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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Freiheitsstrafe

nrteilung eines Dummenjungenstreiches vor dein Strafgericht mit beiträgt. In
allen diesen Dingen sind wir auf halbem Wege stehen geblieben, das Gebäude
ist beim Dachstuhl angefangen worden, aber die Grundlage fehlt. Es muß
daher vor allein das Strafsystem zur Wahrheit gemacht werden. Die Zucht¬
hausstrafe namentlich ist wieder zu einer entehrenden Verbrecherstrafe zu machen.
Das entspricht zwar nicht der heutigen Theorie, aber der Volksanschauung,
das Volk fordert die Aufrechthaltung der Heiligkeit des Gesetzes, die Wahrung
des öffentlichen Gewissens, das gerechte Werturteil über die That und deshalb
auch, daß eine ehrlose Handlung ihre Vergeltung durch eine entehrende Strafe
finde. Die Vollziehung der Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe hat deshalb
in getrennten Anstalten und auf eine auch äußerlich hervortretende verschiedne
Art stattzufinden, die einfache Freiheitsentziehung ohne Beschäftigung muß fallen,
für die jugendlichen Verbrecher ist die Zwangserziehung einzuführen.

Andre sagen freilich, wir wären nicht auf halbem Wege stehen geblieben,
sondern wir befänden uns auf einem falschen Wege. Der Hauptvertreter
dieser Richtung, Liszt, hat daher ein andres System aufgestellt: die kurze
Freiheitsstrafe soll beseitigt, ihre Dauer auf mindestens sechs Wochen verlängert,
in den meisten Übertretungsfällen soll nur Geldstrafe verhängt werden, die für
den Fall, daß sie nicht beizutreiben ist, durch Arbeitszwang ohne Einsperrung
verbüßt werden soll, es soll die sogenannte bedingte Verurteilung eingeführt
und die richterliche durch eine exekntivische Strafzumessung ersetzt werden.
Diese Vorschläge, soweit sie sich auf die Reform der Freiheitsstrafen beziehen,
bekämpft der Verfasser unsrer Schrift aufs lebhafteste.

Die kurze Freiheitsstrafe beherrscht unsre Strafrechtspflege. In ihrer
jetzigen Gestalt als einfache Freiheitsentziehung ohne Beschäftigung ist sie
allerdings als schädlich zu, bezeichnen, da sie den vom Verbrechergift bereits
ergriffenen ohne jeden Eindruck läßt, deu Unbescholtenen aber unter Umständen
durch Aufdrücken des StrMngsbrandmals hart trifft und ihn leicht in ver¬
derbliche Gesellschaft bringt. Aber deshalb braucht sie nicht abgeschafft zu
werden, die Kürze der Strafe an sich ist kein Mangel, eher ein Vorzug, da
sie es am leichtesten ermöglicht, völlige Absonderung des Gefnngeuen herbei¬
zuführen und die Strafvollziehung ihm anzupassen. Und wenn man anstatt
der bisher üblichen Strafschwäche, entsprechend dem Zuschnitt der militärischen
Arreststrafen, etwa Schärfungen wie Dunkelhaft, harte Lagerstatt, Herabsetzung
der Kost auf Wasser und Brot einführen wollte, dann würden diese kurzen
Freiheitsstrafe für zahlreiche Gesetzesübertretungen sehr angemessene und em¬
pfindliche Strafen sein.

Was die sogenannte bedingte Verurteilung betrifft, so glaubt der Ver¬
fasser, daß vor allem der Name nicht richtig gewählt sei; richtiger wäre die
Bezeichnung "Strafaufschub," denn verurteilt wird ja, und es handelt sich
nur darum, ob die zuerkannte Strafe verbüßt werden soll. Die Verteidiger


Zur Reform der Freiheitsstrafe

nrteilung eines Dummenjungenstreiches vor dein Strafgericht mit beiträgt. In
allen diesen Dingen sind wir auf halbem Wege stehen geblieben, das Gebäude
ist beim Dachstuhl angefangen worden, aber die Grundlage fehlt. Es muß
daher vor allein das Strafsystem zur Wahrheit gemacht werden. Die Zucht¬
hausstrafe namentlich ist wieder zu einer entehrenden Verbrecherstrafe zu machen.
Das entspricht zwar nicht der heutigen Theorie, aber der Volksanschauung,
das Volk fordert die Aufrechthaltung der Heiligkeit des Gesetzes, die Wahrung
des öffentlichen Gewissens, das gerechte Werturteil über die That und deshalb
auch, daß eine ehrlose Handlung ihre Vergeltung durch eine entehrende Strafe
finde. Die Vollziehung der Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe hat deshalb
in getrennten Anstalten und auf eine auch äußerlich hervortretende verschiedne
Art stattzufinden, die einfache Freiheitsentziehung ohne Beschäftigung muß fallen,
für die jugendlichen Verbrecher ist die Zwangserziehung einzuführen.

Andre sagen freilich, wir wären nicht auf halbem Wege stehen geblieben,
sondern wir befänden uns auf einem falschen Wege. Der Hauptvertreter
dieser Richtung, Liszt, hat daher ein andres System aufgestellt: die kurze
Freiheitsstrafe soll beseitigt, ihre Dauer auf mindestens sechs Wochen verlängert,
in den meisten Übertretungsfällen soll nur Geldstrafe verhängt werden, die für
den Fall, daß sie nicht beizutreiben ist, durch Arbeitszwang ohne Einsperrung
verbüßt werden soll, es soll die sogenannte bedingte Verurteilung eingeführt
und die richterliche durch eine exekntivische Strafzumessung ersetzt werden.
Diese Vorschläge, soweit sie sich auf die Reform der Freiheitsstrafen beziehen,
bekämpft der Verfasser unsrer Schrift aufs lebhafteste.

Die kurze Freiheitsstrafe beherrscht unsre Strafrechtspflege. In ihrer
jetzigen Gestalt als einfache Freiheitsentziehung ohne Beschäftigung ist sie
allerdings als schädlich zu, bezeichnen, da sie den vom Verbrechergift bereits
ergriffenen ohne jeden Eindruck läßt, deu Unbescholtenen aber unter Umständen
durch Aufdrücken des StrMngsbrandmals hart trifft und ihn leicht in ver¬
derbliche Gesellschaft bringt. Aber deshalb braucht sie nicht abgeschafft zu
werden, die Kürze der Strafe an sich ist kein Mangel, eher ein Vorzug, da
sie es am leichtesten ermöglicht, völlige Absonderung des Gefnngeuen herbei¬
zuführen und die Strafvollziehung ihm anzupassen. Und wenn man anstatt
der bisher üblichen Strafschwäche, entsprechend dem Zuschnitt der militärischen
Arreststrafen, etwa Schärfungen wie Dunkelhaft, harte Lagerstatt, Herabsetzung
der Kost auf Wasser und Brot einführen wollte, dann würden diese kurzen
Freiheitsstrafe für zahlreiche Gesetzesübertretungen sehr angemessene und em¬
pfindliche Strafen sein.

Was die sogenannte bedingte Verurteilung betrifft, so glaubt der Ver¬
fasser, daß vor allem der Name nicht richtig gewählt sei; richtiger wäre die
Bezeichnung „Strafaufschub," denn verurteilt wird ja, und es handelt sich
nur darum, ob die zuerkannte Strafe verbüßt werden soll. Die Verteidiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/574>, abgerufen am 22.07.2024.