Arbeit in Vorschlag bringen, statt sie von dein freien Verständnis der Einzelnen zu erwarten, Sie reden unverblümt von einer "geistigen Gewalt" (xouvoir sxiriwol), die in maßgebender Weise das Ganze der wissenschaftlichen Arbeit zu leiten hätte; genauer gesprochen sollte diese oberste Autorität feststellein 1. welche Fragen als erschöpft, nutzlos oder unzeitgemäß von der Tages¬ ordnung der wissenschaftlichen Erörterungen abzusetzen sind, 2. welche Unter¬ suchungen vorzunehmen sind, und 3, bis zu welchem Grade der Genauigkeit die Forschung in jedem Falle fortzuführen ist. Auf den EinWurf, ob eine derartige "Negierung der Geister" nicht zu Mißbräuchen fuhren würde, dient die Antwort, daß die Fehler, die dabei gemacht werden könnten, doch durch die Vorteile, die eine solche Regierung der Menschheit bieten würde, aufgewogen seien; der EinWurf beruhe auf demselben Grunde wie der parlamentarische Doktrinarismus, der mit seinem Grundsatze des Gleichgewichtes der Gewalten schließlich dahin käme, jeden leitenden Einfluß auszuschließen.
Es ist überflüssig, auf diese Seltsamkeiten weiter einzugehen; bemerkens¬ wert ist es nur, daß eine so durch und dnrch moderne Geistesrichtung, wie es der Positivismus ist, hier auf Prinzipien zurückgreift (auf den Absolutismus), die man längst für überwunden und abgethan gehalten hat.
Viktor L)ehr G. Dehio von
le Säkularrechnnng des Kalenders will, daß wir noch im neun¬ zehnten Jahrhundert stehen; in Wahrheit hat schon das zwanzigste begonnen. Durchaus ein Mann des neunzehnten war der, dessen Gedächtnis die folgenden Seiten gelten.
Aber noch in einem besondern und zwar zwiefältigeu Sinne haben die Freunde Hehns bei der Nachricht vou dein am 21. März dieses Jahres erfolgten Tode des Siebenundsiebzigjährigeu zu sich sprechen dürfen: der letzten Einer eines scheidenden Geschlechts!
Einmal, nach seiner geistigen Ahnenfvlge, gehörte Viktor Hehn in jene Reihe, die mit Winckelmann beginnend in Goethe ihren Gipfel erreichte. Ihm war das klassische Altertum nicht bloß ein mehr oder minder interessanter Gegenstand der Spezialforschung, sondern eine lebende und lebenspendende
Viktor Hehn
Arbeit in Vorschlag bringen, statt sie von dein freien Verständnis der Einzelnen zu erwarten, Sie reden unverblümt von einer „geistigen Gewalt" (xouvoir sxiriwol), die in maßgebender Weise das Ganze der wissenschaftlichen Arbeit zu leiten hätte; genauer gesprochen sollte diese oberste Autorität feststellein 1. welche Fragen als erschöpft, nutzlos oder unzeitgemäß von der Tages¬ ordnung der wissenschaftlichen Erörterungen abzusetzen sind, 2. welche Unter¬ suchungen vorzunehmen sind, und 3, bis zu welchem Grade der Genauigkeit die Forschung in jedem Falle fortzuführen ist. Auf den EinWurf, ob eine derartige „Negierung der Geister" nicht zu Mißbräuchen fuhren würde, dient die Antwort, daß die Fehler, die dabei gemacht werden könnten, doch durch die Vorteile, die eine solche Regierung der Menschheit bieten würde, aufgewogen seien; der EinWurf beruhe auf demselben Grunde wie der parlamentarische Doktrinarismus, der mit seinem Grundsatze des Gleichgewichtes der Gewalten schließlich dahin käme, jeden leitenden Einfluß auszuschließen.
Es ist überflüssig, auf diese Seltsamkeiten weiter einzugehen; bemerkens¬ wert ist es nur, daß eine so durch und dnrch moderne Geistesrichtung, wie es der Positivismus ist, hier auf Prinzipien zurückgreift (auf den Absolutismus), die man längst für überwunden und abgethan gehalten hat.
Viktor L)ehr G. Dehio von
le Säkularrechnnng des Kalenders will, daß wir noch im neun¬ zehnten Jahrhundert stehen; in Wahrheit hat schon das zwanzigste begonnen. Durchaus ein Mann des neunzehnten war der, dessen Gedächtnis die folgenden Seiten gelten.
Aber noch in einem besondern und zwar zwiefältigeu Sinne haben die Freunde Hehns bei der Nachricht vou dein am 21. März dieses Jahres erfolgten Tode des Siebenundsiebzigjährigeu zu sich sprechen dürfen: der letzten Einer eines scheidenden Geschlechts!
Einmal, nach seiner geistigen Ahnenfvlge, gehörte Viktor Hehn in jene Reihe, die mit Winckelmann beginnend in Goethe ihren Gipfel erreichte. Ihm war das klassische Altertum nicht bloß ein mehr oder minder interessanter Gegenstand der Spezialforschung, sondern eine lebende und lebenspendende
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Arbeit in Vorschlag bringen, statt sie von dein freien Verständnis der Einzelnen
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sxiriwol), die in maßgebender Weise das Ganze der wissenschaftlichen Arbeit
zu leiten hätte; genauer gesprochen sollte diese oberste Autorität feststellein
1. welche Fragen als erschöpft, nutzlos oder unzeitgemäß von der Tages¬
ordnung der wissenschaftlichen Erörterungen abzusetzen sind, 2. welche Unter¬
suchungen vorzunehmen sind, und 3, bis zu welchem Grade der Genauigkeit
die Forschung in jedem Falle fortzuführen ist. Auf den EinWurf, ob eine
derartige „Negierung der Geister" nicht zu Mißbräuchen fuhren würde, dient
die Antwort, daß die Fehler, die dabei gemacht werden könnten, doch durch
die Vorteile, die eine solche Regierung der Menschheit bieten würde, aufgewogen
seien; der EinWurf beruhe auf demselben Grunde wie der parlamentarische
Doktrinarismus, der mit seinem Grundsatze des Gleichgewichtes der Gewalten
schließlich dahin käme, jeden leitenden Einfluß auszuschließen.
Es ist überflüssig, auf diese Seltsamkeiten weiter einzugehen; bemerkens¬
wert ist es nur, daß eine so durch und dnrch moderne Geistesrichtung, wie es
der Positivismus ist, hier auf Prinzipien zurückgreift (auf den Absolutismus),
die man längst für überwunden und abgethan gehalten hat.
Viktor L)ehr
G. Dehio von
le Säkularrechnnng des Kalenders will, daß wir noch im neun¬
zehnten Jahrhundert stehen; in Wahrheit hat schon das zwanzigste
begonnen. Durchaus ein Mann des neunzehnten war der, dessen
Gedächtnis die folgenden Seiten gelten.
Aber noch in einem besondern und zwar zwiefältigeu Sinne
haben die Freunde Hehns bei der Nachricht vou dein am 21. März dieses
Jahres erfolgten Tode des Siebenundsiebzigjährigeu zu sich sprechen dürfen:
der letzten Einer eines scheidenden Geschlechts!
Einmal, nach seiner geistigen Ahnenfvlge, gehörte Viktor Hehn in jene
Reihe, die mit Winckelmann beginnend in Goethe ihren Gipfel erreichte. Ihm
war das klassische Altertum nicht bloß ein mehr oder minder interessanter
Gegenstand der Spezialforschung, sondern eine lebende und lebenspendende
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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/312>, abgerufen am 22.01.2025.
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