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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Körpers, III, !x!7.) Wir möchte" dem staatssozialistischen Gewerbebetrieb nicht
das Wort reden. Aber was hindert uns, jeden für sich, zur christlichen Auf¬
fassung der gewerblichen Arbeit als einer Bernfsübnng im Dienste des Ge¬
meinwohls zurückzukehren und auf das Jagen nach der höchsten Rentabilität
zu verzichten? Unzählige Auswüchse des Erwerbslebens würden dadurch abge¬
schnitten werden, und gelangte die erneute alte Auffassung zur Herrschaft im
Volke, so würden dadurch sehr viele jener Kanäle verschlossen werde", durch
die Fabrikanten von Schundwaren und listige Spekulanten den Arbeitsverdienst
ehrlicher fleißiger Leute in ihre eignen Taschen leiten.

Vor wenigen Jahren noch durfte niemand vom Organisire" der Produktion
sprechen, wen" er nicht entweder als Svzialdemokrnt oder als ein ganz ver¬
kommener reaktionärer Zünftler gebrandmarkt werden wollte. Heikle sind wir
schon el" wenig weiter. Man hält das bisherige Prvduziren frisch drauf los
und ins Blaue hinein, wobei niemand weiß, ob und wo er seine Ware absetzen
wird, ob ihm nicht morgen el" Konkurrent i" Nordamerika oder Indien sein
Brot wegschnappen, ob nicht übermorgen eine neue Erfindung sei" ganzes
Gewerbe vernichten wird, man hält es nicht mehr für eine" idealen Zustand.
Einige Übersicht gewährt den, Geschäftsmanne schon die ge"a"e geographische
Kenntnis aller Länder des Erdkreises und die bequeme Verbindung mit ihnen.
Es kann nicht mehr vorkommen, daß jemand eine Schiffsladung Schlittschuhe
nach Brasilien schickt, was vor zweihundert Jahre" el" Holländer zu thun noch
dumm genug war. Und wenn eine Brauerei ihre Produktion plötzlich ver¬
vierfachen will, so erkundigt man sich, ehe man Aktien zeichnet, wo das mehr
gebraute Bier abgesetzt werden soll. Wer Anno 1872 so vorsichtig gehandelt
hätte, würde als ein hinter seiner Zeit zurückgebliebener Spießbürger über die
Achsel angesehen worden sein. Seit einige" Jahren haben sich ferner industrielle
Trusts, Ringe und Kartelle gebildet zur Regelung der Produktion; sie bestimmen
die Menge Ware, die jeder Teilnehmer zu erzeugen hat, sie beherrschen das
Absatzgebiet, indem sie die außerhalb des Ringes stehenden vernichten, dann,
voll keinem Konkurrenten mehr beschränkt, den Preis mache" und jedem Mit¬
gliede lohnenden Absatz sichern. Wir lassen dahingestellt, ob diese Art von
Organisation die richtige und dem Gemeinwohl förderlichste sei (verkaufen doch
unsre Eisenkartelle ihr Eisen im Auslande billiger als daheim); jedenfalls muß
den ander" billig bleibe", was jene" recht ist, und wenn sich die Handwerker¬
zünfte in ähnlicher Weise verbinden, so kann und darf es die Großindustrie
nicht hindern. Möge" doch alle Kräfte frei spielen! Aber sie müsse" wirklich
frei sei", und das sind sie nicht, so lange nnr die Großindustrielle" und Gro߬
händler sehend, die Kleinen aber aus Unkenntnis des Marktes mit verbundne"
Augen spielen. Daher ist es sehr da"ke"swert, daß die Regierung el" Arbeits-
"achweiseamt einrichten will. Dies wird sich hoffentlich z" eitlen alle gewerbliche"
Angelegenheiten nmfasseiide" Nachrichtenamt ailsmachse", vo" dem die Innungen


Die soziale Frage

Körpers, III, !x!7.) Wir möchte» dem staatssozialistischen Gewerbebetrieb nicht
das Wort reden. Aber was hindert uns, jeden für sich, zur christlichen Auf¬
fassung der gewerblichen Arbeit als einer Bernfsübnng im Dienste des Ge¬
meinwohls zurückzukehren und auf das Jagen nach der höchsten Rentabilität
zu verzichten? Unzählige Auswüchse des Erwerbslebens würden dadurch abge¬
schnitten werden, und gelangte die erneute alte Auffassung zur Herrschaft im
Volke, so würden dadurch sehr viele jener Kanäle verschlossen werde», durch
die Fabrikanten von Schundwaren und listige Spekulanten den Arbeitsverdienst
ehrlicher fleißiger Leute in ihre eignen Taschen leiten.

