Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Litteratur Homer. Ilias. Erster bis neunter Gesang. Von Herault Grimm. Berlin, W. Hertz, 1390 Grimms neuestes Buch ist ein "Werk der Dankbarkeit" für den Genuß, den Der Vorwurf, den wir hier gegen Herman Grimm erheben, wird hart er¬ Man muß nach diesen Proben zweifeln, ob Grimm den Wortlaut und die Litteratur Homer. Ilias. Erster bis neunter Gesang. Von Herault Grimm. Berlin, W. Hertz, 1390 Grimms neuestes Buch ist ein „Werk der Dankbarkeit" für den Genuß, den Der Vorwurf, den wir hier gegen Herman Grimm erheben, wird hart er¬ Man muß nach diesen Proben zweifeln, ob Grimm den Wortlaut und die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208280"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> Homer. Ilias. Erster bis neunter Gesang. Von Herault Grimm. Berlin,<lb/> W. Hertz, 1390</head><lb/> <p xml:id="ID_986"> Grimms neuestes Buch ist ein „Werk der Dankbarkeit" für den Genuß, den<lb/> ihm Homers Gedichte seit langen Jahren bereitet haben. Er verehrt in ihnen<lb/> „das in mühsamer (!) Lebensarbeit hergestellte Gesiige eines einheitlichen Kunst¬<lb/> werkes," Und seinen Dank wünscht er abzustatten, in der vorliegenden, fast auf<lb/> jeder Seite durch ästhetische Betrachtungen und Erwägungen unterbrochner Inhalts¬<lb/> angabe der ersten neun Gesänge der Ilias, bald in ungebundner Rede, bald in<lb/> einem wunderlichen Versmaß, das „frei nach dem gesprochnen Wortacceute" zu<lb/> lesen ist. Die 288 Seiten, die der Band umfaßt, reichen also nur eben hin, die<lb/> ersten nenn Gesänge der Ilias zu besprechen. Und Grimm wird es dabei wohl<lb/> nicht bewenden lassen. Der Leser ahnt, welche Folge von Bänden ihm bevorsteht,<lb/> wenn alle achtundvierzig Gesänge der Ilias und der Odyssee in dieser Weise<lb/> behandelt werden sollen. Und Leser wird das Buch wohl finden. Denn schon<lb/> machen die Schriftgelehrten der großen Berliner Tagesblätter dem Verfasser ihre<lb/> Verbeugung. Aber für welche Leser ist das Buch eigentlich geschrieben? Für wen<lb/> bestimmt? Grimm betont in einem kurzen Vorwort, seine Aufzeichnungen stünden<lb/> außer Zusammenhang mit der Homerforschuug; die Gesinnung, „aus der heraus<lb/> er schreibe," soll auf gleiche Stufe etwa gestellt werden, wie die Aufzeichnungen<lb/> des armen Mannes im Tockenburg. Aber der Vergleich zwischen Herman Grimm<lb/> und dem armen Mann im Tockenburg will nicht recht stimmen. Dieser schrieb<lb/> seine Betrachtungen über Shakespeare lediglich zur eignen Frende nieder und legte<lb/> sie dann in ein Fach seines Schreibtisches, und seine Absicht war es gar nicht,<lb/> seine Urteile durch den Druck andern zugänglich zu machen. Hat nicht auch Herman<lb/> Grimm ein Fach in seinem Schreibtische, wo dieses „Werk der Dankbarkeit" eine<lb/> Zeit lang hätte liegen bleiben können?</p><lb/> <p xml:id="ID_987"> Der Vorwurf, den wir hier gegen Herman Grimm erheben, wird hart er¬<lb/> scheinen. Aber es ist anch wirklich hart, sich dnrch sein Buch hindurcharbeiten zu<lb/> müssen. Gleich die erste Seite bietet in der Übertragung der ersten sieben Verse<lb/> der Ilias fast nnr schiefes und Falsches. „Göttin, singe den Zorn des Achill,<lb/> den verderblichen," beginnt Grimm. Moi,v «5^x, hö«, hebt Homer an und nimmt<lb/> im zweiten Verse das ^.?ol,v durch das c>6Xou.lo^v nachdrücklich wieder auf; selbst<lb/> Boß, der bei seiner Übersetzung doch viel mehr gebunden war als Grimm, giebt<lb/> die Schönheit des Anfanges treuer wieder- „Singe den Zorn, o Göttin, des<lb/> Peleiaden Achilleus, Ihn, der entbrannt, den Achaiern unnennbaren Jammer er¬<lb/> regte." Nicht mit der Göttin, sondern mit dem Zorn des Peliden hebt Homer<lb/> zu singen an! — „Der den Achäern unendliches Unheil brachte," fährt Grimm fort;<lb/> Homer hat «>-s--x, Voß recht gut „unnennbaren Jammer"; das Unheil war<lb/> W gar kein „unendliches," es findet «och im Gedichte selbst sei» Eude! — Homer<lb/> erwähnt die i^V-lzwue Hu/vis, Grimm spricht vou „kräftigen Seelen." Er hätte<lb/> nicht das sondern das-r^«v in so-lpxwe wiedergeben sollen, also etwa „hehr."<lb/> Was soll man sich nnter „kräftigen" Seelen denken? — Und „Also wollte es<lb/> Zeus, seitdem die beiden Feindlich einander gegenübertraten," übersetzt Grimm das<lb/> homerische 8' s^-i^o fiou^. Hier ist das „also" falsch und das „seitdem"<lb/> falsch bezogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_988" next="#ID_989"> Man muß nach diesen Proben zweifeln, ob Grimm den Wortlaut und die<lb/> Satzverbindung bei Homer auch immer recht verstanden hat. Die Mißverständnisse<lb/> sind zuweilen/drollig° das Weib, das den kleinen Astyanax auf dem Arme trägt,<lb/> heißt in der Ilias zunächst Amme, dann ganz allgemein Dienerin, später wiederum</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Litteratur
