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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Ingeiidjahren der Socialdemokratie

den ihnen znkoniinende" Platz und reichlichen Lohn. Staat und Kirche da¬
gegen haben hier durchaus keine Stätte. Der Kultus, den der Urheber des
Systems will, gilt einzig und allein den diesseitigen Mächten, die dem
Menschenwohle dienen, der Natur, der Schönheit, der Liebe ". dergl. Aller¬
dings soll niemand in seinem Glanben und dessen Bethätigung beeinträchtigt
Werden, und Fourier leugnet in seine" Schriften kaum irgendwo die Lehren
der Kirche von den göttlichen Dingen, es ist aber für jeden scharfblickender
"ffenbar, das; es für' ihn nichts Überirdisches geben kann. Zu Gunsten des
heutigen Staates oder vielmehr der bestehenden Staatsgewalten macht Fourier
mancherlei ausdrückliche Vorbehalte, aber alle leitenden Gedanken seines ^ozin-
lismus zielen uns den Zweck hin, jede Art von politischer Bildung und Glie¬
derung überflüssig zu machen. In der Fourieristischen Genossenschaft wird
>"ehe beherrscht und regiert, hier giebt es uur unbeschränkte Selbstbestimmung
der Einzelnen, der verschiednen Gruppen, denen sie durch freie Wahl ange¬
höre". ,,"d schließlich der ganzen Phalanx. Für die Beziehungen der einzelnen
Gemeinden zu einander gilt kein andres Recht und Gesetz als die freie Über¬
einkunft, etwaige Streitfragen, die sie selbst nicht zu schlichten vermögen, werden
durch Dritte schiedsrichterlich beigelegt, und eine Strafgewalt ist so gut wie
überflüssig bei einer öffentliche" Ordnung, die sich der Natur der Menschen
""d Dinge willig unterwirft und anpaßt, statt ihr wie die Zivilisation - ein
Wort, das bei Fourier stets einen verächtlichen. wenigstens ironischen Beige¬
schmack hat -- tausendfältig Gewalt anzuthun. Der gesunde Naturtrieb, den
"Mu gewähren läßt, ersetzt bei Fourier Moral. Gesetz und Polizei.

Gleichwohl ergreift der soziale Reformator jede Gelegenheit, um den
heutigen Machthabern zu versichern, daß sie von der Verwirklichung seiner
Pläne nur Vorteile ernten können. Namentlich müssen sich dadurch die ^tnats-
winnhmen erheblich steigern, da die gewaltige Bereicherung der die neue
Methode befolgenden Völker eine verhältnismäßige Verstärkung ihrer Steuer¬
est zur Folge haben muß. Durch Eröffnung solcher erfreulichen Aussichten
sowie durch nachdrückliche Kundgebungen seiner Überzeugung, das; alle revo¬
lutionären Mittel und Wege zur Verbesserung des Loses der Menschheit ent¬
schieden zu verwerfen seien', hoffte er die französische oder auch eine andre
Regierung, so weit zu gewinnen, das; sie zur Gründung eines ersten Phalau-
Pre ein' paar Millionen Franks vorschieße. Da der Versuch zweifellos ge¬
nügen mußte, so war nichts mehr erforderlich. Das Folgende thaten die in
"">ner weitern und immer weitern Kreisen zu Nachahmung und Wettbewerb
""^regten Nachbarn.

Das ist der Fouriersche Sozialismus. Er giebt ebenso zu mancherlei
Zweifeln an der Richtigkeit seiner Poraussetzungen und Folgerungen als zum""edel" über seine Phantastereien Anlaß, hat aber doch seine hohe Bedeutung
zuvörderst dadurch, daß er das Prinzip der Assoziativ" an die spitze aller


Ans den Ingeiidjahren der Socialdemokratie

den ihnen znkoniinende» Platz und reichlichen Lohn. Staat und Kirche da¬
gegen haben hier durchaus keine Stätte. Der Kultus, den der Urheber des
Systems will, gilt einzig und allein den diesseitigen Mächten, die dem
Menschenwohle dienen, der Natur, der Schönheit, der Liebe ». dergl. Aller¬
dings soll niemand in seinem Glanben und dessen Bethätigung beeinträchtigt
Werden, und Fourier leugnet in seine» Schriften kaum irgendwo die Lehren
der Kirche von den göttlichen Dingen, es ist aber für jeden scharfblickender
"ffenbar, das; es für' ihn nichts Überirdisches geben kann. Zu Gunsten des
heutigen Staates oder vielmehr der bestehenden Staatsgewalten macht Fourier
mancherlei ausdrückliche Vorbehalte, aber alle leitenden Gedanken seines ^ozin-
lismus zielen uns den Zweck hin, jede Art von politischer Bildung und Glie¬
derung überflüssig zu machen. In der Fourieristischen Genossenschaft wird
>"ehe beherrscht und regiert, hier giebt es uur unbeschränkte Selbstbestimmung
der Einzelnen, der verschiednen Gruppen, denen sie durch freie Wahl ange¬
höre». ,,„d schließlich der ganzen Phalanx. Für die Beziehungen der einzelnen
Gemeinden zu einander gilt kein andres Recht und Gesetz als die freie Über¬
einkunft, etwaige Streitfragen, die sie selbst nicht zu schlichten vermögen, werden
durch Dritte schiedsrichterlich beigelegt, und eine Strafgewalt ist so gut wie
überflüssig bei einer öffentliche« Ordnung, die sich der Natur der Menschen
"»d Dinge willig unterwirft und anpaßt, statt ihr wie die Zivilisation - ein
Wort, das bei Fourier stets einen verächtlichen. wenigstens ironischen Beige¬
schmack hat — tausendfältig Gewalt anzuthun. Der gesunde Naturtrieb, den
"Mu gewähren läßt, ersetzt bei Fourier Moral. Gesetz und Polizei.

