Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.ganz folgerichtig, daß der deutsche Christ nicht etwa Glauben und Gewissen ganz folgerichtig, daß der deutsche Christ nicht etwa Glauben und Gewissen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207354"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_160" prev="#ID_159" next="#ID_161"> ganz folgerichtig, daß der deutsche Christ nicht etwa Glauben und Gewissen<lb/> über die oder jene staatliche Forderung setzt, sondern stets, gegebnen Falles,<lb/> die Forderungen der einen Macht, und zwar einer fremden jenseits unsrer<lb/> Grenzen liegenden Macht, grundsätzlich über die andern Forderungen, die der<lb/> eigne Staat an seine Bürger stellt und stellen muß. Es ist ganz folgerichtig,<lb/> wenn nun die Eneyklika verlangt, daß die Christen der Kirche (dem Staate,<lb/> der so real ist wie der Staat Venedig) mehr unterthänig sein sollen als dein<lb/> eignen Staate. „Wenn wir nun schon dem Gemeinwesen, worin nur geboren<lb/> und erzogen worden, in besondrer Liebe zugethan zu sein von Natur verpflichtet<lb/> sind, um wie viel mehr müssen dann nicht die Christen in Liebe und Treue<lb/> der Kirche ^dem andern Staates ergeben sein!" Dieser Gedanke wird immer<lb/> wieder in verschiedenen Wendungen vorgebracht und dein katholischen Gemüt<lb/> fest eingerammt; er soll eben den Grund für alles katholische Denken und<lb/> Leben abgeben. „Wenn wir unser irdisches Vaterland lieben müssen, das uns<lb/> unser sterbliches Leben verliehen hat, dann schulden wir offenbar weit innigere<lb/> Ache der Kirche, der nur das Lebe» verdanken, das kein Ende haben soll."<lb/> Natürlich kommt in diese»: Zusammenhange auch der bei der Hierarchie zu<lb/> allen Zeiten beliebteste Ausspruch des Petrus zum Vorschein, daß man Gott<lb/> >nein' gehorche» müsse als de» Meuscheu. „Es ist fürwahr billig, heißt es in<lb/> der Eneyklika, daß uns unsre Pflichten Gott gegenüber mehr am Herzen liegen,<lb/> "is die gegen die Meuscheu," d. h. gegen den Staat. Daß Petrus die Worte<lb/> der Apostelgeschichte </>, 2!)), die der Papst und die Hierarchie von jeher<lb/> Ü^gen den Staat verwendeten, gegen die Hohenpriester und das Synedrinm,<lb/> ^so gegen den jüdischen Papst und dessen Hierarchie, sprach und ihnen damit<lb/> "tu Gehorsam um des Gewissens nulle» aufkündigte in geistlichem Dingen,<lb/> ^§ darum diese Worte gerade gegen alle hochmütigen geistlichen Absichten zu<lb/> ^'werten sind, daran auch nur von weitem zu, denken, liegt dem katholischen<lb/> Begriffsvermögen und der katholische» Vibelkeuntuis ganz fern. Dafür sorgt<lb/> Ichvii die kluge Handhabung des katholischen Unterrichts. Dem gut gedrillte»<lb/> "thvlischeu Bewußtsein hat in dem Streit zwischen Staat und Kirche der<lb/> ^eclat vo» vornherein und stets Unrecht. Zwar „dürfen und müsse» wir das<lb/> ^terlnnd, worin nur geboren sind, und die Obrigkeit liebe», allein dabei<lb/> ^'fen wir uicht vergessen, die Kirche zu liebe» als unsre Mutter." Das ist<lb/> naturgemäße Ordnung unsrer Pflichte»." Aber im Konflikt ist daran zu<lb/> ^ken, daß die Liebe zu der el»en el»e „übernatürliche" ist, die zur andern<lb/> eine „natürliche." Wen» es »un „dnrch die Böswilligkeit der Menschen"<lb/> ^Mehl, daß „die naturgemäße Ordnung" verkehrt wird, so ist es klar, daß<lb/> ^ christliche Bürger der heilige» Gewalt der Kirche folge» muß. „Es kommt<lb/> Änlich 5,,or, daß die Pflichten, die die Bürger dem Staate gegeuüber habe»,<lb/> ^Widerspruch zu stehen scheine» >bloß scheinen?j nut de» Pflichten, die ihnen<lb/> ^ christliche Religion ^d. h. die Kirche> auferlegt. Das kommt daher, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