Homer. Ilias. Erster bis neunter Gesang. Von Herault Grimm. Berlin,
W. Hertz, 1390
Grimms neuestes Buch ist ein „Werk der Dankbarkeit" für den Genuß, den
ihm Homers Gedichte seit langen Jahren bereitet haben. Er verehrt in ihnen
„das in mühsamer (!) Lebensarbeit hergestellte Gesiige eines einheitlichen Kunst¬
werkes," Und seinen Dank wünscht er abzustatten, in der vorliegenden, fast auf
jeder Seite durch ästhetische Betrachtungen und Erwägungen unterbrochner Inhalts¬
angabe der ersten neun Gesänge der Ilias, bald in ungebundner Rede, bald in
einem wunderlichen Versmaß, das „frei nach dem gesprochnen Wortacceute" zu
lesen ist. Die 288 Seiten, die der Band umfaßt, reichen also nur eben hin, die
ersten nenn Gesänge der Ilias zu besprechen. Und Grimm wird es dabei wohl
nicht bewenden lassen. Der Leser ahnt, welche Folge von Bänden ihm bevorsteht,
wenn alle achtundvierzig Gesänge der Ilias und der Odyssee in dieser Weise
behandelt werden sollen. Und Leser wird das Buch wohl finden. Denn schon
machen die Schriftgelehrten der großen Berliner Tagesblätter dem Verfasser ihre
Verbeugung. Aber für welche Leser ist das Buch eigentlich geschrieben? Für wen
bestimmt? Grimm betont in einem kurzen Vorwort, seine Aufzeichnungen stünden
außer Zusammenhang mit der Homerforschuug; die Gesinnung, „aus der heraus
er schreibe," soll auf gleiche Stufe etwa gestellt werden, wie die Aufzeichnungen
des armen Mannes im Tockenburg. Aber der Vergleich zwischen Herman Grimm
und dem armen Mann im Tockenburg will nicht recht stimmen. Dieser schrieb
seine Betrachtungen über Shakespeare lediglich zur eignen Frende nieder und legte
sie dann in ein Fach seines Schreibtisches, und seine Absicht war es gar nicht,
seine Urteile durch den Druck andern zugänglich zu machen. Hat nicht auch Herman
Grimm ein Fach in seinem Schreibtische, wo dieses „Werk der Dankbarkeit" eine
Zeit lang hätte liegen bleiben können?
Der Vorwurf, den wir hier gegen Herman Grimm erheben, wird hart er¬
scheinen. Aber es ist anch wirklich hart, sich dnrch sein Buch hindurcharbeiten zu
müssen. Gleich die erste Seite bietet in der Übertragung der ersten sieben Verse
der Ilias fast nnr schiefes und Falsches. „Göttin, singe den Zorn des Achill,
den verderblichen," beginnt Grimm. Moi,v «5^x, hö«, hebt Homer an und nimmt
im zweiten Verse das ^.?ol,v durch das c>6Xou.lo^v nachdrücklich wieder auf; selbst
Boß, der bei seiner Übersetzung doch viel mehr gebunden war als Grimm, giebt
die Schönheit des Anfanges treuer wieder- „Singe den Zorn, o Göttin, des
Peleiaden Achilleus, Ihn, der entbrannt, den Achaiern unnennbaren Jammer er¬
regte." Nicht mit der Göttin, sondern mit dem Zorn des Peliden hebt Homer
zu singen an! — „Der den Achäern unendliches Unheil brachte," fährt Grimm fort;
Homer hat «>-s--x, Voß recht gut „unnennbaren Jammer"; das Unheil war
W gar kein „unendliches," es findet «och im Gedichte selbst sei» Eude! — Homer
erwähnt die i^V-lzwue Hu/vis, Grimm spricht vou „kräftigen Seelen." Er hätte
nicht das sondern das-r^«v in so-lpxwe wiedergeben sollen, also etwa „hehr."
Was soll man sich nnter „kräftigen" Seelen denken? — Und „Also wollte es
Zeus, seitdem die beiden Feindlich einander gegenübertraten," übersetzt Grimm das
homerische 8' s^-i^o fiou^. Hier ist das „also" falsch und das „seitdem"
falsch bezogen.
Man muß nach diesen Proben zweifeln, ob Grimm den Wortlaut und die
Satzverbindung bei Homer auch immer recht verstanden hat. Die Mißverständnisse
sind zuweilen/drollig° das Weib, das den kleinen Astyanax auf dem Arme trägt,
heißt in der Ilias zunächst Amme, dann ganz allgemein Dienerin, später wiederum
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |