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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Freiheitsstrafe

"der fast gar nicht angewandt werden wird. Noch schlimmer aber wäre es,
wenn infolge eines halt- und ziellosen Schwankens, vielleicht gar einer Be¬
günstigung der bessergestellten Klassen eine Ungleichheit vor dem Gesetz
geschaffen würde. Wie dem auch sei, das ganze System ist zu verwerfen,
es handelt sich um die Rettung eines einzelnen Verbrechers auf Kosten des
Gemeindewvhls, wodurch der Rechtssinn und infolge davon die ganze Rechts¬
ordnung untergraben werden würde. Soll wirklich ein Versuch mit dem.
Strafaufschub gemacht werden, so kaun es jedenfalls nur nach amerikanischem
Vorbild dnrch Aufschub der Aburteilung und Stellung des (jugendlichen)
Thäters unter eine polizeiliche, durch gute Kräfte der Gesellschaft unterstützte
Zwangserziehung geschehen.

Endlich soll das Werk der Reform der Freiheitsstrafen noch dadurch be¬
wirkt werden, daß man die richterliche Straszumessuug durch eine erekutivische,
dnrch das Ermessen einer Strafvollziehungsbehörde ersetzt, der Art, daß die
gerichtliche Verurteilung des Übelthüters auf sechs Woche" bis zwei Jahre
Gefängnis oder auch zwei bis fünf, fünf bis zehn und zehn bis fünfzehn Jahre
Zuchthaus erfolgt, und es dann der Strafvollziehungsbehörde überlassen bleibt,
zu bestimmen, wie lange sie den ihr auf einen dieser Zeiträume überwiesenen
Verurteilten während des jedesmaligen Zeitraums in Gewahrsam behalten
will; denn es gelte nicht das Verbrechen, sondern den Verbrecher zu strafen
und deshalb dürfe mau nicht für die That an sich eine bestimmte Strafe fest¬
setze", sondern der Thäter müsse gerade die für seine Handlung angemessene
Strafe erhalten. Nun ist es ja richtig, daß jede richterliche Strafzumessung
auf vielem Zufällige" beruht und jede erkannte Strafe etwas Äußerliches, For¬
melles an sich trägt, da niemand, der Verbrecher selbst nicht, den festen Ma߬
stab der Gleichung zwischen Verbrechen und Strafe im Busen trägt; es hängt
das eben mit der allgemeinen Unvollkommenheit alles Menschlichen zusammen.
Würde aber die Strafvollziehuugsbehörde, die den Gefangenen auch nicht stets vor
Augen hat, ein besseres Ermessen als der Richter haben? Wir werden einen
wichtigen Schritt zur Verbesserung thun, wenn wir die Strafurteil zu wirklich
sich von einander unterscheidenden Größen entwickeln. Wir müssen ferner das
jetzige Shstem der "mildernden Umstände" über Bord werfen, und statt dessen
Nvrmalstrafrahmen suchen, die sich nach oben und unten erweitern lassen,
uuter gleichzeitiger exemplisizireuder, dein Richter die nötigen Fingerzeige
bietender Angabe von mildernden und schärfenden Gründen. Aber wir dürfen
nicht die Strafzumessung dem Richter entziehen. Man behauptet freilich, in
Amerika habe man seit 1871 die unbestimmte Verurteilung eingeführt und
damit große Erfolge erzielt. Dies ist aber nicht richtig, sondern es handelt
sich auch da um eine Art Zwangserziehung, für Männer von sechzehn bis
dreißig Jahren, die zum erstenmale wegen eines schweren Verbrechens verurteilt
sind und bei denen man auf Besserung hofft. Solche Personen werden zu der


Zur Reform der Freiheitsstrafe

»der fast gar nicht angewandt werden wird. Noch schlimmer aber wäre es,
wenn infolge eines halt- und ziellosen Schwankens, vielleicht gar einer Be¬
günstigung der bessergestellten Klassen eine Ungleichheit vor dem Gesetz
geschaffen würde. Wie dem auch sei, das ganze System ist zu verwerfen,
es handelt sich um die Rettung eines einzelnen Verbrechers auf Kosten des
Gemeindewvhls, wodurch der Rechtssinn und infolge davon die ganze Rechts¬
ordnung untergraben werden würde. Soll wirklich ein Versuch mit dem.
Strafaufschub gemacht werden, so kaun es jedenfalls nur nach amerikanischem
Vorbild dnrch Aufschub der Aburteilung und Stellung des (jugendlichen)
Thäters unter eine polizeiliche, durch gute Kräfte der Gesellschaft unterstützte
Zwangserziehung geschehen.

