Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.?le Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee diese seien Werte, die einem ganz andern Maßstabe der Schätzung unterliegen, Nur selten ist zwar noch das überlieferte Vorurteil anzutreffen, nach dein In der That bedarf es keines Beweises, daß die oben bezeichnete antike Die von Comte aufgestellte sogenannte "positive Philosophie" hat als Von Erscheinungen der deutschen Litteratur nenne ich nnr Harnacks "Naturforschung
und Naturphilosophie" (Bortrag), Leipzig, 1336. ?le Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee diese seien Werte, die einem ganz andern Maßstabe der Schätzung unterliegen, Nur selten ist zwar noch das überlieferte Vorurteil anzutreffen, nach dein In der That bedarf es keines Beweises, daß die oben bezeichnete antike Die von Comte aufgestellte sogenannte „positive Philosophie" hat als Von Erscheinungen der deutschen Litteratur nenne ich nnr Harnacks „Naturforschung
und Naturphilosophie" (Bortrag), Leipzig, 1336. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208239"/> <fw type="header" place="top"> ?le Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee</fw><lb/> <p xml:id="ID_834" prev="#ID_833"> diese seien Werte, die einem ganz andern Maßstabe der Schätzung unterliegen,<lb/> als die Erzeugnisse aller andern Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_835"> Nur selten ist zwar noch das überlieferte Vorurteil anzutreffen, nach dein<lb/> die geistigen Arbeiter eine höhere Kaste bilden, der gegenüber alle übrigen<lb/> Sterblichen eine „gemeine" Masse bedeuten im Sinne des Spruches: Oäi vro-<lb/> ümuin vrügns se g,ro6o; desto fester wurzelt jedoch die Überzeugung, daß die<lb/> geistige und besonders die wissenschaftliche Arbeit nur auf dem rein idealen<lb/> Interesse an der Wahrheit beruhen dürfe und sich nicht durch die Rücksicht<lb/> auf Erreichung irgend eines greifbaren Nutzens leiten zu lassen habe, denn nur<lb/> so werde sie erfolgreich sein, und die Nutzanwendung werde der Einsicht, wie<lb/> die Belohnung der Tugend, von selbst folgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_836"> In der That bedarf es keines Beweises, daß die oben bezeichnete antike<lb/> Auffassung des Gelehrtenbcrufes unhaltbar ist. Ein rein geistiges Leben zu<lb/> führen ist unmöglich, da der Mensch (nach dein passenden Worte Schopen¬<lb/> hauers) nicht ein bloßer Engelskopf mit Flügeln ist; nur auf Grund bestimmter<lb/> gesellschaftlicher Einrichtungen, nach denen einige Menschen die Sorge für<lb/> die materiellen Bedürfnisse der andern übernehmen, kann unter Umständen der<lb/> Einzelne in den Stand gesetzt werden, sich einer that- und sorgenlosen Beschaulich¬<lb/> keit zu widmen. Derartige Einrichtungen hatte in der That das Altertum<lb/> in der Sklaverei, das Mittelalter im Klosterwesen, und die Neuzeit hat sie in<lb/> der Arbeitsteilung, durch die die wissenschaftliche Thätigkeit als eine besondre<lb/> Berufsart gegründet worden ist. Weniger selbstverständlich, ja geradezu be¬<lb/> denklich dürfte es jedoch erscheinen, wenn nicht nur der Forscher als ein allen<lb/> übrigen Gliedern der Gesellschaft nicht über-, sondern nebengeordnetes Glied<lb/> in deren Gefüge eingereiht werden soll, sondern wenn man auch seiner Thätig¬<lb/> keit Richtung und Ziel von denselben Gesichtspunkten aus anweisen will, die<lb/> für die Beurteilung der auf die Hervorbringung materieller Güter gerichteten<lb/> Arbeit maßgebend sind. Und doch ist dieser Versuch gemacht worden, und<lb/> zwar von dem französischen Philosophen Comte und seiner Schule.</p><lb/> <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Die von Comte aufgestellte sogenannte „positive Philosophie" hat als<lb/> philosophisches Lehrgebäude betrachtet uur eine geringe Bedeutung und deshalb<lb/> bei den Fachleuten mit Recht wenig Beachtung gefunden; aber das Eigenartige<lb/> der Anschauungen Comtes spricht sich nicht sowohl in seinen theoretischen Lehr¬<lb/> sätzen aus, es liegt vielmehr in der Art, wie er die Aufgabe und das Ziel<lb/> aller Wissenschaft bestimmt; der „Positivismus" ist nicht eine Theorie, er be¬<lb/> zeichnet ein Programm, und nicht nur ein Philosoph, sondern anch jeder<lb/> Einzelfvrscher auf irgend einem Gebiete kann Positivist sein, wie denn auch<lb/> der positivistische Gedanke von verschiednen Seiten mehr oder weniger unab¬<lb/> hängig von Comte ausgesprochen worden ist.") Indem ich von vornherein</p><lb/> <note xml:id="FID_27" place="foot"> Von Erscheinungen der deutschen Litteratur nenne ich nnr Harnacks „Naturforschung<lb/> und Naturphilosophie" (Bortrag), Leipzig, 1336.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0302]
?le Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee
diese seien Werte, die einem ganz andern Maßstabe der Schätzung unterliegen,
als die Erzeugnisse aller andern Arbeit.