ganz folgerichtig, daß der deutsche Christ nicht etwa Glauben und Gewissen
über die oder jene staatliche Forderung setzt, sondern stets, gegebnen Falles,
die Forderungen der einen Macht, und zwar einer fremden jenseits unsrer
Grenzen liegenden Macht, grundsätzlich über die andern Forderungen, die der
eigne Staat an seine Bürger stellt und stellen muß. Es ist ganz folgerichtig,
wenn nun die Eneyklika verlangt, daß die Christen der Kirche (dem Staate,
der so real ist wie der Staat Venedig) mehr unterthänig sein sollen als dein
eignen Staate. „Wenn wir nun schon dem Gemeinwesen, worin nur geboren
und erzogen worden, in besondrer Liebe zugethan zu sein von Natur verpflichtet
sind, um wie viel mehr müssen dann nicht die Christen in Liebe und Treue
der Kirche ^dem andern Staates ergeben sein!" Dieser Gedanke wird immer
wieder in verschiedenen Wendungen vorgebracht und dein katholischen Gemüt
fest eingerammt; er soll eben den Grund für alles katholische Denken und
Leben abgeben. „Wenn wir unser irdisches Vaterland lieben müssen, das uns
unser sterbliches Leben verliehen hat, dann schulden wir offenbar weit innigere
Ache der Kirche, der nur das Lebe» verdanken, das kein Ende haben soll."
Natürlich kommt in diese»: Zusammenhange auch der bei der Hierarchie zu
allen Zeiten beliebteste Ausspruch des Petrus zum Vorschein, daß man Gott
>nein' gehorche» müsse als de» Meuscheu. „Es ist fürwahr billig, heißt es in
der Eneyklika, daß uns unsre Pflichten Gott gegenüber mehr am Herzen liegen,
"is die gegen die Meuscheu," d. h. gegen den Staat. Daß Petrus die Worte
der Apostelgeschichte </>, 2!)), die der Papst und die Hierarchie von jeher
Ü^gen den Staat verwendeten, gegen die Hohenpriester und das Synedrinm,
^so gegen den jüdischen Papst und dessen Hierarchie, sprach und ihnen damit
"tu Gehorsam um des Gewissens nulle» aufkündigte in geistlichem Dingen,
^§ darum diese Worte gerade gegen alle hochmütigen geistlichen Absichten zu
^'werten sind, daran auch nur von weitem zu, denken, liegt dem katholischen
Begriffsvermögen und der katholische» Vibelkeuntuis ganz fern. Dafür sorgt
Ichvii die kluge Handhabung des katholischen Unterrichts. Dem gut gedrillte»
"thvlischeu Bewußtsein hat in dem Streit zwischen Staat und Kirche der
^eclat vo» vornherein und stets Unrecht. Zwar „dürfen und müsse» wir das
^terlnnd, worin nur geboren sind, und die Obrigkeit liebe», allein dabei
^'fen wir uicht vergessen, die Kirche zu liebe» als unsre Mutter." Das ist
naturgemäße Ordnung unsrer Pflichte»." Aber im Konflikt ist daran zu
^ken, daß die Liebe zu der el»en el»e „übernatürliche" ist, die zur andern
eine „natürliche." Wen» es »un „dnrch die Böswilligkeit der Menschen"
^Mehl, daß „die naturgemäße Ordnung" verkehrt wird, so ist es klar, daß
^ christliche Bürger der heilige» Gewalt der Kirche folge» muß. „Es kommt
Änlich 5,,or, daß die Pflichten, die die Bürger dem Staate gegeuüber habe»,
^Widerspruch zu stehen scheine» >bloß scheinen?j nut de» Pflichten, die ihnen
^ christliche Religion ^d. h. die Kirche> auferlegt. Das kommt daher, daß
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