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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

unsre Arbeiter darben? Finden wir doch für unsre Waren Abnehmer genug
im Auslande! Diese Zeit ist aber für England vorbei, und wir Festländer
haben nicht zu erwarten, daß eine ähnliche für uns anbreche. So verwerflich
die Praxis, sich auf Kosten einer hungernden heimischen Arbeiterbevölkerung
durch Absatz im Auslande zu bereichern, vom sittlichen und vom patriotischen
Standpunkte aus sein mag, geschäftlich ist sie klug, so lange sie möglich ist.
Aber seitdem sie unmöglich geworden ist, weil alle Völker exportiren, und der
Auslandshandel statt des Charakters einseitiger Ausbeutung den des Güter¬
austausches angenommen hat, seitdem hat jene Praxis auch geschäftlich keinen
Sir" mehr, und Landwirtschaft wie Industrie haben nnr die Wahl, ob sie
daheim eine kaufkräftige Bevölkerung aufkommen lassen oder die Produktion
einstellen wollen.

In der jetzigen Maschiueutechnik und in unsern vortrefflichen Verkehrs¬
anstalten sind -- die hinreichende Vodenfläche vorausgesetzt -- den Kultur¬
völkern die Bedingungen eines unbegrenzten Nativnalreichtums gegeben. Und
wie steht es damit? Wenn das französische Nationalvermögen unter alle
Franzosen gleichmäßig verteilt würde -- sagt ein bei Nvdbertus angeführter
Schriftsteller --, so wäre jeder Franzose gerade nur ein Lump. Auf welchen
Titel der Durchschnittsdeutsche Anspruch hat, mögen sich die Leser aus der
Klassensteuerstatistik selbst berechnen.

Unsre Gesellschaftsordnung muß also fehlerhaft sein, und diese Fehler
müssen sich in der Theorie jener Ordnung, in der Lehre des Adam Smith,
nachweisen lassen. In der That haben die sozialistischen Volkswirtschaftslehrer,
Männer wie Rodbertus, Schäffle, Brentano, Adolf Wagner, schon längst die
Fehler des Kapitalismus aufgedeckt und namentlich über die drei Begriffe
Kapital, Arbeit und Produktion größere Klarheit verbreitet. Im folgenden
gedenken wir zu zeigen, wie die bloße Verbreitung gereinigter volkswirtschaft¬
licher Begriffe und Grundsätze viele und große Übel unsers Erwerbslebens zu
heilen vermöchte, ohne daß wir dadurch auf die abschüssige Bahn kommu¬
nistischer Experimente geraten und die Sicherheit des Privateigentums ge¬
fährden würden. Mit Berufungen auf Autoritäten werden wir sparsam sein;
der sachkundige Leser sieht ohnehin, wo sich die Darstellung an die eine oder
die andre der oben genannten anlehnt, und für den uichtfachkuudigeu hat es
keinen Wert, zu wissen, wer dies oder das schon früher einmal gesagt hat.

Nach Smith hängen der Wohlstand eines Landes und das Wohlbefinden
seiner Bewohner von seinem Kapitalreichtnm ab; das Kapital aber entsteht
durch Sparen. Sparsamkeit, meint er, sei sogar noch wichtiger als Gewerb-
fleiß, da die Gtttererzcugung für sich allein niemals zur Kapitalbildung führen
könne; denn diese bestehe in der Aufhäufung, in der Nnsammlnng der er¬
zeugten Güter. Durch diese Vermischung des Geldkapitals mit dem National¬
vermögen hat Adam Smith eine Verwirrung angerichtet, die aus den Köpfen,


Die soziale Frage

unsre Arbeiter darben? Finden wir doch für unsre Waren Abnehmer genug
im Auslande! Diese Zeit ist aber für England vorbei, und wir Festländer
haben nicht zu erwarten, daß eine ähnliche für uns anbreche. So verwerflich
die Praxis, sich auf Kosten einer hungernden heimischen Arbeiterbevölkerung
durch Absatz im Auslande zu bereichern, vom sittlichen und vom patriotischen
Standpunkte aus sein mag, geschäftlich ist sie klug, so lange sie möglich ist.
Aber seitdem sie unmöglich geworden ist, weil alle Völker exportiren, und der
Auslandshandel statt des Charakters einseitiger Ausbeutung den des Güter¬
austausches angenommen hat, seitdem hat jene Praxis auch geschäftlich keinen
Sir» mehr, und Landwirtschaft wie Industrie haben nnr die Wahl, ob sie
daheim eine kaufkräftige Bevölkerung aufkommen lassen oder die Produktion
einstellen wollen.

In der jetzigen Maschiueutechnik und in unsern vortrefflichen Verkehrs¬
anstalten sind — die hinreichende Vodenfläche vorausgesetzt — den Kultur¬
völkern die Bedingungen eines unbegrenzten Nativnalreichtums gegeben. Und
wie steht es damit? Wenn das französische Nationalvermögen unter alle
Franzosen gleichmäßig verteilt würde — sagt ein bei Nvdbertus angeführter
Schriftsteller —, so wäre jeder Franzose gerade nur ein Lump. Auf welchen
Titel der Durchschnittsdeutsche Anspruch hat, mögen sich die Leser aus der
Klassensteuerstatistik selbst berechnen.

Unsre Gesellschaftsordnung muß also fehlerhaft sein, und diese Fehler
müssen sich in der Theorie jener Ordnung, in der Lehre des Adam Smith,
nachweisen lassen. In der That haben die sozialistischen Volkswirtschaftslehrer,
Männer wie Rodbertus, Schäffle, Brentano, Adolf Wagner, schon längst die
Fehler des Kapitalismus aufgedeckt und namentlich über die drei Begriffe
Kapital, Arbeit und Produktion größere Klarheit verbreitet. Im folgenden
gedenken wir zu zeigen, wie die bloße Verbreitung gereinigter volkswirtschaft¬
licher Begriffe und Grundsätze viele und große Übel unsers Erwerbslebens zu
heilen vermöchte, ohne daß wir dadurch auf die abschüssige Bahn kommu¬
nistischer Experimente geraten und die Sicherheit des Privateigentums ge¬
fährden würden. Mit Berufungen auf Autoritäten werden wir sparsam sein;
der sachkundige Leser sieht ohnehin, wo sich die Darstellung an die eine oder
die andre der oben genannten anlehnt, und für den uichtfachkuudigeu hat es
keinen Wert, zu wissen, wer dies oder das schon früher einmal gesagt hat.

Nach Smith hängen der Wohlstand eines Landes und das Wohlbefinden
seiner Bewohner von seinem Kapitalreichtnm ab; das Kapital aber entsteht
durch Sparen. Sparsamkeit, meint er, sei sogar noch wichtiger als Gewerb-
fleiß, da die Gtttererzcugung für sich allein niemals zur Kapitalbildung führen
könne; denn diese bestehe in der Aufhäufung, in der Nnsammlnng der er¬
zeugten Güter. Durch diese Vermischung des Geldkapitals mit dem National¬
vermögen hat Adam Smith eine Verwirrung angerichtet, die aus den Köpfen,


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[0559] Die soziale Frage unsre Arbeiter darben? Finden wir doch für unsre Waren Abnehmer genug im Auslande! Diese Zeit ist aber für England vorbei, und wir Festländer haben nicht zu erwarten, daß eine ähnliche für uns anbreche. So verwerflich die Praxis, sich auf Kosten einer hungernden heimischen Arbeiterbevölkerung durch Absatz im Auslande zu bereichern, vom sittlichen und vom patriotischen Standpunkte aus sein mag, geschäftlich ist sie klug, so lange sie möglich ist. Aber seitdem sie unmöglich geworden ist, weil alle Völker exportiren, und der Auslandshandel statt des Charakters einseitiger Ausbeutung den des Güter¬ austausches angenommen hat, seitdem hat jene Praxis auch geschäftlich keinen Sir» mehr, und Landwirtschaft wie Industrie haben nnr die Wahl, ob sie daheim eine kaufkräftige Bevölkerung aufkommen lassen oder die Produktion einstellen wollen. In der jetzigen Maschiueutechnik und in unsern vortrefflichen Verkehrs¬ anstalten sind — die hinreichende Vodenfläche vorausgesetzt — den Kultur¬ völkern die Bedingungen eines unbegrenzten Nativnalreichtums gegeben. Und wie steht es damit? Wenn das französische Nationalvermögen unter alle Franzosen gleichmäßig verteilt würde — sagt ein bei Nvdbertus angeführter Schriftsteller —, so wäre jeder Franzose gerade nur ein Lump. Auf welchen Titel der Durchschnittsdeutsche Anspruch hat, mögen sich die Leser aus der Klassensteuerstatistik selbst berechnen. Unsre Gesellschaftsordnung muß also fehlerhaft sein, und diese Fehler müssen sich in der Theorie jener Ordnung, in der Lehre des Adam Smith, nachweisen lassen. In der That haben die sozialistischen Volkswirtschaftslehrer, Männer wie Rodbertus, Schäffle, Brentano, Adolf Wagner, schon längst die Fehler des Kapitalismus aufgedeckt und namentlich über die drei Begriffe Kapital, Arbeit und Produktion größere Klarheit verbreitet. Im folgenden gedenken wir zu zeigen, wie die bloße Verbreitung gereinigter volkswirtschaft¬ licher Begriffe und Grundsätze viele und große Übel unsers Erwerbslebens zu heilen vermöchte, ohne daß wir dadurch auf die abschüssige Bahn kommu¬ nistischer Experimente geraten und die Sicherheit des Privateigentums ge¬ fährden würden. Mit Berufungen auf Autoritäten werden wir sparsam sein; der sachkundige Leser sieht ohnehin, wo sich die Darstellung an die eine oder die andre der oben genannten anlehnt, und für den uichtfachkuudigeu hat es keinen Wert, zu wissen, wer dies oder das schon früher einmal gesagt hat. Nach Smith hängen der Wohlstand eines Landes und das Wohlbefinden seiner Bewohner von seinem Kapitalreichtnm ab; das Kapital aber entsteht durch Sparen. Sparsamkeit, meint er, sei sogar noch wichtiger als Gewerb- fleiß, da die Gtttererzcugung für sich allein niemals zur Kapitalbildung führen könne; denn diese bestehe in der Aufhäufung, in der Nnsammlnng der er¬ zeugten Güter. Durch diese Vermischung des Geldkapitals mit dem National¬ vermögen hat Adam Smith eine Verwirrung angerichtet, die aus den Köpfen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/559>, abgerufen am 22.07.2024.