Endlich soll das Werk der Reform der Freiheitsstrafen noch dadurch be¬
wirkt werden, daß man die richterliche Straszumessuug durch eine erekutivische,
dnrch das Ermessen einer Strafvollziehungsbehörde ersetzt, der Art, daß die
gerichtliche Verurteilung des Übelthüters auf sechs Woche» bis zwei Jahre
Gefängnis oder auch zwei bis fünf, fünf bis zehn und zehn bis fünfzehn Jahre
Zuchthaus erfolgt, und es dann der Strafvollziehungsbehörde überlassen bleibt,
zu bestimmen, wie lange sie den ihr auf einen dieser Zeiträume überwiesenen
Verurteilten während des jedesmaligen Zeitraums in Gewahrsam behalten
will; denn es gelte nicht das Verbrechen, sondern den Verbrecher zu strafen
und deshalb dürfe mau nicht für die That an sich eine bestimmte Strafe fest¬
setze», sondern der Thäter müsse gerade die für seine Handlung angemessene
Strafe erhalten. Nun ist es ja richtig, daß jede richterliche Strafzumessung
auf vielem Zufällige« beruht und jede erkannte Strafe etwas Äußerliches, For¬
melles an sich trägt, da niemand, der Verbrecher selbst nicht, den festen Ma߬
stab der Gleichung zwischen Verbrechen und Strafe im Busen trägt; es hängt
das eben mit der allgemeinen Unvollkommenheit alles Menschlichen zusammen.
Würde aber die Strafvollziehuugsbehörde, die den Gefangenen auch nicht stets vor
Augen hat, ein besseres Ermessen als der Richter haben? Wir werden einen
wichtigen Schritt zur Verbesserung thun, wenn wir die Strafurteil zu wirklich
sich von einander unterscheidenden Größen entwickeln. Wir müssen ferner das
jetzige Shstem der „mildernden Umstände" über Bord werfen, und statt dessen
Nvrmalstrafrahmen suchen, die sich nach oben und unten erweitern lassen,
uuter gleichzeitiger exemplisizireuder, dein Richter die nötigen Fingerzeige
bietender Angabe von mildernden und schärfenden Gründen. Aber wir dürfen
nicht die Strafzumessung dem Richter entziehen. Man behauptet freilich, in
Amerika habe man seit 1871 die unbestimmte Verurteilung eingeführt und
damit große Erfolge erzielt. Dies ist aber nicht richtig, sondern es handelt
sich auch da um eine Art Zwangserziehung, für Männer von sechzehn bis
dreißig Jahren, die zum erstenmale wegen eines schweren Verbrechens verurteilt
sind und bei denen man auf Besserung hofft. Solche Personen werden zu der


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[0576] Zur Reform der Freiheitsstrafe »der fast gar nicht angewandt werden wird. Noch schlimmer aber wäre es, wenn infolge eines halt- und ziellosen Schwankens, vielleicht gar einer Be¬ günstigung der bessergestellten Klassen eine Ungleichheit vor dem Gesetz geschaffen würde. Wie dem auch sei, das ganze System ist zu verwerfen, es handelt sich um die Rettung eines einzelnen Verbrechers auf Kosten des Gemeindewvhls, wodurch der Rechtssinn und infolge davon die ganze Rechts¬ ordnung untergraben werden würde. Soll wirklich ein Versuch mit dem. Strafaufschub gemacht werden, so kaun es jedenfalls nur nach amerikanischem Vorbild dnrch Aufschub der Aburteilung und Stellung des (jugendlichen) Thäters unter eine polizeiliche, durch gute Kräfte der Gesellschaft unterstützte Zwangserziehung geschehen. Endlich soll das Werk der Reform der Freiheitsstrafen noch dadurch be¬ wirkt werden, daß man die richterliche Straszumessuug durch eine erekutivische, dnrch das Ermessen einer Strafvollziehungsbehörde ersetzt, der Art, daß die gerichtliche Verurteilung des Übelthüters auf sechs Woche» bis zwei Jahre Gefängnis oder auch zwei bis fünf, fünf bis zehn und zehn bis fünfzehn Jahre Zuchthaus erfolgt, und es dann der Strafvollziehungsbehörde überlassen bleibt, zu bestimmen, wie lange sie den ihr auf einen dieser Zeiträume überwiesenen Verurteilten während des jedesmaligen Zeitraums in Gewahrsam behalten will; denn es gelte nicht das Verbrechen, sondern den Verbrecher zu strafen und deshalb dürfe mau nicht für die That an sich eine bestimmte Strafe fest¬ setze», sondern der Thäter müsse gerade die für seine Handlung angemessene Strafe erhalten. Nun ist es ja richtig, daß jede richterliche Strafzumessung auf vielem Zufällige« beruht und jede erkannte Strafe etwas Äußerliches, For¬ melles an sich trägt, da niemand, der Verbrecher selbst nicht, den festen Ma߬ stab der Gleichung zwischen Verbrechen und Strafe im Busen trägt; es hängt das eben mit der allgemeinen Unvollkommenheit alles Menschlichen zusammen. Würde aber die Strafvollziehuugsbehörde, die den Gefangenen auch nicht stets vor Augen hat, ein besseres Ermessen als der Richter haben? Wir werden einen wichtigen Schritt zur Verbesserung thun, wenn wir die Strafurteil zu wirklich sich von einander unterscheidenden Größen entwickeln. Wir müssen ferner das jetzige Shstem der „mildernden Umstände" über Bord werfen, und statt dessen Nvrmalstrafrahmen suchen, die sich nach oben und unten erweitern lassen, uuter gleichzeitiger exemplisizireuder, dein Richter die nötigen Fingerzeige bietender Angabe von mildernden und schärfenden Gründen. Aber wir dürfen nicht die Strafzumessung dem Richter entziehen. Man behauptet freilich, in Amerika habe man seit 1871 die unbestimmte Verurteilung eingeführt und damit große Erfolge erzielt. Dies ist aber nicht richtig, sondern es handelt sich auch da um eine Art Zwangserziehung, für Männer von sechzehn bis dreißig Jahren, die zum erstenmale wegen eines schweren Verbrechens verurteilt sind und bei denen man auf Besserung hofft. Solche Personen werden zu der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/576>, abgerufen am 25.08.2024.