Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Viktor sehr nachzuweisen, so versucht Hehn (ob beeinflußt durch einige dahin gehende An¬ Viktor sehr nachzuweisen, so versucht Hehn (ob beeinflußt durch einige dahin gehende An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208257"/> <fw type="header" place="top"> Viktor sehr</fw><lb/> <p xml:id="ID_882" prev="#ID_881"> nachzuweisen, so versucht Hehn (ob beeinflußt durch einige dahin gehende An¬<lb/> deutungen Karl Ritters, wissen wir nicht) umgekehrt eine Geschichte der Natur<lb/> zu schreiben, wie sie sich unter der Hand des Menschen verändert und schließlich<lb/> ihr gegenwärtiges Gepräge empfangen hat. In der That sind Italien wie<lb/> Griechenland in ihrem jetzigen Zustande „unendlich weit von dem Punkte ent¬<lb/> fernt, auf den sie in der Urzeit von der Natur allein gestellt waren. Fast<lb/> alles, was den Reisenden, der von Norden über die Alpen steigt, wie eine neue<lb/> Welt anmutet, die Plastik und stille Schönheit der Vegetation, die Charakter-<lb/> fvrmen der Landschaft, der Tierwelt, ja selbst der geologischen Struktur, insofern<lb/> diese erst später durch Umwandlung der organischen Decke hervortrat und dann<lb/> die Einwirkung des Lichtes und der atmosphärischen Agentien erfuhr, sind ein<lb/> in langen Perioden durch vielfache Bildung und Umbildung vermitteltes Produkt<lb/> der Zivilisation. Jeder Blick aus der Höhe auf ein Stück Erde in Italien<lb/> ist ein Blick ans frühere und spätere Jahrhunderte seiner Geschichte. Die Natur<lb/> gab Polhöhe, Formation des Bodens, geographische Lage; das übrige ist ein<lb/> Werk der bauenden, säenden, einführenden, ausrottenden, ordnenden, veredelnden<lb/> Kultur." In Griechenland hatte die Orientalisirung der Natur schon in<lb/> homerischer Zeit begonnen. Italien war noch während des peloponnesischen<lb/> Krieges, ja in der alexandrinischen Zeit ein relativ nordisches, hauptsächlich<lb/> Getreide, Vieh und Holz prodnzirendes Land, und nnr allmählich durch Ver¬<lb/> mittlung griechischer Kolonisten, dann asiatischer Sklaven und Freigelassenen<lb/> trat an die Stelle ungeheurer Wälder und Wildnisse mit ihren Holz- und Pech-,<lb/> Jagd- und Weidcertrügen eine Waldung orientalischer Obstbäume. Aus diesem<lb/> merkwürdigen Natur- und Kulturprozeß wollen wir nun beispielsweise ein paar<lb/> Einzelheiten herausgreifen. Keine von den Pflanzen, die Mignon in dem<lb/> Sehnsuch-tsliedc „Kennst du das Land" als dessen vorzüglichste Symbole vor<lb/> Augen schweben, ist ihm ursprlluglich eigen. Die Zitrone, indes nur die dick¬<lb/> schalige süßliche Art (italienisch eoäro), war von den Römern im vierten Jahr¬<lb/> hundert akklimatisirt, während die uns vorzugsweise geläufige herbe Art (Amors)<lb/> erst in deu Kreuzzügen, die Orange erst im zehnten Jahrhundert eingeführt worden<lb/> ist. Lorbeer und Myrte sind im Gefolge religiöser Kulte aus dem Orient ein¬<lb/> gewandert. Auf gleichem Wege kam, ein Symbol des iranischen Lichtdieustes,<lb/> die Cypresse, die noch Plinius einen fremden Baum nennt, dessen Akklimati¬<lb/> sation in Italien schwierig gewesen sei, heute nebst der Pinie die eigentliche<lb/> Charaktergestalt unter den Bäumen Italiens. „Wo die Cypresse beginnt,<lb/> sagt Hehn, da beginnt das Reich der Formen, der ideale Stil, da ist klassischer<lb/> Boden." Der heute an allen Küsten des Mittelmeeres massenhaft wuchernde<lb/> Opnntienknktus gar und die Aloe — durch die Friedrich Preller mit Vorliebe<lb/> seine homerischen Landschaften charakterisirt — kamen erst als eine Gabe<lb/> Amerikas. Und so ist auch jene Pappel, die bei uns schlechthin die italienische<lb/> heißt, eigentlich an den Ufern des Mississippi zu Hause.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Viktor sehr