Gleichwohl ergreift der soziale Reformator jede Gelegenheit, um den
heutigen Machthabern zu versichern, daß sie von der Verwirklichung seiner
Pläne nur Vorteile ernten können. Namentlich müssen sich dadurch die ^tnats-
winnhmen erheblich steigern, da die gewaltige Bereicherung der die neue
Methode befolgenden Völker eine verhältnismäßige Verstärkung ihrer Steuer¬
est zur Folge haben muß. Durch Eröffnung solcher erfreulichen Aussichten
sowie durch nachdrückliche Kundgebungen seiner Überzeugung, das; alle revo¬
lutionären Mittel und Wege zur Verbesserung des Loses der Menschheit ent¬
schieden zu verwerfen seien', hoffte er die französische oder auch eine andre
Regierung, so weit zu gewinnen, das; sie zur Gründung eines ersten Phalau-
Pre ein' paar Millionen Franks vorschieße. Da der Versuch zweifellos ge¬
nügen mußte, so war nichts mehr erforderlich. Das Folgende thaten die in
"">ner weitern und immer weitern Kreisen zu Nachahmung und Wettbewerb
""^regten Nachbarn.

Das ist der Fouriersche Sozialismus. Er giebt ebenso zu mancherlei
Zweifeln an der Richtigkeit seiner Poraussetzungen und Folgerungen als zum"«edel» über seine Phantastereien Anlaß, hat aber doch seine hohe Bedeutung
zuvörderst dadurch, daß er das Prinzip der Assoziativ» an die spitze aller


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[0077] Ans den Ingeiidjahren der Socialdemokratie den ihnen znkoniinende» Platz und reichlichen Lohn. Staat und Kirche da¬ gegen haben hier durchaus keine Stätte. Der Kultus, den der Urheber des Systems will, gilt einzig und allein den diesseitigen Mächten, die dem Menschenwohle dienen, der Natur, der Schönheit, der Liebe ». dergl. Aller¬ dings soll niemand in seinem Glanben und dessen Bethätigung beeinträchtigt Werden, und Fourier leugnet in seine» Schriften kaum irgendwo die Lehren der Kirche von den göttlichen Dingen, es ist aber für jeden scharfblickender "ffenbar, das; es für' ihn nichts Überirdisches geben kann. Zu Gunsten des heutigen Staates oder vielmehr der bestehenden Staatsgewalten macht Fourier mancherlei ausdrückliche Vorbehalte, aber alle leitenden Gedanken seines ^ozin- lismus zielen uns den Zweck hin, jede Art von politischer Bildung und Glie¬ derung überflüssig zu machen. In der Fourieristischen Genossenschaft wird >"ehe beherrscht und regiert, hier giebt es uur unbeschränkte Selbstbestimmung der Einzelnen, der verschiednen Gruppen, denen sie durch freie Wahl ange¬ höre». ,,„d schließlich der ganzen Phalanx. Für die Beziehungen der einzelnen Gemeinden zu einander gilt kein andres Recht und Gesetz als die freie Über¬ einkunft, etwaige Streitfragen, die sie selbst nicht zu schlichten vermögen, werden durch Dritte schiedsrichterlich beigelegt, und eine Strafgewalt ist so gut wie überflüssig bei einer öffentliche« Ordnung, die sich der Natur der Menschen "»d Dinge willig unterwirft und anpaßt, statt ihr wie die Zivilisation - ein Wort, das bei Fourier stets einen verächtlichen. wenigstens ironischen Beige¬ schmack hat — tausendfältig Gewalt anzuthun. Der gesunde Naturtrieb, den "Mu gewähren läßt, ersetzt bei Fourier Moral. Gesetz und Polizei. Gleichwohl ergreift der soziale Reformator jede Gelegenheit, um den heutigen Machthabern zu versichern, daß sie von der Verwirklichung seiner Pläne nur Vorteile ernten können. Namentlich müssen sich dadurch die ^tnats- winnhmen erheblich steigern, da die gewaltige Bereicherung der die neue Methode befolgenden Völker eine verhältnismäßige Verstärkung ihrer Steuer¬ est zur Folge haben muß. Durch Eröffnung solcher erfreulichen Aussichten sowie durch nachdrückliche Kundgebungen seiner Überzeugung, das; alle revo¬ lutionären Mittel und Wege zur Verbesserung des Loses der Menschheit ent¬ schieden zu verwerfen seien', hoffte er die französische oder auch eine andre Regierung, so weit zu gewinnen, das; sie zur Gründung eines ersten Phalau- Pre ein' paar Millionen Franks vorschieße. Da der Versuch zweifellos ge¬ nügen mußte, so war nichts mehr erforderlich. Das Folgende thaten die in "">ner weitern und immer weitern Kreisen zu Nachahmung und Wettbewerb ""^regten Nachbarn. Das ist der Fouriersche Sozialismus. Er giebt ebenso zu mancherlei Zweifeln an der Richtigkeit seiner Poraussetzungen und Folgerungen als zum"«edel» über seine Phantastereien Anlaß, hat aber doch seine hohe Bedeutung zuvörderst dadurch, daß er das Prinzip der Assoziativ» an die spitze aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/77>, abgerufen am 02.10.2024.