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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die antiken Sarkophage

beiden Schmalseiten vernachlässigt wird; selten sind freistehende römische Sarko¬
phage, die gleich den griechischen ans allen vier Seiten Neliefschmuck tragen.

Kunstwerke sind nun freilich diese Sarkophagreliefs nicht. Man bewundert
vielleicht die technische Geschicklichkeit und die verlMtnismäßige Sicherheit, mit
der selbst diese Handwerkerarbeiten ausgemeißelt sind; aber einen wirklichen
Genuß gewähren nnr ganz wenige Beispiele. Die große Mehrzahl ist unschön.
Viele sind geradezu häßlich. Ein Vergleich dieser Denkmäler mit den griechischen
Grabstelen und deu griechischen Sarkophagen, die doch ebenfalls nnr Hand¬
werkerarbeit sind, lehrt am deutlichsten, wie tief im Verlauf der Jahrhunderte
der künstlerische Geschmack der alten Welt gesunken war. Das Hauptübel der
römischen Neliefkunst, das schon an den ersten kaiserlichen Trinmphalreliefs
bemerkbar wird, nämlich die Neigung zur Häufung der Figuren, macht die
meisten Sarkophagreliefs für ein Auge, das um griechischen Kunstwerken geschult
ist, fast unleidlich, ganz abgesehen von den immer größer werdenden Köpfen und
der übertriebnen Schlankheit der Gestalten, die in der römischen Kunst zur
Manier wird. Eigentümlich wirkt es auch, wenn an zahlreichen Sarkophagen
mehrere örtlich und zeitlich getrennt zu denkende Szenen ganz unvermittelt
neben einander gestellt oder wenn in mythologischen Darstelliuugen den Haupt¬
personen, wie in Amazonenkämpfcn dem Achill, die Porträtzüge des Ver¬
storbnen gegeben werden, oder wenn der Kopf einer Gestalt überhaupt nur in
deu Umrissen augelegt ist, weil er uoch die Porträtzüge des Verstorbnen er¬
halten sollte. Man erkennt an solchen Beispielen, daß die große Masse der
römischen Sarkophage nicht für den besondern Fall oder ans Bestellung, sondern
auf Vorrat, auf Lager gearbeitet worden ist. sinnvoller ist es, wenn das
Bild des Verstorbenen in einem Medaillon in der Mitte der Vorderseite an¬
gebracht ist, oder wenn nach etrurischer Sitte der Sargdeckel seine Gestalt trägt.
Von vortrefflicher Wirkung sind jüngere Sarkophage, an denen die verschiednen
Bilder nicht einfach neben einander gestellt, sondern durch kleine Säulen oder
Pfeiler, auf denen Spitzgiebel oder Rundbogen ruhen, getrennt sind. Eine
derartige Gliederung des Nelieffeldes ist besonders an frühchristlichen Sarko¬
phagen häufig und ging ans die in Metall gearbeiteten frühchristlichen und
romanischen Reliquienbehälter über.

Wahrend aber der künstlerische Wert der Sarkophagreliefs sehr niedrig ist,
ist ihre Bedeutung für die Kenntnis der Sitten und Gebräuche der römischen
Kaiserzeit und für die Erkenntnis der religiösen Gedanken, von denen diese Zeit
beherrscht wurde, umso höher zu schätzen. Zahlreiche Darstellungen führen uns
mitten in das tägliche Leben hinein. Wir sehen das Kind an der Brust der
Mutter und auf dem Arme des Vaters, den Knaben beim Spiel oder mit der
Schriftrolle, den Erwachsenen seinein Geschäft oder seinen Liebhabereien nach¬
gehend, den Handelsmann und den Seefahrer, den Handwerker, den Lehrer,
den Dichter bei ihrer Arbeit, den vornehmen Mann bei den Vergnügungen


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Die antiken Sarkophage

beiden Schmalseiten vernachlässigt wird; selten sind freistehende römische Sarko¬
phage, die gleich den griechischen ans allen vier Seiten Neliefschmuck tragen.

Kunstwerke sind nun freilich diese Sarkophagreliefs nicht. Man bewundert
vielleicht die technische Geschicklichkeit und die verlMtnismäßige Sicherheit, mit
der selbst diese Handwerkerarbeiten ausgemeißelt sind; aber einen wirklichen
Genuß gewähren nnr ganz wenige Beispiele. Die große Mehrzahl ist unschön.
Viele sind geradezu häßlich. Ein Vergleich dieser Denkmäler mit den griechischen
Grabstelen und deu griechischen Sarkophagen, die doch ebenfalls nnr Hand¬
werkerarbeit sind, lehrt am deutlichsten, wie tief im Verlauf der Jahrhunderte
der künstlerische Geschmack der alten Welt gesunken war. Das Hauptübel der
römischen Neliefkunst, das schon an den ersten kaiserlichen Trinmphalreliefs
bemerkbar wird, nämlich die Neigung zur Häufung der Figuren, macht die
meisten Sarkophagreliefs für ein Auge, das um griechischen Kunstwerken geschult
ist, fast unleidlich, ganz abgesehen von den immer größer werdenden Köpfen und
der übertriebnen Schlankheit der Gestalten, die in der römischen Kunst zur
Manier wird. Eigentümlich wirkt es auch, wenn an zahlreichen Sarkophagen
mehrere örtlich und zeitlich getrennt zu denkende Szenen ganz unvermittelt
neben einander gestellt oder wenn in mythologischen Darstelliuugen den Haupt¬
personen, wie in Amazonenkämpfcn dem Achill, die Porträtzüge des Ver¬
storbnen gegeben werden, oder wenn der Kopf einer Gestalt überhaupt nur in
deu Umrissen augelegt ist, weil er uoch die Porträtzüge des Verstorbnen er¬
halten sollte. Man erkennt an solchen Beispielen, daß die große Masse der
römischen Sarkophage nicht für den besondern Fall oder ans Bestellung, sondern
auf Vorrat, auf Lager gearbeitet worden ist. sinnvoller ist es, wenn das
Bild des Verstorbenen in einem Medaillon in der Mitte der Vorderseite an¬
gebracht ist, oder wenn nach etrurischer Sitte der Sargdeckel seine Gestalt trägt.
Von vortrefflicher Wirkung sind jüngere Sarkophage, an denen die verschiednen
Bilder nicht einfach neben einander gestellt, sondern durch kleine Säulen oder
Pfeiler, auf denen Spitzgiebel oder Rundbogen ruhen, getrennt sind. Eine
derartige Gliederung des Nelieffeldes ist besonders an frühchristlichen Sarko¬
phagen häufig und ging ans die in Metall gearbeiteten frühchristlichen und
romanischen Reliquienbehälter über.