Vor wenigen Jahren noch durfte niemand vom Organisire» der Produktion
sprechen, wen» er nicht entweder als Svzialdemokrnt oder als ein ganz ver¬
kommener reaktionärer Zünftler gebrandmarkt werden wollte. Heikle sind wir
schon el» wenig weiter. Man hält das bisherige Prvduziren frisch drauf los
und ins Blaue hinein, wobei niemand weiß, ob und wo er seine Ware absetzen
wird, ob ihm nicht morgen el» Konkurrent i» Nordamerika oder Indien sein
Brot wegschnappen, ob nicht übermorgen eine neue Erfindung sei» ganzes
Gewerbe vernichten wird, man hält es nicht mehr für eine» idealen Zustand.
Einige Übersicht gewährt den, Geschäftsmanne schon die ge»a»e geographische
Kenntnis aller Länder des Erdkreises und die bequeme Verbindung mit ihnen.
Es kann nicht mehr vorkommen, daß jemand eine Schiffsladung Schlittschuhe
nach Brasilien schickt, was vor zweihundert Jahre» el» Holländer zu thun noch
dumm genug war. Und wenn eine Brauerei ihre Produktion plötzlich ver¬
vierfachen will, so erkundigt man sich, ehe man Aktien zeichnet, wo das mehr
gebraute Bier abgesetzt werden soll. Wer Anno 1872 so vorsichtig gehandelt
hätte, würde als ein hinter seiner Zeit zurückgebliebener Spießbürger über die
Achsel angesehen worden sein. Seit einige» Jahren haben sich ferner industrielle
Trusts, Ringe und Kartelle gebildet zur Regelung der Produktion; sie bestimmen
die Menge Ware, die jeder Teilnehmer zu erzeugen hat, sie beherrschen das
Absatzgebiet, indem sie die außerhalb des Ringes stehenden vernichten, dann,
voll keinem Konkurrenten mehr beschränkt, den Preis mache» und jedem Mit¬
gliede lohnenden Absatz sichern. Wir lassen dahingestellt, ob diese Art von
Organisation die richtige und dem Gemeinwohl förderlichste sei (verkaufen doch
unsre Eisenkartelle ihr Eisen im Auslande billiger als daheim); jedenfalls muß
den ander» billig bleibe», was jene» recht ist, und wenn sich die Handwerker¬
zünfte in ähnlicher Weise verbinden, so kann und darf es die Großindustrie
nicht hindern. Möge» doch alle Kräfte frei spielen! Aber sie müsse» wirklich
frei sei», und das sind sie nicht, so lange nnr die Großindustrielle» und Gro߬
händler sehend, die Kleinen aber aus Unkenntnis des Marktes mit verbundne»
Augen spielen. Daher ist es sehr da»ke»swert, daß die Regierung el» Arbeits-
»achweiseamt einrichten will. Dies wird sich hoffentlich z» eitlen alle gewerbliche»
Angelegenheiten nmfasseiide» Nachrichtenamt ailsmachse», vo» dem die Innungen


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[0610] Die soziale Frage Körpers, III, !x!7.) Wir möchte» dem staatssozialistischen Gewerbebetrieb nicht das Wort reden. Aber was hindert uns, jeden für sich, zur christlichen Auf¬ fassung der gewerblichen Arbeit als einer Bernfsübnng im Dienste des Ge¬ meinwohls zurückzukehren und auf das Jagen nach der höchsten Rentabilität zu verzichten? Unzählige Auswüchse des Erwerbslebens würden dadurch abge¬ schnitten werden, und gelangte die erneute alte Auffassung zur Herrschaft im Volke, so würden dadurch sehr viele jener Kanäle verschlossen werde», durch die Fabrikanten von Schundwaren und listige Spekulanten den Arbeitsverdienst ehrlicher fleißiger Leute in ihre eignen Taschen leiten. Vor wenigen Jahren noch durfte niemand vom Organisire» der Produktion sprechen, wen» er nicht entweder als Svzialdemokrnt oder als ein ganz ver¬ kommener reaktionärer Zünftler gebrandmarkt werden wollte. Heikle sind wir schon el» wenig weiter. Man hält das bisherige Prvduziren frisch drauf los und ins Blaue hinein, wobei niemand weiß, ob und wo er seine Ware absetzen wird, ob ihm nicht morgen el» Konkurrent i» Nordamerika oder Indien sein Brot wegschnappen, ob nicht übermorgen eine neue Erfindung sei» ganzes Gewerbe vernichten wird, man hält es nicht mehr für eine» idealen Zustand. Einige Übersicht gewährt den, Geschäftsmanne schon die ge»a»e geographische Kenntnis aller Länder des Erdkreises und die bequeme Verbindung mit ihnen. Es kann nicht mehr vorkommen, daß jemand eine Schiffsladung Schlittschuhe nach Brasilien schickt, was vor zweihundert Jahre» el» Holländer zu thun noch dumm genug war. Und wenn eine Brauerei ihre Produktion plötzlich ver¬ vierfachen will, so erkundigt man sich, ehe man Aktien zeichnet, wo das mehr gebraute Bier abgesetzt werden soll. Wer Anno 1872 so vorsichtig gehandelt hätte, würde als ein hinter seiner Zeit zurückgebliebener Spießbürger über die Achsel angesehen worden sein. Seit einige» Jahren haben sich ferner industrielle Trusts, Ringe und Kartelle gebildet zur Regelung der Produktion; sie bestimmen die Menge Ware, die jeder Teilnehmer zu erzeugen hat, sie beherrschen das Absatzgebiet, indem sie die außerhalb des Ringes stehenden vernichten, dann, voll keinem Konkurrenten mehr beschränkt, den Preis mache» und jedem Mit¬ gliede lohnenden Absatz sichern. Wir lassen dahingestellt, ob diese Art von Organisation die richtige und dem Gemeinwohl förderlichste sei (verkaufen doch unsre Eisenkartelle ihr Eisen im Auslande billiger als daheim); jedenfalls muß den ander» billig bleibe», was jene» recht ist, und wenn sich die Handwerker¬ zünfte in ähnlicher Weise verbinden, so kann und darf es die Großindustrie nicht hindern. Möge» doch alle Kräfte frei spielen! Aber sie müsse» wirklich frei sei», und das sind sie nicht, so lange nnr die Großindustrielle» und Gro߬ händler sehend, die Kleinen aber aus Unkenntnis des Marktes mit verbundne» Augen spielen. Daher ist es sehr da»ke»swert, daß die Regierung el» Arbeits- »achweiseamt einrichten will. Dies wird sich hoffentlich z» eitlen alle gewerbliche» Angelegenheiten nmfasseiide» Nachrichtenamt ailsmachse», vo» dem die Innungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/610>, abgerufen am 22.07.2024.