nachzuweisen, so versucht Hehn (ob beeinflußt durch einige dahin gehende An¬
deutungen Karl Ritters, wissen wir nicht) umgekehrt eine Geschichte der Natur
zu schreiben, wie sie sich unter der Hand des Menschen verändert und schließlich
ihr gegenwärtiges Gepräge empfangen hat. In der That sind Italien wie
Griechenland in ihrem jetzigen Zustande „unendlich weit von dem Punkte ent¬
fernt, auf den sie in der Urzeit von der Natur allein gestellt waren. Fast
alles, was den Reisenden, der von Norden über die Alpen steigt, wie eine neue
Welt anmutet, die Plastik und stille Schönheit der Vegetation, die Charakter-
fvrmen der Landschaft, der Tierwelt, ja selbst der geologischen Struktur, insofern
diese erst später durch Umwandlung der organischen Decke hervortrat und dann
die Einwirkung des Lichtes und der atmosphärischen Agentien erfuhr, sind ein
in langen Perioden durch vielfache Bildung und Umbildung vermitteltes Produkt
der Zivilisation. Jeder Blick aus der Höhe auf ein Stück Erde in Italien
ist ein Blick ans frühere und spätere Jahrhunderte seiner Geschichte. Die Natur
gab Polhöhe, Formation des Bodens, geographische Lage; das übrige ist ein
Werk der bauenden, säenden, einführenden, ausrottenden, ordnenden, veredelnden
Kultur." In Griechenland hatte die Orientalisirung der Natur schon in
homerischer Zeit begonnen. Italien war noch während des peloponnesischen
Krieges, ja in der alexandrinischen Zeit ein relativ nordisches, hauptsächlich
Getreide, Vieh und Holz prodnzirendes Land, und nnr allmählich durch Ver¬
mittlung griechischer Kolonisten, dann asiatischer Sklaven und Freigelassenen
trat an die Stelle ungeheurer Wälder und Wildnisse mit ihren Holz- und Pech-,
Jagd- und Weidcertrügen eine Waldung orientalischer Obstbäume. Aus diesem
merkwürdigen Natur- und Kulturprozeß wollen wir nun beispielsweise ein paar
Einzelheiten herausgreifen. Keine von den Pflanzen, die Mignon in dem
Sehnsuch-tsliedc „Kennst du das Land" als dessen vorzüglichste Symbole vor
Augen schweben, ist ihm ursprlluglich eigen. Die Zitrone, indes nur die dick¬
schalige süßliche Art (italienisch eoäro), war von den Römern im vierten Jahr¬
hundert akklimatisirt, während die uns vorzugsweise geläufige herbe Art (Amors)
erst in deu Kreuzzügen, die Orange erst im zehnten Jahrhundert eingeführt worden
ist. Lorbeer und Myrte sind im Gefolge religiöser Kulte aus dem Orient ein¬
gewandert. Auf gleichem Wege kam, ein Symbol des iranischen Lichtdieustes,
die Cypresse, die noch Plinius einen fremden Baum nennt, dessen Akklimati¬
sation in Italien schwierig gewesen sei, heute nebst der Pinie die eigentliche
Charaktergestalt unter den Bäumen Italiens. „Wo die Cypresse beginnt,
sagt Hehn, da beginnt das Reich der Formen, der ideale Stil, da ist klassischer
Boden." Der heute an allen Küsten des Mittelmeeres massenhaft wuchernde
Opnntienknktus gar und die Aloe — durch die Friedrich Preller mit Vorliebe
seine homerischen Landschaften charakterisirt — kamen erst als eine Gabe
Amerikas. Und so ist auch jene Pappel, die bei uns schlechthin die italienische
heißt, eigentlich an den Ufern des Mississippi zu Hause.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |