht annähernd so drückend, als die Unterbringung in ein Arbeitshaus. Findet sich außerhalb des Bezirks, wo der Bestrafte eingesperrt ist, für ihn lohnender Erwerb, so ließe sich durch seine Überweisung in den andern Bezirk Abhilfe schaffen. Alle diese Maßregeln wären allerdings vorläufig nur in großen Armenverbänden mit gehöriger Organisation der Gemeinde- und Armen¬ verwaltung möglich. Zu ihrer vollständigen Durchführung müßten die kleinen städtischen und Landgemeinden zu großer» Armenverbänden verschmolzen werden, was auch aus vielen ander» Gründen wünschenswert wäre. Zum Schluß noch einiges über die Ausländer. Nach dein wiederholt angeführten 362 kann der Ausländer, wenn gegen ihn auf Überweisung erkannt ist, statt in ein Arbeitshaus gesteckt zu werden, aus dem Bundesgebiet verwiesen werden. Wie es scheint, wird von dieser Erlaubnis regelmäßig Gebrauch gemacht. Kehrt der ansgewieseue Ausländer in das Bundesgebiet zurück, so wird er mit Haft ohne Arbeitszwang bestraft. Die wegen Vettelns und Landstreichers ausgewiesenen Allsländer kehren aber vielfach zu uns zurück, ein Zeichen, daß es ihnen im deutschen Reiche besser gefällt, als im eignen Heimatsstaat. So schön nun auch Gastfreundschaft zwischen Staaten und Völkern ist, den ausländischen Müßiggängern gegenüber wäre es wohl angemessen, ihnen den Aufenthalt bei uus zu verleiden, und zwar durch Einführung kurzer, aber empfindlicher (z. V. durch Dunkelhaft, Ent¬ ziehung warmer Kost und weichen Lagers verschärfter) Freiheitsstrafen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/44>, abgerufen am 25.07.2024.