Wahrend aber der künstlerische Wert der Sarkophagreliefs sehr niedrig ist,
ist ihre Bedeutung für die Kenntnis der Sitten und Gebräuche der römischen
Kaiserzeit und für die Erkenntnis der religiösen Gedanken, von denen diese Zeit
beherrscht wurde, umso höher zu schätzen. Zahlreiche Darstellungen führen uns
mitten in das tägliche Leben hinein. Wir sehen das Kind an der Brust der
Mutter und auf dem Arme des Vaters, den Knaben beim Spiel oder mit der
Schriftrolle, den Erwachsenen seinein Geschäft oder seinen Liebhabereien nach¬
gehend, den Handelsmann und den Seefahrer, den Handwerker, den Lehrer,
den Dichter bei ihrer Arbeit, den vornehmen Mann bei den Vergnügungen


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[0569] Die antiken Sarkophage beiden Schmalseiten vernachlässigt wird; selten sind freistehende römische Sarko¬ phage, die gleich den griechischen ans allen vier Seiten Neliefschmuck tragen. Kunstwerke sind nun freilich diese Sarkophagreliefs nicht. Man bewundert vielleicht die technische Geschicklichkeit und die verlMtnismäßige Sicherheit, mit der selbst diese Handwerkerarbeiten ausgemeißelt sind; aber einen wirklichen Genuß gewähren nnr ganz wenige Beispiele. Die große Mehrzahl ist unschön. Viele sind geradezu häßlich. Ein Vergleich dieser Denkmäler mit den griechischen Grabstelen und deu griechischen Sarkophagen, die doch ebenfalls nnr Hand¬ werkerarbeit sind, lehrt am deutlichsten, wie tief im Verlauf der Jahrhunderte der künstlerische Geschmack der alten Welt gesunken war. Das Hauptübel der römischen Neliefkunst, das schon an den ersten kaiserlichen Trinmphalreliefs bemerkbar wird, nämlich die Neigung zur Häufung der Figuren, macht die meisten Sarkophagreliefs für ein Auge, das um griechischen Kunstwerken geschult ist, fast unleidlich, ganz abgesehen von den immer größer werdenden Köpfen und der übertriebnen Schlankheit der Gestalten, die in der römischen Kunst zur Manier wird. Eigentümlich wirkt es auch, wenn an zahlreichen Sarkophagen mehrere örtlich und zeitlich getrennt zu denkende Szenen ganz unvermittelt neben einander gestellt oder wenn in mythologischen Darstelliuugen den Haupt¬ personen, wie in Amazonenkämpfcn dem Achill, die Porträtzüge des Ver¬ storbnen gegeben werden, oder wenn der Kopf einer Gestalt überhaupt nur in deu Umrissen augelegt ist, weil er uoch die Porträtzüge des Verstorbnen er¬ halten sollte. Man erkennt an solchen Beispielen, daß die große Masse der römischen Sarkophage nicht für den besondern Fall oder ans Bestellung, sondern auf Vorrat, auf Lager gearbeitet worden ist. sinnvoller ist es, wenn das Bild des Verstorbenen in einem Medaillon in der Mitte der Vorderseite an¬ gebracht ist, oder wenn nach etrurischer Sitte der Sargdeckel seine Gestalt trägt. Von vortrefflicher Wirkung sind jüngere Sarkophage, an denen die verschiednen Bilder nicht einfach neben einander gestellt, sondern durch kleine Säulen oder Pfeiler, auf denen Spitzgiebel oder Rundbogen ruhen, getrennt sind. Eine derartige Gliederung des Nelieffeldes ist besonders an frühchristlichen Sarko¬ phagen häufig und ging ans die in Metall gearbeiteten frühchristlichen und romanischen Reliquienbehälter über. Wahrend aber der künstlerische Wert der Sarkophagreliefs sehr niedrig ist, ist ihre Bedeutung für die Kenntnis der Sitten und Gebräuche der römischen Kaiserzeit und für die Erkenntnis der religiösen Gedanken, von denen diese Zeit beherrscht wurde, umso höher zu schätzen. Zahlreiche Darstellungen führen uns mitten in das tägliche Leben hinein. Wir sehen das Kind an der Brust der Mutter und auf dem Arme des Vaters, den Knaben beim Spiel oder mit der Schriftrolle, den Erwachsenen seinein Geschäft oder seinen Liebhabereien nach¬ gehend, den Handelsmann und den Seefahrer, den Handwerker, den Lehrer, den Dichter bei ihrer Arbeit, den vornehmen Mann bei den Vergnügungen Grenzboten 11 1»!>0 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/569>, abgerufen am 22.07.2024.