Nur selten ist zwar noch das überlieferte Vorurteil anzutreffen, nach dein
die geistigen Arbeiter eine höhere Kaste bilden, der gegenüber alle übrigen
Sterblichen eine „gemeine" Masse bedeuten im Sinne des Spruches: Oäi vro-
ümuin vrügns se g,ro6o; desto fester wurzelt jedoch die Überzeugung, daß die
geistige und besonders die wissenschaftliche Arbeit nur auf dem rein idealen
Interesse an der Wahrheit beruhen dürfe und sich nicht durch die Rücksicht
auf Erreichung irgend eines greifbaren Nutzens leiten zu lassen habe, denn nur
so werde sie erfolgreich sein, und die Nutzanwendung werde der Einsicht, wie
die Belohnung der Tugend, von selbst folgen.
In der That bedarf es keines Beweises, daß die oben bezeichnete antike
Auffassung des Gelehrtenbcrufes unhaltbar ist. Ein rein geistiges Leben zu
führen ist unmöglich, da der Mensch (nach dein passenden Worte Schopen¬
hauers) nicht ein bloßer Engelskopf mit Flügeln ist; nur auf Grund bestimmter
gesellschaftlicher Einrichtungen, nach denen einige Menschen die Sorge für
die materiellen Bedürfnisse der andern übernehmen, kann unter Umständen der
Einzelne in den Stand gesetzt werden, sich einer that- und sorgenlosen Beschaulich¬
keit zu widmen. Derartige Einrichtungen hatte in der That das Altertum
in der Sklaverei, das Mittelalter im Klosterwesen, und die Neuzeit hat sie in
der Arbeitsteilung, durch die die wissenschaftliche Thätigkeit als eine besondre
Berufsart gegründet worden ist. Weniger selbstverständlich, ja geradezu be¬
denklich dürfte es jedoch erscheinen, wenn nicht nur der Forscher als ein allen
übrigen Gliedern der Gesellschaft nicht über-, sondern nebengeordnetes Glied
in deren Gefüge eingereiht werden soll, sondern wenn man auch seiner Thätig¬
keit Richtung und Ziel von denselben Gesichtspunkten aus anweisen will, die
für die Beurteilung der auf die Hervorbringung materieller Güter gerichteten
Arbeit maßgebend sind. Und doch ist dieser Versuch gemacht worden, und
zwar von dem französischen Philosophen Comte und seiner Schule.
Die von Comte aufgestellte sogenannte „positive Philosophie" hat als
philosophisches Lehrgebäude betrachtet uur eine geringe Bedeutung und deshalb
bei den Fachleuten mit Recht wenig Beachtung gefunden; aber das Eigenartige
der Anschauungen Comtes spricht sich nicht sowohl in seinen theoretischen Lehr¬
sätzen aus, es liegt vielmehr in der Art, wie er die Aufgabe und das Ziel
aller Wissenschaft bestimmt; der „Positivismus" ist nicht eine Theorie, er be¬
zeichnet ein Programm, und nicht nur ein Philosoph, sondern anch jeder
Einzelfvrscher auf irgend einem Gebiete kann Positivist sein, wie denn auch
der positivistische Gedanke von verschiednen Seiten mehr oder weniger unab¬
hängig von Comte ausgesprochen worden ist.") Indem ich von vornherein
Von Erscheinungen der deutschen Litteratur nenne ich nnr Harnacks „Naturforschung
und Naturphilosophie" (Bortrag), Leipzig, 1336.
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